Von Stasi-Akteneinsicht bis zu zweifelhaften Werbeslogans

Noch bis zum 10. Mai ist die Ausstellung „Aufarbeitung – die DDR in der Erinnerungskultur“

Manchmal kommt alles anders, als man denkt. Bestes Beispiel: der Akademieabend mit Ausstellungseröffnung zur „Aufarbeitung – die DDR in der Erinnerungskultur“ im Bonifatiushaus. Eine gemeinsame Veranstaltung der Fuldaer Sektion für Sicherheitspolitik (GSP) sowie der Katholischen Akademie des Bistums Fulda. Technische Probleme der Bahn  waren schuld, dass der Referent des Abends, Historiker Dr. Ulrich Mählert  aus Berlin, nicht mehr rechtzeitig in Fulda eintraf. Ein von Mählert kurzerhand zuhause zusammengestellter und online eingespielter Videobeitrag sowie schlichtes Improvisationsvermögen der Veranstalter retteten jedoch die Abendveranstaltung. Die konnte, wie ursprünglich geplant, stattfinden. Video und Inhalt der Ausstellung der Berliner Bundesstiftung Aufarbeitung sorgten für reichlich Gesprächsstoff unter den Gästen – und weckten mitunter Erinnerungen an persönlich Erlebtes aus DDR- und Nachwendezeiten. Noch bis zum 10. Mai können Interessierte in der Präsentation „Aufarbeitung – die DDR in der Erinnerungskultur“, die montags bis samstags von 9 bis 18 Uhr im Bonifatiushaus zu sehen ist, ausdrucksstarke und aussagekräftige Foto- sowie Textdokumente entdecken.

Erinnerungsjahr 2024

Fulda und die Region Osthessen hätten durch die frühere Grenznähe zur DDR einen besonderen Bezug zum Thema, betonte Akademiedirektor Gunter Geiger, der auch an das besondere Engagement der Amerikaner an der innerdeutschen Grenze zur Sicherheit von Frieden und Freiheit erinnerte. Während Geiger den Wert „selbsterklärender Fotos“ in der Ausstellung besonders hervorhob, ging Fuldas GSP-Sektionsleiter Michael Schwab auf die Botschaft der Schau „Aufarbeitung – Die DDR in der Erinnerungskultur“  ein. Sie erzählt vom Umgang mit der Geschichte der SED-Diktatur und der staatlichen Teilung seit dem Ende der DDR. Die 20 Tafeln seien ein „Beitrag zum Erinnerungsjahr 2024, in dem die doppelte deutsche Staatsgründung 75 Jahre und die Friedliche Revolution in der DDR 35 Jahre zurückliegen.“

Gedenken für Lageropfer

Statt seines Vortrags über „Zeitgeschichte als Streitgeschichte: Die Aufarbeitung der SED-Diktatur seit 1989“ – dem ursprünglichen Thema des Akademieabends –  griff Mählert im Video einige der wesentlichen Ausstellungs-Inhalte auf. So erinnerte er an ein „totgeschwiegenes Kapitel“ der DDR-Geschichte: die ehemaligen sowjetischen Speziallager, in denen jene Deutschen interniert wurden, die in der NS-Zeit aktiv gewesen waren. Über 50.000 Frauen und Männer seien dort an Unterernährung gestorben. Bis heute forderten Angehörige ein öffentliches Gedenken.  Ein weiteres Kapitel  – mit „Bildern, die für sich sprechen“ und knappen, erläuternden Texten – ist der Schuldfrage gewidmet. Plakativ spiegelt darin ein Poster mit Erich Honecker in schwarz-weißer Gefangenenmontur die öffentliche Erwartungshaltung wider. Für Mählert steht dieses Bild „für die vielen angestrengten Prozesse“ gegen Täter des Regimes. Trotz vieler Strafverfahren sei es letztlich aber nur zu „wenigen Verurteilungen von DDR-Verantwortlichen“ gekommen.  Erwartungsgemäß ist auch das Öffnen der Stasi-Akten ein weiterer Themenblock der Ausstellung wie auch der komplexe „Umgang mit der Geschichte im Alltag“. Ob die erste Akteneinsicht des DDR-Bürgerrechtler-Ehepaares Ulrike und Gerd Poppe oder die „Rote-Socken“ Wahlwerbekampagne der CDU in der Nachwende-Zeit und das zweifelhafte Verwenden des Spruchs „Ab nach Bautzen“ als Werbeslogan – Bautzen galt schließlich als eines der schlimmsten Gefängnisse in der DDR – dokumentieren die unterschiedlichen inhaltlichen Ebenen, auch den Zwiespalt des Erfahrbaren. Letzteres gilt beispielsweise für das Verwenden des Slogans „Vollendet die Wende“ durch Populisten – ein Aspekt, den Historiker Mählert kritisch sieht, ebenso wie den Einsatz von „DDR-Devotionalien als Stimulanzien“ bei Waren des Einzelhandels. Zum Beispiel auf entsprechend gestalteten Dosen mit DDR-Symbolen für „Nudeln mit Tomatensoße“ einer bekannten deutschen Supermarktkette.

Geschichte verstehen

Wichtig ist allen Beteiligten, über die Präsentation im Bonifatiushaus Geschichte erfahrbar zu machen, sie zu verstehen und sich mit ihr auseinanderzusetzen.. Das insbesondere im Erinnerungsjahr 2024. Die Ausstellung „Aufarbeitung – die DDR in der Erinnerungskultur“ dokumentiert unter anderem die kontinuierliche Delegitimierung der SED-Diktatur, für die Straßenumbenennungen – zum Beispiel von Stalin Allee in Landsberger Allee – genauso stehen wie plakative Demonstrationstransparente mit Forderungen wie „Sprengt die letzten Volksgefängnisse“ oder der Satz „Herr Miehlke – wo ist meine Akte?“ auf einem Stromkasten. Auch die Rolle der ehemaligen Sowjetunion rückt mit einem besonderen Fotomotiv in den Fokus des Betrachters. Tafeln tragen darin Jahreszahlen und Ländernamen – Daten sowjetischer Intervention der letzten Jahrzehnte wie beispielsweise 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei, 1979 in Afghanistan und Ukraine 2014. Aufgenommen worden war dieser „Schnappschuss“ bereits am 2. März 2014 in Berlin, als mehr als 200 Menschen gegen einen möglichen Militäreinsatz Russlands in der Ukraine protestierten. +++