Verlieren und wiederfinden

Fulda. Zum Zentrum des Lukas-Evangeliums gehört im Kapitel 15 (Verse 3 – 7) ein besonders tröstliches Gleichnis, das vom Verlieren und Wiederfinden, vom Suchen und Finden spricht. 99 brave Schafe zurückzulassen, um das eine verirrte, auf Abwege geratene zu suchen, soll eine Ureigenschaft des göttlichen Hirten darstellen. Der schriftkundige Hörer zur Zeit Jesu hatte sofort das alte Bild vom Guten Hirten aus dem Buch Ezechiel vor Augen: Nachdem mit den schlechten menschlichen Hirten abgerechnet wurde, die nur auf Wolle, Milch und Fleisch der Schafe schauen, aber sie nicht wirklich begleiten, spricht Gott: „Jetzt will ich selbst meine Schafe suchen und mich um sie kümmern… und hole sie aus all den Orten zurück, wohin sie an dunklen, finsteren Tagen zerstreut wurden… Das verlorene will ich suchen, das versprengte zurückführen, das verletzte verbinden, das kranke stärken“ (Ez 34, 11 + 12). Gott ist auf der Suche nach dem Menschen, weshalb der sich auch immer entfernt haben und wohin auch immer er geraten sein mag. „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht, o Gott, in dir“, sagt Augustinus. Diesen Satz dürfen wir auch umkehren: Unruhig ist Gott, bis er den Menschen gefunden hat.

Gott lässt sich finden von denen, die ihn auf vielfältige Weise suchen. Noch viel mehr: Gott selbst ist ein Suchender, um die zu finden, die er so sehr liebt. Er war von Anfang an auf der Suche nach dem Menschen: „Adam, Mensch, wo bist du?“ (vgl. Gen 3, 9). Und in Jesus, dem Sohn und Erlöser der Welt, schenkt er uns die befreiende Einladung dieses 14. Sonntags im Jahreskreis: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“ (Mt 11, 28).

Was Gottes Wesen ist, wird im Dienst Jesu an den Armen und Verlorenen greifbar: Er selbst ist der Gute Hirt (Joh 10, 11ff), der bereit ist, dem Verlorenen nachzugehen bis in das Dornengestrüpp, sich blutig zu schinden, um ihn zu befreien. Er ist bereit, sein Leben hinzugeben zur Erlösung des in sich selbst und in seine Machenschaften verstrickten Menschen.

Und dieses Finden und Erlösen ist eine einzige große Freude für ihn, an der er viele teilhaben lassen will: Freut euch mit mir, denn ich habe gefunden, was verloren war. Der ganze Himmel ist hocherfreut, mehr über dieses eine Finden als über die vielen, die Umkehr nicht nötig haben.

Solche Freude allerdings und die Suche Gottes bis an die Grenzen der Erde sind auch eine große Herausforderung zur Umkehr für alle, die vermeintlich der Suche Gottes nach ihnen nicht bedürfen. Denn auch wer zu den 99 Gerechten gehört, sollte sich über das Finden des Einen aus tiefstem Herzen freuen. Schon morgen kann es nämlich soweit kommen, von Gott aus einem Gestrüpp befreit werden zu müssen, das er selbst noch gar nicht wahrgenommen hat. +++ fuldainfo | Bischof Heinz Josef Algermissen

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