Urteil: Auch ohne Fahrradhelm voller Schadenersatz

Karlsruhe. Fahrradfahrer haben bei Unfällen, die sie nicht selbst verschuldet haben, auch dann Anspruch auf vollen Schadenersatz, wenn sie ohne Helm unterwegs waren. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag in Karlsruhe entschieden. Geklagt hatte eine Radfahrerin aus Schleswig-Holstein, die im Jahr 2011 bei einem Unfall auf dem Weg zur Arbeit schwer am Kopf verletzt wurde. Eine Autofahrerin, die am Straßenrand geparkt hatte, hatte die Autotür unmittelbar vor der sich nähernden Radfahrerin geöffnet, die gegen die Tür prallte und zu Boden stürzte. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hatte der Radfahrerin eine Mitschuld von 20 Prozent gegeben, weil sie keinen Schutzhelm getragen hatte, wodurch die Frau weniger Schadenersatz erhalten sollte. Diese Entscheidung hob der BGH mit seinem Urteil nun auf.

Das Urteil des Bundesgerichtshofes wird von der Arbeitsgruppe Verkehr der SPD-Bundestagsfraktion begrüßt. Birgit Kömpel, zuständige Berichterstatterin für Verkehrssicherheit der Arbeitsgruppe, erklärt: „Man kann doch ohne gesetzliche Helmpflicht niemandem eine Teilschuld zusprechen, bloß weil kein Helm getragen wurde.“ Eine andere Entscheidung des Bundesgerichtshofes hätte womöglich einen Rattenschwanz nach sich gezogen. „Muss dann zum Beispiel einem Quadfahrer unabhängig vom Unfallhergang eine Teilschuld zugesprochen werden, bloß weil er keinen Überrollbügel angebracht hat, der nicht verpflichtend ist?“, fragt Kömpel, die den Wahlkreis Fulda/Vogelsberg vertritt. Von der Einführung einer gesetzlichen Helmpflicht sieht die SPD gegenwärtig ab. „Das Urteil unterstreicht die Politik der Freiwilligkeit. Das Tragen eines Helmes sollte man den Menschen nicht verordnen. Aber sicherlich wünschen wir uns, dass so viele Radfahrer wie möglich einen Helm tragen und appellieren an deren Vernunft und Verantwortungsgefühl“, sagte Kömpel.

Die Entscheidung beurteilt der ADAC positiv. Damit schließt sich das höchste Zivilgericht der bisher überwiegenden Meinung der Gerichte an und lehnt die gegenteilige Ansicht des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig ab. Dadurch ist sichergestellt, dass ein Radfahrer für die Folgen eines unverschuldeten Unfalls in voller Höhe von der Versicherung des Verursachers entschädigt wird. Der Club sieht in diesem Urteil keinen Rückschritt in Sachen Verkehrssicherheit: Denn die Erstattung berechtigter Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche ist losgelöst von der Vermeidung von Unfällen mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen. Wie der hier zugrunde liegende Unfall (Zusammenstoß mit einer öffnenden Autotüre) zeigt, birgt gerade der städtische Verkehr für Radfahrer erhebliche Gefahren. Diese können durch das Tragen eines Fahrradhelms vermieden oder zumindest gemindert werden. Nicht nur sportlich ambitionierte Fahrer und Kinder, sondern alle Radfahrer sollten auch auf kurzen Strecken im eigenen Interesse einen Helm tragen, auch ohne rechtliche Verpflichtung. Um die Verkehrssicherheit für Radfahrer weiter zu erhöhen, appelliert der ADAC an die Kommunen, für sichere Radverkehrsanlagen zu sorgen. Dazu gehören ausreichend breite Radwege und gute Sichtverhältnisse an Knotenpunkten oder Einmündungen.

Die Karlsruher Richter haben nach Auffassung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Versicherer in die Schranken gewiesen. Es könne nicht sein, dass die Versicherer jemanden mithaften lassen wollen, der sich keinen Verstoß der Straßenverkehrsordnung zu Schulden kommen ließ und weder fahrlässig sowie ohne gesetzliche Verpflichtung auf bestmöglichen Unfallschutz verzichtet. GdP-Bundesvorsitzender Oliver Malchow: „Im Straßenverkehr gilt das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme. Das betrifft vor allem schwächere Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer und Fußgänger. Hätten die Richter anders geurteilt und so die Helmpflicht für Radfahrer durch die kalte Küche eingeführt, wäre es wohl nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis die Versicherer auf entsprechenden Körperschutz zur Vermeidung von Arm- und Beinbrüchen gedrängt hätten.“ Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens appelliert die Gewerkschaft der Polizei an alle Radfahrer, auf einen funktionssicheren Helm nicht zu verzichten. +++ fuldainfo