Untere und mittlere Einkommensschichten 2024 stärker belastet

SoVD in Sorge: Zukunftsängste bis in Mitte der Gesellschaft

Für breite Schichten der Bevölkerung wird nach Berechnungen von Ökonomen das Leben im kommenden Jahr teurer. Zwar senkt die Bundesregierung die Einkommensteuerbelastung im Volumen von rund 15 Milliarden Euro, Höhere Sozialabgaben, steigende CO2-Preise und anstehende Mehrwertsteuererhöhungen fressen aber gerade in den unteren und mittleren Einkommensgruppen diese Entlastungen oft mehr als auf, wie Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für die „Welt am Sonntag“ zeigen. Unter dem Strich bleibe gerade Gering- und Durchschnittsverdienern weniger Geld, sagte Martin Beznoska, IW-Experte für Steuer- und Verteilungsfragen.

Anders als von der Bundesregierung versprochen, werden die Bürger vor allem durch steigende Energiepreise zusätzlich belastet. „Heizen, Kochen und Tanken werden teurer“, sagte Beznoska. Der Grund: Mit seinem wegweisenden Urteil zum Haushalt vom November erklärte das Bundesverfassungsgericht Sondertöpfe wie den Klima- und Wirtschaftsstabilisierungsfonds für verfassungswidrig. Der Bund muss nun sparen und kann weniger entlasten, was die Bürger zu spüren bekommen. Gleichzeitig schlagen auch die höheren Sozialausgaben auf den Gehaltszetteln durch. Finanziell besser durchs Jahr dürften nach den IW-Berechnungen lediglich Bezieher höherer Gehälter kommen. Eine Familie mit zwei Kindern beispielsweise, in der ein Elternteil arbeitet, hat den IW-Berechnungen zufolge bei einem Bruttoeinkommen von 42.000 Euro im Jahr am Ende 33 Euro weniger. Bei einem Single mit einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro beträgt das Minus 76 Euro, Alleinerziehende mit dem gleichen Einkommen werden demnach sogar mit 144 Euro zusätzlich belastet. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) allerdings verteidigt die Politik der Bundesregierung nach dem Karlsruher Urteil: „Nur wegen der Krisen wurden Sätze der Mehrwertsteuer zeitweilig reduziert, bereits seit Jahren geplante CO2-Preise wurden verschoben und mit dem Geld der Steuerzahler wurden Strompreise und Netzentgelte temporär subventioniert“, sagte Lindner der „Welt am Sonntag“ als Reaktion auf die Berechnungen. „An diese Form der Krisenpolitik darf man sich nicht gewöhnen, weil sie nicht nachhaltig finanzierbar ist. Wir müssen den Exit schaffen.“ Lindner wies darauf hin, dass der Staat nicht dauerhaft gegen einen allgemeinen volkswirtschaftlichen Verlust an Wohlstand wegen gestiegener Preise ankämpfen könne. „Die Lösung liegt vielmehr in einer Politik für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung“, sagte der FDP-Chef weiter. Offenbar sieht das nicht jeder in der Koalition so: Die Klimawende dürfe nicht auf dem Rücken der Erwerbstätigen ausgetragen werden, schon gar nicht derjenigen mit geringen oder mittleren Einkommen, sagte SPD-Chefin Saskia Esken zu der „Welt am Sonntag“.

Doch mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei die Finanzierung dieser Aufgaben aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) eingeschränkt geworden. „Der CO2-Preis erscheint nun als einzige Einnahmequelle“, sagte Esken weiter. „Damit daraus ein sozial gerechtes Instrument wird, muss der Staat die Einnahmen des CO2-Preises als soziales Klimageld pro Kopf an die Bürgerinnen und Bürger zurückzahlen.“ Der Finanzminister habe zugesagt, zügig einen Auszahlungsmechanismus für das Klimageld vorzulegen. Damit diese Auszahlung einen relevanten Betrag umfasst und so eine echte Entlastung vor allem für Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen ermögliche, schlägt Esken unter anderem weiterhin die Reform der Schuldenbremse vor. Politisch wahrscheinlich allerdings ist der Vorschlag nicht, weil die FDP in der Ampel-Koalition diese Pläne ablehnt. Gleichzeitig sprach sich Esken für Steuersenkungen aus, um die „arbeitende Mitte zu entlasten“. Im Gegenzug fordert die SPD-Vorsitzende allerdings Steuererhöhungen auf hohe Einkommen und sehr große Vermögen. Auch das ist mit der FDP nicht zu machen. Kritik an der Koalition kommt von der CDU: „Die Ampel macht die Deutschen ärmer“, sagte Fraktionsvize Jens Spahn. „In Zeiten der Rekordinflation steigen Steuern und Abgaben zum Jahresanfang um über 20 Milliarden Euro und machen das Leben für alle noch mal teurer.“ Mit diesen Steuererhöhungen stopfe die Ampel ihr selbst geschaffenes Haushaltsloch, das mache es besonders unfair. „Tanken, Heizen, Nahrungsmittel und Krankenversicherung, Dinge, auf die gerade auch Menschen mit geringerem Einkommen sicher nicht verzichten können, werden teurer“, kritisierte Spahn. „Das ist die unsozialste Politik überhaupt.“

SoVD in Sorge: Zukunftsängste bis in Mitte der Gesellschaft

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) blickt zum Jahresende mit Sorge auf die gesellschaftliche Stimmung und die soziale Lage im Land. „Viele Menschen haben große Zukunftsängste und existenzielle Probleme – bis tief in die Mitte der Gesellschaft hinein“, sagte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstagausgaben). „Konflikte innerhalb der Bevölkerung nehmen zu und der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt.“ Der Verband fordert von der Regierung Investitionen in den Sozialstaat. Das Geld dafür soll der Staat durch höhere Steuern für Reiche eintreiben. In einem Positionspapier mit „Forderungen für ein gerechtes und soziales 2024“ warnt der Sozialverband: „Immer größere Teile der Gesellschaft vertreten rechtspopulistische, fremden- und minderheitenfeindliche Positionen.“ Wer nun im Sozialbereich kürzen wolle, handele grob fahrlässig. Der SoVD fordert, die Schuldenbremse erneut auszusetzen und zur reformieren, „um notwendige umfangreiche Investitionen in unsere Zukunft zu ermöglichen“. Zudem sollen Reiche und Erben mehr für den sozialen Ausgleich leisten. „Die Schere zwischen arm und reich darf sich nicht immer weiter öffnen“, warnt der SoVD. „Dies beinhaltet die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine gerechtere Besteuerung hoher Erbschaften“, stellte Engelmeier klar. Zur Unterstützung von Haushalten mit geringen Einkommen fordert der Sozialverband eine deutliche Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns. „Der Mindestlohn muss auf armutsfeste 15,02 Euro steigen, da so die besonders starke Inflation für Menschen im Niedriglohnsektor ausgeglichen wird“, sagte Engelmeier. „Außerdem braucht viel mehr sozialen Wohnungsbau, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“ Verbraucher müssten vor „Energiearmut“ geschützt werden, verlangt der Verband. „Einkommensschwache Haushalte müssen auch nach dem Aus der Energiepreisbremsen gezielt unterstützt werden.“ +++

Sie können uns jederzeit Leserbriefe zukommen lassen.

Diskutieren kann man auf Twitter oder Facebook

Hier können Sie sich für den fuldainfo Newsletter anmelden. Dieser erscheint täglich und hält Sie über alles Wichtige, was passiert auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbestellen. Auch ist es möglich, nur den Newsletter „Klartext mit Radtke“ zu bestellen.

Newsletter bestellen