Union pocht auf Entgegenkommen der Ampel im Bürgergeld-Streit

Sozialrichter und Verbände warnen vor mehr Sozialleistungsbetrug

Die Union pocht im Streit um das Bürgergeld auf ein Entgegenkommen der Ampel-Parteien. „Ein Vermittlungsverfahren zum Bürgergeld macht Sinn, wenn sich die Ampel bereit erklärt, die tiefgreifenden Webfehler ihres Vorhabens zu korrigieren“, sagte Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe der „Rheinischen Post“. So müsse die „drastische Kritik des Bundesrechnungshofes allen Beteiligten zu denken geben“. Auch dürfe man „den Brandbrief der Personalräte der Jobcenter nicht einfach übergehen, die eine Umsetzung bis zum Jahreswechsel für unmöglich halten“, so Gröhe. Der Sozialexperte machte zugleich klar, dass man dabei einen „Inflationsausgleich“ ausdrücklich unterstütze und sich auch dafür einsetze, „dass die Erhöhung zum 1. Januar 2023 in Kraft tritt“. Dafür gebe es „Mittel und Wege auch außerhalb des Bürgergeld-Gesetzes“, so Gröhe.

SPD und Grüne kritisierten die Haltung der Union unterdessen erneut scharf. „Die Union umweht mal wieder der eiskalte Hauch sozialer Kälte, weil sie gegen Mindestlohnerhöhung, gegen Bürgergeld und gegen höhere Löhne durch mehr Tarifbindung ist“, sagte die saarländische Ministerpräsidentin und SPD-Vize Anke Rehlinger der „Rheinischen Post“. Hartz IV habe der Mittelschicht Angst vor dem Abstieg gemacht. „Das Bürgergeld ist die Abkehr von der Abstiegsdrohung an die Mittelschicht.“ Wer hart gearbeitet habe, „fällt nicht durchs Netz, wenn er mal arbeitslos wird und er muss auch nicht sofort sein erarbeitetes Gespartes opfern“. Das Bürgergeld sei deshalb „gerade in der Krise das richtige Signal – gemeinsam mit der Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro“, sagte die Ministerpräsidentin.

Grünen-Chefin Ricarda Lang forderte die Union unterdessen zur Zusammenarbeit beim Bürgergeld auf. „Die Union hat einmal mehr die Chance, zu beweisen, dass sie nicht nur Dagegenopposition ist“, sagte sie der „Rheinischen Post“. Wenn ihr der „gesellschaftliche Zusammenhalt“ am Herzen liege, sollte sie diese Chance diesmal auch nutzen. Die Blockadehaltung der Union beim Bürgergeld irritiere sie sehr, ergänzte Lang. „Wer täglich in der Zeitung mehr Entlastungen fordert, sollte die Menschen bei deren Umsetzung nicht im Regen stehen lassen. Es liegt in unser aller Verantwortung, für soziale Sicherheit zu sorgen und den Zusammenhalt im Land zu stärken.“ Das gelte umso mehr in Krisenzeiten. „Und erst recht für die CDU/CSU, die 16 Jahre lang bestenfalls dabei zugesehen hat, wie die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinanderging“, sagte die Grünen-Vorsitzende.

Esken offen für Klärung von „Detailfragen“ zu Bürgergeld

Im Streit um das neue sogenannte „Bürgergeld“ hat SPD-Chefin Saskia Esken Kompromissbereitschaft signalisiert. „Wenn die unionsgeführten Bundesländer beim Bürgergeld Detailfragen klären wollen, sind wir dazu bereit“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagausgaben). Nicht verhandelbar sei allerdings, dass es bei der Einführung des „Bürgergelds“ zur Überwindung von Hartz IV „in erster Linie um Respekt“ gehe. Über einen Ausgleich der Inflation hinaus müssten Wege zur nachhaltigen Überwindung der Notlage von Menschen eröffnet werden. Die Drohung von CDU-Generalsekretär Mario Czaja mit Blockade der Bürgergeld-Reform im Bundesrat kritisierte Esken scharf: „Blockade ist keine Haltung für eine verantwortungsvolle Opposition.“

Sozialrichter und Verbände warnen vor mehr Sozialleistungsbetrug

Sozialrichter, das Handwerk und der Landkreistag sehen im geplanten „Bürgergeld“ ein Einfallstor für Sozialleistungsbetrug. So sollen laut Gesetz die Vermögen der Bürgergeldempfänger in den ersten zwei Jahren nicht mehr angerechnet und erst danach auf 15.000 Euro pro Person begrenzt werden. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks warnt in einer Stellungnahme zu dem Gesetz, dadurch „bieten sich nun gezielte Missbrauchsmöglichkeiten“. Es bestehe die Gefahr, dass die Vermögen nach den zwei Jahren „nicht mehr vorhanden sind“, zitiert die „Bild“ (Montagausgabe) aus dem Text. Der Sozialgerichtstag befürchtet in seiner Stellungnahme, die Regelung führe dazu, „Sozialleistungsmissbrauch zu begünstigen“. Auch die Regelung zur Erreichbarkeit, die den Empfängern der Leistungen mehr Freiraum für die Arbeitssuche geben soll, ist nach Ansicht der Sozialrichter geeignet „dem aktuellen Problem des organisierten Leistungsmissbrauchs neue Möglichkeiten zu eröffnen“. Der Landkreistag warnt in seiner Stellungnahme, dass die neue Bagatellgrenze von 50 Euro „ein gewisses Potenzial für Missbrauch“ bietet. Bis zu dieser Summe sollen Forderungen z. B. wegen zu viel gezahlter Leistungen künftig von Bürgergeldbeziehern nicht mehr zurückgefordert werden.

Linken-Chef geht „Bürgergeld“ nicht weit genug

Die Linke fordert grundsätzliche Änderungen beim geplanten Bürgergeld. Parteichef Martin Schirdewan sagte der „Rheinischen Post“: „Mit der Umbenennung von Hartz IV in Bürgergeld verbinden sich kleine Verbesserungen, die aber nicht ausreichen, damit die Leistung ihrem Anspruch gerecht werden kann: Menschen die gesellschaftliche Teilhabe in Würde zu ermöglichen.“ Schirdewan sagte weiter, die Sätze würden weiter kleingerechnet und das Existenzminimum werde auch künftig mit Sanktionen noch weiter gekürzt. „Dass die Unionsparteien noch diese kleine Verbesserung, die auch finanziell nicht einmal die Inflation ausgleicht, blockieren wollen, zeugt von sozialer Herzlosigkeit“, sagte der Parteichef. Notwendig sei vielmehr daher eine solidarische Mindestsicherung, „die ohne Wenn und Aber soziale Teilhabe ermöglicht und auf die die Menschen sich auch verlassen können“. +++