Über 70 Prozent der vollen Erwerbsminderungsrenten unter 1.000 Euro

Krankheit ist nicht selbstgewählt, Krankheit ist Schicksal

Fast drei Viertel der vollen Erwerbsminderungsrenten belaufen sich auf weniger als 1.000 Euro. 73,7 Prozent der wegen voller Erwerbsminderung gezahlten Renten lagen im Jahr 2018 unter 1.000 Euro, 45,2 Prozent unter 800 Euro, geht aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Frage der Linken-Abgeordneten Sabine Zimmerman hervor, über die die Zeitungen des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ in ihren Freitagausgaben berichten. „Die Mehrheit der Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner erhält nur eine kleine Rente unterhalb der Armutsschwelle“, sagte Zimmermann dem RND.

„Das Übel hat drei Wurzeln: den riesigen Niedriglohnsektor in Deutschland, das durch die Rentenreformen der 2000er Jahre abgesenkte Rentenniveau sowie rentenschmälernde Sonderregeln für Erwerbsminderungsrenten“, fügte die Sozialpolitikerin hinzu. Menschen gelten als armutsgefährdet, wenn sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung zur Verfügung haben. Die Armutsgefährdungsschwelle gemäß Mikrozensus lag für alleinstehende Personen im Jahr 2018 bei 1.035 Euro. Das Bundesarbeitsministerium teilte mit, die Rentenhöhe gebe nur eingeschränkt Auskunft über die Einkommenssituation im Alter, da andere Einkommensarten hinzuträten. „Selbst wenn das Einkommen der Partnerin oder des Partners die Familie noch gerade vor Armut schützt, bedeutet Erwerbsminderung massive Einkommenseinbußen“, sagte Zimmermann.

„Krankheit ist nicht selbstgewählt, Krankheit ist Schicksal.“ Die „ungerechten Abschläge“ auf Erwerbsminderungsrenten müssten endlich abgeschafft werden. „Die Zurechnungszeit muss auch für Bestandsrenten verlängert werden.“ Wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeitsfähig ist, soll ihn eine Rente wegen voller Erwerbsminderung absichern. Wer noch einige Stunden täglich arbeiten kann, erhält eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. +++


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4 Kommentare

  1. Eines sollten Leser dieses Beitrags auch wissen: wer eine niedrige Rente unterhalb der Armutsschwelle bezieht und deshalb ergänzend Sozialhilfe (SGB XII) beantragen muss, dessen Rente wird zu 100 Prozent angerechnet. Man hat dann ungefähr soviel wie ein Hartz IV – ler. Wer hingegen eine kleine Privatrente bezieht, kann sich freuen: die Privatrente wird beim SGB XII Antrag begünstigt: da gibts einen Freibetrag von 200 EUR. Wohl dem, der die richtige Rente bezieht. Im Gegensatz zu Hartz IV wird übrigens im SGB XII jedes noch so kleine Erwerbseinkommen zu 70 Prozent angerechnet. D.h. es bleiben von dem Minijob nur 30 Prozent! Alle anderen Einkommensarten wie z.Bsp. Dividenden oder einmalige Schenkungen werden zu 100 Prozent angerechnet.

    Dass der Regelsatz im SGB XII wie im SGB II eigentlich viel zu niedrig ist wissen Experten schon lange. Doch dank den Statistikern gelingt es der Bundesregierung schon seit Jahren, diesen Regelsatz von 432 EUR (Singlehaushalte, Eheleute kriegen noch weniger!) monatlich künstlich herunter zu rechnen. DAS spart dem Staat Milliarden!

    Bedingt durch die Coronakrise dürften übrigens viele Kleinbetriebe, die jetzt quasi Berufsverbot haben und in die Insolvenz gehen müssen, begreifen, dass auch sie jetzt sehr sehr kleine Brötchen backen müssen.

    Da heißt es: Gürtel enger schnallen! Damit unsere Politiker in Berlin ihre 10.000 EUR Diäten monatlich auch weiterhin bekommen. So behält der Grundsatz „wer nicht arbeitet soll auch nicht essen“ weiter Gültigkeit! Aber fürs Labern gibt´s jede Menge Kohle. Wie schön!

    • Danke für die fachlich korrekten Hinweise, die zeigen, dass es für die Betroffenen kein Zuckerlecken ist. Während es bei den Multimillionären und Multimilliardären noch nicht einmal eine Vermögenssteuer-Veranlagung gibt, um die riesigen Vermögen und Einkommen zu erfassen, müssen Millionen Menschen beim „Amt“ jeden Cent angeben, den sie in der Hosentasche haben. Das ist eines Sozialstaates nicht würdig und verstößt meines Erachtens deshalb auch gegen das Grundgesetz. Leider können die Regierenden aber so weitermachen wie bisher, weil ihre Macht immer durch die oberen zwei Drittel der Wählerschicht gesichert ist. Das „untere“ Drittel der Bevölkerung soll sehen wie es klar kommt. Ein sozialer Bundesstaat (Artikel 20 Grundgesetz) müsste anders aussehen!

      • Wie übrigens derzeit auch von dem aktuellen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bzw. in dessen Auftrag der Regelsatz im SGB II (Hartz IV), der auch für arme Sozialrentner gilt (SGB XII) heruntergerechnet wird und welche Kritik das auslöst, weil das sog. Existenzminimum viel zu niedrig ist, zeigt ein Beitrag in der Zeit vom 30. Juli 2020:
        https://www.zeit.de/2020/32/hartz-iv-satz-anpassung-grundsicherung-existenzminimum/komplettansicht

        Da ist es nur recht und billig, dass es sich die Fuldaer Schickeria beim Genussfestival gut gehen lässt während gleichzeitig hier in Fulda und im Rest der Republik arme Menschen, die z. Bsp. aus Krankheitsgründen Hartz IV oder eben eine kleine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen, den Gürtel immer enger schnallen müssen. Vielleicht fallen ja für solche Menschen nach dem „Fest“ ein paar Krümmel ab, die man sich dann bei der Tafel holen kann.

  2. Diese Schicksale sind nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis von politischen Entscheidungen, die genau diese Probleme in dieser Form wissentlich in Kauf genommen haben (Agenda 2010). Die Folgen der Agenda-Politik von Rot/Grün werden noch sehr lange viele Millionen Menschen negativ betreffen. Ein solcher sozialer Kahlschlag war damals nicht notwendig, auch nicht, um den sogenannten „Standort Deutschland“ zu retten. Es war seinerzeit ein brutaler Vollzug einer durch und durch neoliberalen Politik, die damals von Schröder (SPD) und Fischer (Grüne) durchgepaukt wurde.

    Die Grünen tun heute so, als hätten sie mit alledem nichts zu tun. Die SPD war so unklug (um nicht dumm zu sagen), auch noch zu behaupten, dass die Agenda 2010 eine tolle Sache war und ist und merkt immer noch nicht, dass sie damit Millionen von Menschen geschädigt hat. Die vielen Tausend Mitglieder und die Millionen von Wählern, die die SPD seitdem verloren hat, sieht die Parteiführung immer noch nicht im Zusammenhang mit dem asozialen Verhalten der Regierung Schröder/Fischer. Aber solange man die eigenen Fehler nicht erkennt, dazu steht und daraus lernt, wird es unwideruflich weiter nach unten gehen, was die Wahlergebnisse und Prognosen immer wieder zeigen. Die SPD wird mit Sicherheit nächstes Jahr nicht mehr zum Regieren benötigt. Schon heute gibt es eine heimliche informelle Koalition zwischen CDU und Grünen.

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