SPD und FDP bei Infektionsschutzgesetz kompromissbereit

Weltärztebund-Chef fordert Verlängerung der epidemischen Lage

Im Streit um ein Auslaufen der formalen „Epidemischen Lage“ und eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes kommen aus FDP und SPD nun überraschend deutliche Signale der Kompromissbereitschaft gegenüber der Union. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki sagte am Sonntagabend bei „Bild“ TV zu Forderungen aus der Union nach Möglichkeiten zu Kontaktbeschränkungen bei der Corona-Bekämpfung auch in Zukunft: „Wenn wir Kontaktbeschränkungen brauchen, dann muss das durch parlamentarische Beratungen geschehen.“

Das könne nicht mehr von den Ministerpräsidenten entschieden werden. Die Unionsparteien forderte er auf, „auf der Grundlage des Entwurfs ihre eigenen Vorschläge“ einzubringen. Darüber könne man dann beraten. Kubicki: „Morgen wird der Gesetzentwurf in der Anhörung beraten. Und nach der Anhörung wird dann entschieden, wie die endgültige Fassung aussieht, die nächsten Donnerstag verabschiedet werden wird.“ Ähnlich äußerte sich der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bei „Bild TV“: „Ich bin ganz sicher, dass das Gesetz im Rahmen des parlamentarischen Beratungsverfahrens sich noch verändern wird. Das ist ganz klar.“ Er persönlich sei aber der Überzeugung, dass „eine sehr strenge 2G-plus-Regelung bei Veranstaltungen und 2G überall“ wirkungsvoller seien als Kontaktbeschränkungen. Denn: „Das entspricht für die Ungeimpften einer Art Lockdown.“ Sie könnten dann am sozialen Leben nur noch durch private Treffen teilnehmen, zum Arzt oder zum Einkaufen gehen, aber z. B. nicht mehr in Restaurants und Cafés. Der geschäftsführende Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) wies bei „Bild TV“ auf die massiv steigenden Infektionszahlen hin: „Deshalb brauchen wir ein Infektionsschutzgesetz, das die Länder handlungsfähig hält.“ Den vorliegenden Gesetzentwurf hält er daher für unzureichend: „Im derzeitigen Zustand sind z. B. Kontaktbeschränkungen nicht vorgesehen. Das ist zu wenig.“ Ähnlich äußerte sich CSU-Generalsekretär Markus Blume: „Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte, das kann und wird möglicherweise ein weiterer Baustein sein, den wir zumindest brauchen im Instrumentenkoffer.“ Braun bot den Ampel-Parteien an, Ausgangssperren aus dem Infektionsschutzgesetz zu streichen, da man sie mit Sicherheit nicht mehr brauchen werde.

Weltärztebund-Chef fordert Verlängerung der epidemischen Lage

Angesichts der beispiellos hohen Corona-Infektionszahlen hat der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, eine Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite gefordert. „Wir haben weiterhin eine Pandemie nationalen Ausmaßes. Es ist absurd, angesichts von Inzidenzen um die 300 von einer Aufhebung sprechen zu wollen“, sagte Montgomery der „Rheinischen Post“. Rechtlichen Bedenken bezüglich des Fortbestehens der Sonderlage widersprach er deutlich. „Die juristischen Argumente sind dünn. Statt dagegen zu argumentieren, schlottern den Politikern die Hosen. Es soll um die ,Verhältnismäßigkeit‘ gehen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht erst 2006 (im Verfahren um das Luftsicherheitsgesetz) geurteilt, dass das Leben eines Menschen nicht ,verhältnismäßig‘ ist“, sagte Montgomery. Der Weltärztebund-Vorsitzende warnte vor einem weiteren starken Anstieg der Todeszahlen. „Der Winter wird kalt. Es liegt an uns, dass e  r nicht auch noch bitter und tödlich wird.“ Dabei kritisierte er, dass die politisch Verantwortlichen „in Worten und Handeln an vielen Stellen versagt“ hätten. „Zu spät, zu halbherzig, zu unterschiedlich waren die Maßnahmen gegen das tödliche Virus. Zur Kakophonie der Ministerpräsidenten gesellte sich das parteipolitische Freiheitsgesäusel, das einen völlig falschen Freiheitsbegriff versprach“, so Montgomery. „Und wer apodiktisch sagt: keine Impfpflicht und nie wieder Lockdown, der hat die Epidemiologie des Virus nicht verstanden und spielt ihm in die Hände.“ Noch könne es aber gelingen, den Trend der vierten Welle zu brechen. Montgomery forderte dazu, den Druck auf Ungeimpfte deutlich zu erhöhen. „Eine Impfpflicht überall dort, wo Menschen eine Garantenstellung gegenüber Schutzbefohlenen haben, also im Altenheim, im Krankenhaus oder in der Schule. Wer das nicht will, kann dort nicht arbeiten“, so Montgomery weiter. Zudem plädierte er für eine Informationspflicht des Arbeitnehmers a  n den Arbeitgeber bezüglich des Impfstatus. „Wie sollen Arbeitgeber Schichtpläne, Bürobesetzung und Schalterdienste regeln, wenn sie nicht einmal wissen dürfen, wer geimpft oder genesen und wer völlig ungeschützt in ihren Diensten steht?“, fragte er. „Wer sich nicht impfen lässt, spielt mit dem eigenen Leben – und dem vieler anderer. Wir streiten dialektisch darüber, ob mehr Zwang oder mehr Überzeugung der richtige Weg sind. Mit Überredung versuchen wir es nunmehr seit einem halben Jahr. Weitgehend erfolglos. Jetzt müssen wir darüber nachdenken, welche Zwänge wir mit den Grundrechten vereinbar ausüben können“, so Montgomery. +++