Pflegeforscher widerspricht Lauterbach

Krankenkassen erwarten Anstieg des Pflegebeitrags 2025

Der renommierte Pflegeforscher Heinz Rothgang von der Universität Bremen hat den Aussagen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) widersprochen, wonach die Zahl der Pflegebedürftigen 2023 unerwartet massiv gestiegen ist. „Die gegenwärtige Entwicklung bei der Zahl der Pflegebedürftigen weicht nicht deutlich von den zu erwartenden demografischen Effekten ab“, sagte Rothgang dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.

„Die Zahlen sind daher nicht wirklich überraschend.“ Sollte Lauterbach tatsächlich für 2023 nur mit einem Zuwachs von 50.000 Pflegebedürftigen gerechnet haben, dann habe der Minister bisher mit einem „äußerst unwahrscheinlichen Szenario“ gearbeitet. Rothgang sagte, realistischerweise müsse derzeit pro Jahr mit einem Anstieg in der Größenordnung von 250.000 Pflegebedürftigen gerechnet werden. Dass das Plus nun höher ausgefallen ist, könnte nach Ansicht des Wissenschaftlers mit der Corona-Pandemie zu tun haben. „Es ist denkbar, dass Long-Covid und psychologische Spätfolgen der Pandemie zu einer höheren Zahl von Pflegefällen geführt haben. Beweise dafür gibt es aber nicht“, sagte Rothgang. Den von Lauterbach angeführten „Sandwicheffekt“ mit Pflegebedürftigen in zwei Generationen hält Rothgang für unplausibel. Zwar könne es einige Babyboomer geben, die bereits pflegebedürftig seien. Eine relevante Größenordnung von Pflegebedürftigen gebe es in dieser Altersgruppe aber nicht, so der Wissenschaftler. Rothgang bestätigte gleichwohl die Einschätzung zum Beispiel der Krankenkassen, wonach der Pflegeversicherung bereits im kommenden Jahr das Geld ausgeht und Anfang 2025 Beitragsanhebungen von etwa 0,2 Prozentpunkten nötig sind. „Das ist eine realistische Größenordnung“, sagte er zu den Kassenprognosen. Das liege aber nicht nur an der Entwicklung der Pflegebedürftigkeit, so Rothgang. Vielmehr habe das Gesundheitsministerium zum Beispiel die Kosten für die gesetzliche Begrenzung der Eigenanteile im Pflegeheim deutlich unterschätzt. „Es könnte sein, dass jetzt so überrascht getan wird, um von dieser Fehleinschätzung abzulenken“, so Rothgang.

Krankenkassen erwarten Anstieg des Pflegebeitrags 2025

Die Krankenkassen erwarten 2025 einen Anstieg des Pflegeversicherungsbeitrags. „Die Pflegekassen gehen davon aus, dass die Finanzmittel im ersten Quartal 2025 insgesamt weniger als eine Monatsausgabe betragen. Für diesen Fall darf die Bundesregierung den Beitragssatz per Rechtsverordnung anheben“, erklärte der Verband der Ersatzkassen NRW (VdEK) gegenüber der „Rheinischen Post“. „Die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit des Gesamtsystems macht nach aktueller Datenlage eine Beitragssatzanhebung voraussichtlich schon zu Beginn des Jahres 2025 erforderlich.“ „Wir fordern seit langem eine nachhaltige Finanzreform der Sozialen Pflegeversicherung. Dass Gesundheitsminister Lauterbach dieser nun eine Absage in der laufenden Legislaturperiode erteilt, ist mehr als enttäuschend“, sagte Verbandschef Dirk Ruiss der Zeitung. Er fordert, die privaten Versicherer in die Pflicht zu nehmen: „Die Verpflichtung der privaten Pflegeversicherung, sich mit einem Finanzausgleich an der sozialen Pflegeversicherung zu beteiligen, könnte zu einer Entlastung von bis zu zwei Milliarden Euro jährlich führen“, so Ruiss. Zugleich fordert er, die Finanzierung der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige durch Steuermittel. „Das würde 3,7 Milliarden Euro Entlastung für die Pflegeversicherung bedeuten.“ Im VdEK sind Techniker, Barmer, DAK und andere Krankenkassen organisiert. Lauterbach hatte am Montag die Pflege-Finanzreform in dieser Legislaturperiode für unwahrscheinlich erklärt.

Raffelhüschen will ein Jahr Selbstbeteiligung für Pflegebedürftige

Angesichts der stark wachsenden Zahl an Pflegebedürftigen spricht sich der Freiburger Sozialexperte Bernd Raffelhüschen für eine einjährige Selbstbeteiligung der Betroffenen an den Kosten aus. „Die Kostenlawine ist nicht mehr aufzuhalten“, sagte er der „Bild“. „Um die Folgen abzumildern, sollte eine Pflege-Karenzzeit schnellstmöglich eingeführt werden.“ Pflegebedürftige müssten dann das erste Jahr die Pflegekosten selbst zahlen, so Raffelhüschen. „Erst danach fließen Leistungen aus der Pflegeversicherung.“ Raffelhüschen schlägt eine schrittweise Einführung der Karenzzeiten vor. „Die Einführung der Karenzzeit sollte phasenweise ablaufen. Beginnend mit den ersten drei Monaten, dann einem halben Jahr, bis schließlich das volle erste Jahr in der Pflege selbst gezahlt wird.“ Der Ökonom sagte außerdem einen stark steigenden Beitragssatz voraus: „Die junge Generation wird für die Versäumnisse der Sozialpolitik aufkommen müssen. Die Pflegeversicherung könnte bis 2040 auf circa sieben Prozent für Kinderlose steigen. Es ist ungerecht, dass die junge Generation für die Pflege derer aufkommen muss, die zeitlebens viel niedrigere Pflegebeiträge gezahlt haben.“

Pflegerat rechnet mit 500.000 fehlenden Pflegekräften

Der Deutsche Pflegerat (DPR) warnt angesichts des starken Anstiegs der Pflegepatienten vor einem dramatischen Mangel an Pflegekräften in den nächsten Jahren. Zu „Bild“ sagte Verbandspräsidentin Christine Vogler, die Zahl der fehlenden Mitarbeiter in der Pflege werde sich „bis 2034 voraussichtlich auf 500.000 erhöhen, da wir immer älter werden und somit mehr Menschen Pflege benötigen“. Darin berücksichtigt sei auch die hohe Teilzeitquote in der Branche. „Gleichzeitig gibt es aufgrund des demografischen Wandels immer weniger Menschen, die arbeiten oder eine Ausbildung in der Pflege beginnen“, sagte Vogler: „Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage wird immer größer.“ Schon heute fehlten in der Pflege rund 115.000 professionelle Pflegekräfte in Vollzeitstellen. Vogler appellierte an die Bundesregierung, mehr Anreize für ehrenamtliche Pflegetätigkeiten zu schaffen. Außerdem forderte sie mehr Steuerzuschüsse an die gesetzliche Pflegeversicherung sowie eine Neuordnung der sozialen Berufe. +++

Sie können uns jederzeit Leserbriefe zukommen lassen.

Diskutieren kann man auf Twitter oder Facebook

Hier können Sie sich für den fuldainfo Newsletter anmelden. Dieser erscheint täglich und hält Sie über alles Wichtige, was passiert auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbestellen. Auch ist es möglich, nur den Newsletter „Klartext mit Radtke“ zu bestellen.

Newsletter bestellen