Merz hört mit – Wer nix wird, wird Ikone!

Gießen. „Wer nix wird, wird Wirt, und wer gar nix wird, wird Bahnhofswirt!“ Das wusste der Volksmund in früheren Zeiten, als es noch Bahnhofskneipen gab, also vor sehr langer Zeit, zu berichten. Es lag darin ein gewisser Trost selbst für die, die es nicht weiter als bis zum Berufspolitiker, Filmschauspieler oder Fußballprofi gebracht hatten. Sie alle wussten, da kann noch was kommen. Mancher wurde dann sogar noch Volkswirt.

Noch viel besser ist es um die Zukunftsaussichten heute bestellt: Selbst der geringste unter uns kann es heutzutage bis zur Ikone bringen – und das ist nun ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerter Vorgang. Ikonen sind Kult- und Heiligenbilder, deren Zweck es ist, Ehrfurcht zu erwecken und eine existenzielle Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Dargestellten zu sein, indirekt auch zwischen dem Betrachter und Gott. Das Ikone-Werden war daher – in der heiligmäßigen Natur der Sache (oder: „in der Sache der Natur“, MdL-CDU, Landtagsplenum 15.Oktober 2014) liegend – ein eher elitärer, den gehobenen Ständen vorbehaltener Ausbildungsgang, etwa dem Abitur auf einem humanistischen Gymnasium vergleichbar.

Ganz anders heute: Heutzutage kann jeder zur Ikone werden, gleich ob hochgeboren oder gering, ob Mann oder Frau, ob Arm oder Reich, ob Christ, Jude oder Heide, ob Schlagersänger, Fußballprofi, Filmschauspielerin oder Berufspolitiker. In jüngerer Zeit wurden z.B. Udo Jürgens zur „Ikone der Unterhaltungsmusik“ (3Sat) – und wahrscheinlich auch der Frotteewaren-Industrie – und Nana Mouskouri zur „Schlager-Ikone (taz) ernannt. Der Weg zur schon sprichwörtlich gewordenen „Pop-Ikone“ steht nachgerade jedermann offen, so dass die Frage „Welche Ikone bin ich?“ (Magazin JOLIE) sicher manch jungen Menschen umtreibt.

Der Ikonen-Status wird erfreulicherweise ohne Ansehung der politischen Auffassungen verliehen, so dass es einerseits selbst Hitler – noch dazu posthum – zur „popkulturellen Ikone des Bösen“ (The European) bringen konnte und andererseits das Trierer Stadtmuseum seinem, nun ja: Antipoden eine Ausstellung unter dem Titel „Ikone Karl Marx. Kultbilder und Bilderkult.“ widmete.

Von Nadja Tiller wird gesagt, sie sei „als ‚Mädchen Rosemarie‘ … zur Ikone“ geworden, wobei dieser Vorgang einerseits zwar durchaus in der christlichen Tradition der Heiligung gefallener Sünderinnen blieb, andererseits eine Übertragung von der Rolle auf die sie spielende Darstellerin bedeutet, ein Vorgang, der in der Ikonologie noch einer näheren Beleuchtung harrt. Nahe an den gefallenen Sünderinnen ist man auf St. Pauli schon von jeher, so dass unschwer erklärbar ist, dass es dort neulich zu einem „würdigen Abschied für St. Pauli-Ikone Boll“ kam (sueddeutsche.de, 12.Oktober 2014). Posthum kam wiederum die Ernennung des Ex-Präsidenten Kurt Landauer zur „Ikone des FC Bayern“ (Spiegel-Online), wobei sich Uli Hoeneß – auch er ein gefallener – der Ernennung in den Ikonenstand gewiss sein darf.

Auch in der Politik wimmelt es von Ikonen. Während Jesper Bengtsson mit seinem Buch „Ikone der Freiheit: Aung San Suu Kyi. Eine Biographie“ auf breite Zustimmung stoßen dürfte, ist andererseits die Warnung des SPD-Außenpolitikers Gernot Erler „davor, Julia Timoschenko als Ikone zu betrachten“ (Deutschlandfunk, 24. Februar 2014) sicher ebenso berechtigt wie weiland die Warnung davor, das Haupt der Medusa zu betrachten. Ebenso enigmatisch wie unter ikonologischem Aspekt innovativ ist hinwiederum die Aussage eines hessischen CDU-Landtagsabgeordneten (Landtags-Plenum, 22.Mai 2013): „Sie wollen Gorleben als ihre Ikone und Demonstrationsort aufrechterhalten.“

Damit ist der Weg geebnet von der Loslösung des Ikonen-Gedankens von Personen auf Sachen, also zur Verdinglichung. Vorreiter ist – wie könnte es anders sein – die Automobil-Industrie: „Roadster-Ikone seit 25 Jahren: Mazda interpretiert den MX-5 neu (n-tv.de) Und wo Mazda ist, da darf Mercedes nicht fehlen: „Seit langem eine Ikone. Seit kurzem ein 3-Liter-Auto.“ (Mercedes-Benz-Werbung für den S-500 PLUG-IN HYBRID, SZ 8. September 2014) Und das ist nur konsequent, denn wo anders wäre die „existenzielle Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Dargestellten…, indirekt auch zwischen dem Betrachter und Gott“ intensiver als gerade hier? Wer es trotz allem nicht zur Ikone schafft, der kann immer noch Urgestein, Legende oder Mythos werden. Aber davon vielleicht ein andermal. +++ fuldainfo