Merkel erlaubt Ermittlungen – Paragraph 103 soll abgeschafft werden

Merkel hätte politisch anders entscheiden müssen

Angela Merkel (CDU)
Angela Merkel (CDU)

Berlin. Die Bundesregierung hat im Fall Böhmermann die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches erteilt. Dieser soll aber noch in dieser Legislaturperiode abgeschafft werden, sagte Bundeskanzlerin Merkel am Freitagmittag. Die Türkei sei ein wichtiger Partner Deutschlands, die Lage der Presse- und Meinungsfreiheit in dem Land werde von der Bundesregierung kritisch beobachtet. Die nun erteilte Ermächtigung bedeute weder eine Vorverurteilung, noch eine vorgreifende Entscheidung, so die Kanzlerin.

Bei der Entscheidung sei auch das Außenministerium und das Justizministerium einbezogen worden. In der Koalition habe es unterschiedliche Meinungen zu dem Thema gegeben. Die Bundesregierung sei trotz der nun erteilten Ermächtigung der Ansicht, dass Paragraf 103 des Strafgesetzbuches, der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten gesondert behandelt, „entbehrlich“ sei. Erdogan hatte schon zuvor über eine Anwaltskanzlei auch Strafantrag nach Paragraph 185 des Strafgesetzbuches gestellt, bei dem es um gewöhnliche Beleidigung geht. In dem Fall geht es eine Sendung, in der ZDF-Moderator Jan Böhmermann in einem etwa sechsminütigen Sketch mit dem Satiriker Ralf Kabelka zunächst den Unterschied zwischen in Deutschland erlaubter Satire und unerlaubter Schmähkritik diskutiert hatte. Grund war ein satirischer Song aus der NDR-Sendung „Extra 3“, der zur Einbestellung des deutschen Botschafters in der Türkei geführt hatte. Zur Anschauung trug Böhmermann schließlich ein knapp einminütiges „Schmähgedicht“ vor, in dem der türkische Staatspräsident unter anderem als homosexuell und pädophil bezeichnet wird. Gleichzeitig wurden türkische Untertitel gezeigt. Die türkische Regierung hatte zuvor über Diplomatenkreise darum gebeten hatte, den satirischen und Erdogan-kritischen Beitrag des NDR-Magazins „Extra 3“ verbieten zu lassen, was seitens der Bundesregierung jedoch mit Verweis auf die Pressefreiheit zurückgewiesen wurde.

Deutsch-Türkische Gesellschaft attackiert Merkel

Der Präsident der Deutsch-Türkischen-Gesellschaft, Gerd Andres (SPD), hat die Entscheidung der Bundesregierung im Fall des Satirikers Jan Böhmermann mit scharfen Worten kritisiert. „Die Not von Frau Merkel muss sehr groß sein, dass sie sich in absolute Abhängigkeit von Herrn Erdogan begibt. Dieser Vorgang wird ihr schaden“, sagte Andres der „Welt“. Es sei schon ein Skandal gewesen, dass die Bundeskanzlerin sich in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu für das Gedicht von Herrn Böhmermann entschuldigt habe. „Das kann sich eine deutsche Bundeskanzlerin nicht leisten.“ Andres warf Merkel eine inkonsequente Haltung im Umgang mit dem Beleidigungs-Paragrafen 103 im Strafgesetzbuch vor. „Auf der einen Seite nimmt sie auf den Paragrafen Bezug. Auf der anderen Seite erklärt Merkel ihn für obsolet. Wer soll das verstehen?“ Die Menschen in Deutschland „mögen die Türkei, aber immer weniger Herrn Erdogan“, sagte Andres mit Blick auf den türkischen Präsidenten. Zur Funktion der von ihm geführten Deutsch-Türkischen Gesellschaft sagte der frühere Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium: „Wir stehen für die Freundschaft mit der Türkei. Aber wir billigen nicht die undemokratische Politik und das immer despotischere Auftreten von Herrn Erdogan.“

De Maizière verteidigt Böhmermann-Entscheidung der Kanzlerin

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Ermittlungen gegen den Moderator Jan Böhmermann nach § 103 des Strafgesetzbuches zuzulassen, gegen die scharfe Kritik aus den Reihen der SPD verteidigt. Gegenüber „Bild“ (Samstag) de Maizière: „Ich halte es für richtig, im `Fall Böhmermann` die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen. Damit bezieht die Bundesregierung nicht Position zur Frage der Strafbarkeit von Herrn Böhmermann und schließt sich insbesondere auch nicht der Auffassung von Herrn Erdogan an. In einem gewaltenteiligen Rechtsstaat halte ich es aber für ganz besonders wichtig, dass die Frage der Strafbarkeit dort entschieden wird, wo sie hingehört. Und das heißt: nicht durch die Bundesregierung sondern durch die unabhängige Justiz. Dafür ist der Weg jetzt frei.“

FDP-Chef: „Merkel hätte politisch anders entscheiden müssen“

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Fall Böhmermann kritisiert. „Die Symbolwirkung der jetzt erteilten Ermächtigung ist sehr groß“, sagte Lindner den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Frau Merkel hätte politisch anders entscheiden müssen, um gegenüber der Türkei unser Verständnis von Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu vertreten.“ Erdogan habe Merkel durch veraltetes deutsches Recht unter Druck setzen können. „Er hat die Möglichkeit genutzt, um Frau Merkel in die Defensive zu bringen.“ Seine Kritiker in der Türkei könne Erdogan jetzt mit Verweis auf Deutschland mundtot machen, sagte Lindner. „Es ist richtig, dass der Schah-Paragraph abgeschafft werden soll. Diese Ankündigung entlarvt, mit welchem inneren Widerstand Frau Merkel entschieden hat und wie abhängig wir gegenwärtig von der Türkei sind.“

Grüne: Merkel ist vor Erdogan eingeknickt

Merkel ist nach Ansicht der Grünen vor dem türkischen Präsidenten Erdogan „eingeknickt“. Diesen Vorwurf müsse sie sich gefallen lassen, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter am Freitag. Der Deal mit der Türkei sei der Kanzlerin offenbar wichtiger als die Verteidigung der Pressefreiheit. „Sie muss mit dem Vorwurf leben, dass sie, wenn sie die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei, die massiven Angriffe auf die Menschenrechte in der Türkei und die Untaten des Regimes Erdogan in den Kurdengebieten anprangert, nicht mehr als glaubwürdig wahrgenommen wird“, so Hofreiter. +++ fuldainfo

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