Linke zu Chemnitz: Seehofer „völlig überfordert“

Dulig kritisiert Umgang mit Rechtsextremismus in Sachsen

CSU-Chef Horst Seehofer - Bild: Norbert Hettler
CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer

Die Ausschreitungen in Chemnitz haben nach Ansicht der Linksfraktion gezeigt, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) „völlig überfordert“ ist. „Dass Seehofer erst zu einem Kommentar getragen werden musste zeigt, dass er im besten Fall völlig überfordert ist, oder ihm im schlechtesten Fall der politische Kompass abhanden gekommen ist“, sagte Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Auch als Bundesinnenminister sorge Seehofer für gesellschaftliche Spaltung, kritisierte Korte: „Die Zustände in Chemnitz sind auch die Früchte seiner Arbeit.“ In vielen strukturschwachen Gebieten in Ost und West habe die Verrohung dort zugenommen wo die Menschen keinen Mehrwert in der Demokratie sehen und sich vom Staat im Stich gelassen fühlten. „Statt sich aber für Demokratie und eine funktionierende Gesellschaft einzusetzen hat Seehofer die Ressentiments noch bedient und seinen innenpolitischen Kurs darauf aufgebaut“, sagte der Linken-Politiker.

Dulig kritisiert Umgang mit Rechtsextremismus in Sachsen

Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) muss angesichts der Bilder aus Chemnitz an das Ostdeutschland der Neunzigerjahre denken. „Ich bin in Sachsen aufgewachsen. Die Jagdszenen haben mich an diese Zeit kurz nach der Wende erinnert, damals war ich 16“, sagte der SPD-Politiker „Zeit-Online“. Es sei ein gemischtes Gefühl aus Wut, Fassungslosigkeit, Beklemmung und Scham, was sich damals wie heute in ihm ausgebreitet habe. Anfang der Neunziger gab es in Teilen Ostdeutschlands schon einmal Hetzjagden gegen Migranten, Linke wurden von Neonazis verprügelt. Dulig kritisierte, dass in seinem Land danach viele Politiker „jahrelang das Problem Rassismus und Rechtsextremismus verharmlost“ hätten: „Diese Laisser-Faire-Haltung hat zu einer schleichenden Normalisierung von rechtsextremem Gedankengut geführt.“ Wer Rechtsextremismus verurteile oder thematisiere, werde in Sachsen bis heute zudem oft als „Nestbeschmutzer“ verurteilt. Mit Blick auf die Landtagswahlen in Sachsen im nächsten Jahr forderte der SPD-Landesvorsitzende: „Wir müssen alle gemeinsam den Hintern hochbekommen und unser Land gegen die Rechten verteidigen.“ Der größte Kontrahent sei nicht die AfD: „Mein größter politischer Gegner in Sachsen heißt Angst.“ Den Ängsten mancher Bürger sei nicht immer rational und über den Verweis auf politischer Kriminalitätsstatistiken zu begegnen: „Ich sage immer: Es geht uns statistisch in Sachsen so gut wie seit 28 Jahren nicht. Doch die Stimmung ist so schlecht wie seit 28 Jahren nicht.“ Wichtig sei es daher, ins Gespräch zu kommen.

Rechtsextremismus in Sachsen verharmlost

Der stellvertretende Ministerpräsident und Ost-Beauftragte der SPD, Martin Dulig, sieht in Sachsen große Versäumnisse im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Das Problem sei jahrzehntelang verharmlost, Links- und Rechtsextreme seien in einen Topf geworfen worden. „Wir Sachsen müssen mit diesem Makel leben, den uns eine lange Zeit sehr bräsige CDU beschert hat“, sagte Dulig den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Der damalige CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich habe 2016 diese Fehler eingeräumt. Dessen Nachfolger Michael Kretschmer habe diesen Kulturwandel auch vollzogen. „Die Frage ist nur, ob die gesamte sächsische CDU ihm folgt. Ich hoffe, dass Michael Kretschmer sich mit seiner Haltung an die Spitze der Bewegung setzt.“ Der SPD-Politiker Dulig, der in der schwarz-roten Landesregierung in Dresden Wirtschaftsminister ist und 2019 bei der Landtagswahl erneut als Spitzenkandidat antritt, forderte eine bessere Schulung der Polizei im Umgang mit der rechten Szene. „Die Strategie der Rechten ist es, die Arbeit von Journalisten durch Anzeigen gezielt zu behindern und die Arbeit der Polizei durch Störmanöver zu behindern. Die Führungskultur der sächsischen Polizei muss weiter professionalisiert, die Analyse- und Taktikfähigkeiten verfeinert werden. Da ist schon einiges passiert.“ Bei Demonstrationen wie am Montag in Chemnitz, wo Rechtsextreme vor den Augen von Bereitschaftspolizisten ungehindert den verbotenen Hitlergruß zeigten, müsse künftig härter durchgegriffen werden: „Ich wünsche mir, dass die Polizei deutlich sichtbar hineingeht, sofort handelt, einzelne Rädelsführer herausgreift, die den Hitlergruß zeigen. Das kann eine abschreckende Wirkung auf andere erzielen“, sagte Dulig. Er rief die Bürger in Sachsen auf, sich gut zu überlegen, mit wem sie auf die Straße gingen. „In Chemnitz standen gewaltbereite Neonazis und Hooligans. Dann muss sich jeder Bürger trotz ehrlicher Betroffenheit um den gewaltsamen Tod eines Mitbürgers entscheiden. Spätestens beim Einsatz von Gewalt muss eine falsche Solidarisierung aufhören.“ Auch Vereine und Verbände müssten in Sachsen stärker gegen rechte Gewalt und Gesinnung vorgehen: „Wir rufen die Zivilgesellschaft auf, das anständige Sachsen zu organisieren.“ +++