Lang: Nicht mehr nur so tun als sei Deutschland kein Einwanderungsland

Ricarda Lang: Verneigen uns vor dem Mut der Frauen im Iran

Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Ricarda Lang, hat am Dienstag auf Einladung des Fuldaer Kreisverbandes von Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur Unterstützung der hiesigen beiden Direktkandidaten für die Hessische Landtagswahl am 8. Oktober, Silvia Brünnel MdL (Wahlkreis 14; Fulda I) und Markus Hofmann MdL (Wahlkreis 15; Fulda II) Halt in Petersberg bei Fulda gemacht.

Im Gasthof „Altes Casino“ sprach Lang auf der Veranstaltung unter der Themenüberschrift „Feminismus Kompakt“ über die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und Feministische Außenpolitik. Ein besonderer Themenschwerpunkt auf der Veranstaltung nahm die Rolle der Frau im Iran ein. Der Einladung gefolgt war auch die Exil-Iranerin Narges Sarjoughian. Neben den Direktkandidaten für die Landtagswahl wohnten neben Parteimitgliedern u.a. Mitglieder der Stadtverordnetenfraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN sowie die Vorsitzende der Kreistagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN VOLT, Deborah Müller-Kottusch dem Wahlkampfformat bei. Begrüßt wurden die Gäste von Marie-Louise Puls, Fraktionsmitglied von Bündnis 90/DIE GRÜNEN in der Fuldaer Stadtverordnetenversammlung. Ein besonderer Willkommensgruß galt neben der Bundesvorsitzenden den beiden Landtagsabgeordneten, der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Fuldaer Stadtparlament, Silvia Brünnel MdL, und Markus Hofmann MdL, sowie Narges Sarjoughian, die für ihr besonderes Engagement für die Rechte der Frauen in ihrem Heimatland aus dem Exil heraus im Februar 2023 mit einem Stern auf dem „Walk of Femme“ in der Fuldaer Bahnhofstraße bedacht wurde.

Brünnel MdL: Bis heute gibt es Aufregung über Gleichstellungsforderungen

„Frauenpolitische Arbeit ist ein zentrales Thema; und das nicht nur, weil der Feminismus seit jeher Teil unserer Grünen DNA ist und Geschlechtergerechtigkeit für unsere Demokratie überall auf der Welt elementar ist, sondern weil Frauenrechte Menschenrechte sind“, sagte die Direktkandidatin Silvia Brünnel, die seit ihres Abgeordnetenmandats im Hessischen Landtag 2019 u.a. als Frauenpolitische Sprecherin fungiert, gestern in Petersberg. Die Landtagsabgeordnete weiter: „Wir haben seit über 104 Jahren das Frauenwahlrecht dank Elisabeth Selber, einer sehr kämpferischen Frau und eine der tragenden Figuren, die die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ins Grundgesetz gebracht hat. Darüber gab es sehr viel Aufregung, die bis heute nicht wirklich abgeklungen ist. Ich sage nur Parität in unseren Parlamenten.“

Der Artikel wurde in 1994 noch einmal erweitert. Aufgrund des Passus, der auf die Nachteile der Frauen hinweist, sind einige Gesetzgebungen auf den Weg gebracht worden. Seit 1994 gibt es in Hessen das Hessische Gleichberechtigungsgesetz. Brünnel wies darauf hin, dass die Frauen vor 1958 nicht die Möglichkeit hatten, beispielsweise über ihr eigenes Vermögen verwalten zu dürfen. „Frauen brachten die Erlaubnis ihres Mannes, um einer Beschäftigung nachgehen zu können. Bis zur Reform des Ehe- und Familienrechtes in 1977 hat es gedauert, bis dieser Passus geändert wurde. Ich bin 1966 geboren, bin also in dieser Generation aufgewachsen“, so Brünnel.

Weiter ging Brünnel auf den Gewaltenschutz und seine Umsetzung in der Istanbul-Konvention ein. Das nicht ganz so leicht greifbare Thema sei mittlerweile zu einem ihrer Herzensangelegenheiten geworden. „Jede vierte Frau in Deutschland ist von Gewalt bedroht oder hat in der Vergangenheit Erfahrungen mit Gewalt gemacht. An jedem dritten Tag wird in Deutschland eine Frau durch ihren Ehepartner, Lebensgefährten oder Ex-Partner ermordet. Und dazu gehört vor allem auch, dass wir es leider auch so benennen müssen“, so die Frauenpolitische Sprecherin im Hessischen Landtag. „Wir müssen aufhören, hier von einer Beziehungstat oder einem Ehedrama zu sprechen; das sind Morde an Frauen und das braucht einen ganz klaren Namen und das müssen wir auch ändern, um das anzupassen.“

Für diesen Bereich stehen ab dem kommenden Jahr viel mehr finanzielle Mittel zur Verfügung. Ein Vergleich: In 2014 standen für den Bereich des Gewaltenschutzes 3,4 Mio. Euro zur Verfügung; über 13 Mio. Euro werden es in 2024 sein. „Das ist eine Steigerung, die wir Grünen mit vorangebracht haben. Aber auch hier wissen wir, dass noch eine große Wegstrecke vor uns liegt. Doch hier wirklich etwas zu bewegen, kann uns nur im Gemeinsamen gelingen, mit dem Bund, dem Land Hessen und den Kommunen“, sagte die Landtagsabgeordnete.

Ricarda Lang: Verneigen uns vor dem Mut der Frauen im Iran

Froh, nach Petersberg gekommen zu sein, äußerte sich gestern die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/DIE GRÜNEN während ihrer Stippvisite in Osthessen. Bevor Lang Bundesvorsitzende wurde, war auch sie Frauenpolitische Sprecherin. Silvia Brünnel MdL und Ricarda Lang MdB kennen sich tatsächlich schon einige Jahre. Als „sehr wahrnehmbar“ würde Silvia Brünnel MdL in Berlin wahrgenommen, die aus Hessen heraus immer wieder für diese Themen eingestanden hätte und vor allem auch drangeblieben wäre und sich vor allem auch bemüht habe, wie Theorie eine fruchtbare Anwendung in der Praxis erfahren könnte und „wie wir dafür sorgen können, dass das Leben von Frauen einfacher wird, dass wir wirklich auch gleichberechtigter leben, von daher war es für mich klar, dass ich heute in diesen Wahlkreis komme. Es ist mir eine große Ehre, heute bei Ihnen sein zu können“, so die grüne Bundesvorsitzende Ricarda Lang gestern in Petersberg.

Die Bilder, die uns aus dem Iran erreichten, würden einem noch einmal mehr vor Augen führen, welches Glück es sei, in einem freien, demokratischen Land leben zu dürfen, sagte Lang vor dem Hintergrund der vielen geführten feministischen Auseinandersetzungen in den vergangenen Jahren. „Wir verneigen uns vor dem Mut der Frauen im Iran und da spreche ich für die gesamten Grünen“, sagte Ricarda Lang am Dienstag in Petersberg. Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/DIE GRÜNEN gab gestern auf der Wahlkampfveranstaltung einen Überblick über die Themen, an denen sie aktuell arbeitet. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Warum sollte ein Architekt mehr verdienen als eine Architektin? Ich glaube nicht, dass Menschen von Natur aus oder zumindest nicht aufgrund ihres Geschlechts – manche verfügen über eine natürliche Begabung – dass liegt aber nicht daran, ob ich ein Mann oder eine Frau bin, gut in einem Beruf sind, sondern, dass Menschen unterschiedliche Talente haben, deshalb ist das für mich einer der ganz zentralen Ansprüche, auch wenn wir über Gerechtigkeit sprechen. Davon sind wir auch im europäischen Vergleich noch viel zu weit entfernt“, sagte Lang.

Damit Mütter wieder schneller in ein Teilzeitbeschäftigungsverhältnis gebracht werden können, soll das Kitaqualitätsgesetz verlängert werden. „Wir werden schauen, dass die finanziellen Mittel aufgestockt und verfestigt werden, damit es Planungssicherheit gibt und die Länder schauen können, diese Gelder zu verwenden, um die Qualität zu stützen, die die Erzieherinnen besser auszustatten. Es gibt leider immer noch Länder, in denen Erzieherinnen für ihre Ausbildung zahlen müssen, wenn wir doch händeringend nach diesen Fachkräften suchen und so ein dringender Bedarf besteht. Man muss dankbar dafür sein, wenn sich Menschen für diesen Beruf entscheiden“, sagte die Bundesvorsitzende. Nach Lang eine der besten Strategien, um Fachkräftemangel zu bekämpfen, sei Gleichberechtigung und der Ausbau von Kindertagesstätten.

Das Thema, das die heutige Bundesvorsitzende der Grünen in die Politik gebracht habe, sei nach eigenen Aussagen der Gewaltenschutz. Geprägt wurde die Politikerin durch ihre Mutter, die „brennende Feministin“ war, und alleinerziehend 14 Jahre lang als Sozialarbeiterin in einem Frauenhaus arbeitete. Seinerzeit habe sich die Grünen Politikerin, wie sie gestern verriet, noch nicht mit dem Feminismus connecten können. „Das kam später.“ Der Job als Sozialarbeiterin fordere einen nach Ricarda Lang enorm und gehe an die psychische Belastungsgrenze. „Man war bei oft über einer 40-Stunden-Woche nicht direkt arm, aber hatte auch nicht so viel Geld zur Verfügung, dass immer ein Urlaub drin gewesen oder man auch sonst gut über die Runden gekommen wäre“, erinnerte sich Ricarda Lang zurück. „Und trotzdem wusste ich, dass meine Mutter diesen Job total gerne gemacht hat, weil sie wusste, dass sie dort Frauen und Kindern hilft, die von Gewalt betroffen sind.“ Der Zeitpunkt, mit dem die spätere Frauenpolitische Sprecherin mehr mit der Begrifflichkeit Feminismus anfangen konnte, war, als sie 18 wurde und ihre Mutter ihren Job aufgrund der Schließung des Frauenhauses verloren hatte. „Das war natürlich für die Angestellten und auch für meine Familie erst einmal ein Schlag ins Gesicht. Vor allem bedeutete es, dass es in Böblingen/Sindelfingen (Baden-Württemberg) plötzlich gar kein Frauenhaus mehr gab und die Frauen eineinhalb Stunden Autofahrt bis zum nächsten nach Stuttgart in Kauf nehmen und ihre an anderen Schulen anmelden mussten. Je höher für diese Frauen die Hürden sind, in solch einer Situation Schutz zu suchen, desto weniger tun sie es und desto eher sind sie ihren gewalttätigen Ehepartnern oder Lebensgefährten ausgeliefert.“ Vor diesem Hintergrund sprach sich die Bundesvorsitzende gestern für bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern aus. „Mir ist wichtig, dass es eine bundeseinheitliche Finanzierung für Frauenhäuser gibt und da der Bund die Länder unterstützt. Das hat auch etwas von gleichwertigen Lebensverhältnissen zu tun“, so Lang. Anfang dieses Jahres war Lang auf einem Frühlingsempfang in ihrer alten Heimat unterwegs. In diesem Kontext erfuhr sie, dass nach über 15 Jahren in der Region in diesem Jahr endlich wieder ein Frauenhaus eröffnet. „Wir sehen also, dass es Fortschritte gibt, für diese es sich jeden Tag lohnt, Politik zu machen, und gerade auch feministische Politik“, berichtet Ricarda Lang von einem glücklichen Ende.

Persönliche Erfahrungen von Narges Sarjoughian sorgte für Betroffenheit

Exil-Iranerin, Narges Sarjoughian, floh vor drei Jahren aus dem Iran. Aus dem Exil schaut sie mit Sorge auf ihr Heimatland und die Entwicklungen in ihm. In Deutschland setzt sich Sarjoughian für Frauen- und Menschenrechte im Iran ein und ist Ansprechpartnerin und Stimme von Kundgebungen gegen das iranische Regime, das sie gestern als menschenverachtend und grausam beschrieb. Auf Brünnels Frage, wie sie die Gewaltenteilung in Deutschland erlebe, antwortete sie, dass sie auch hier „in ständiger Angst“ lebe, denn nicht allen Menschen gefiele, was sie tue. Die Exil-Iranerin weiter: „Das Regime im Iran ist sehr grausam, es schreckt nicht davor zurück, Frauen zu verurteilen, zu vergewaltigen oder hinzurichten. Wir dürfen uns nicht so kleiden, wie wir wollen, wir dürfen abends nicht mehr auf die Straße, wir dürfen kein Fahrrad fahren. Wenn Frauen ihr Haus ohne Kopftuch verlassen und auf die Straße gehen, riskieren sie, vergewaltigt zu werden. Das Regime sieht uns nicht als Menschen. Einmal öffentlich das auszusprechen, was wir tatsächlich denken und fühlen, im Iran ist das undenkbar.“ Aber es sei durch die Bewegungen auch hier in Deutschland ein neues Selbstbewusstsein der Frauen im Iran erkennbar. Um eine feministische Außenpolitik komme man nach Narges Sarjoughian nicht mehr drumherum. „Andere Regierungen arbeiten mit solch einem Regime wie dem im Iran zusammen“, so Sarjoughian mit diesem Satz sie auch eine unausgesprochene Bitte an andere Länder zur Unterstützung adressierte. „Wir brauchen eine feministische Außenpolitik auch der anderen Länder wegen“, sagte sie.

Im Gespräch mit Exil-Iranerin Narges Sarjoughian, die in diesem an die Bundespolitikerin auch ihre konkreten Wünsche, zu denen auch gehört, in Deutschland endlich einer Beschäftigung nachgehen zu dürfen (im Iran studierte Sarjoughian Wirtschaft und schloss ihr Studium mit dem Bachelor ab), um dem Staat eben nicht auf der Tasche zu liegen und Sozialbezüge zu beziehen, sprach sich Ricarda Lang dafür aus, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, um Menschen wie Narges Sarjoughian schnellstmöglich in Arbeit zu bringen. „Der beste Weg zur Integration ist Arbeit. Der beste Weg, eine neue Sprache zu lernen, ist Arbeit. Der beste Weg, hier anzukommen, ist arbeiten gehen zu können. Und das ist genau das Thema beim Spurwechsel, dass das ermöglicht wird. Wir müssen endlich aufhören, so zu tun, als wären wir kein Einwanderungsland. Wir sind ein modernes Einwanderungsland“, so die Bundesvorsitzende der Grünen Ricarda Lang. Silvia Brünnel sprach Narges Sarjoughian ihre Bewunderung für deren Mut aus. So sei sie bespiellos und eine große Bereicherung für Fulda. Nach der Wahlkampfveranstaltung im osthessischen Petersberg ging es für die Bundesvorsitzende im Peugeot weiter ins mittelhessische Gießen, aber nicht bevor sie einigen Gästen deren Fragen beantwortete und mit Parteimitgliedern und der Grünen Jugend Erinnerungsfotos machte. +++ jessica auth

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