Künzell: Bürgermeister Timo Zentgraf im Gespräch

Zentgraf: „Eine mittelständische Kommune ist definitiv effektiver als eine Großkommune!“

Künzells Bürgermeister Timo Zentgraf

Die Idee, das „Oberzentrum Fulda“ zur „Großstadt Fulda“ umzufunktionieren, hat hierzulande in der jüngsten Vergangenheit auf vielen Ebenen zu ordentlichen Diskussionen geführt und hat nicht zuletzt die Bürgermeister der angrenzenden Stadtrandgemeinden Künzell und Petersberg aufgewühlt. Wir haben jetzt mit dem Bürgermeister der Gemeinde Künzell, Timo Zentgraf (parteilos), über diese Idee, ihre Bedeutung, vor allem aber ihr Ausmaß für eine Kommune wie Künzell gesprochen.

fuldainfo.de: Wo geht die Entwicklung der Kommune Künzell hin? Verstehen Sie diesen Hype überhaupt noch und können Sie die Argumentation von Herrn Wulff (Vorsitzender der SPD-Fraktion im Fuldaer Stadtparlament) nachvollziehen?

Bürgermeister Zentgraf: „Wenn man nicht richtig informiert ist, könnte man auf solche Ideen kommen. Die Frage ist aber doch, wie informiert man sich, dass man gar nicht erst auf solche Ideen kommt?! Wir als Gemeinde Künzell sind an unseren Grenzen, was die Entwicklung der Gewerbeflächen anbetrifft. Eine Untersuchung, die wir in der Vergangenheit haben durchführen lassen, hat gezeigt, dass wir ohne unsere Verbindungspange überhaupt gar kein Gewerbegebiet neu erschließen können. Wir sind in der Wohnbauentwicklung darauf angewiesen, dass wir weitere Flächen bekommen, sonst können wir uns hier auch nicht weiterentwickeln. Weiterentwickeln wäre in der momentanen Lage befremdlich. Durch das Auffüllen von Baulücken – was vom Prinzip ja nicht verkehrt ist – gibt es aber hin und wieder das ein oder andere Problem mehr, wenn die Bebauung zu eng ist, dass natürlich die Bevölkerung, die in der näheren Umgebung wohnt, dann sagt: So geht es aber nicht! Wir als Kommune haben aber gar nicht immer so die Hilfsmittel oder die gesetzlichen Mittel, um da hineinzugreifen. Wenn einem dies alles bewusst ist, kommt man wahrscheinlich erst gar nicht auf die Idee, von Seiten der Stadt Fulda zu sagen: Wir wollen Künzell haben! Ich könnte mir vorstellen, dass das, was Herrn Wulff antreibt, das Thema ist: Wir wollen uns weiterentwickeln; Weiterentwickeln im Sinne von „weitere Flächen dazugewinnen“. Doch die haben wir in der Gemeinde Künzell gar nicht, deshalb stellt sich hier auch gar nicht die Frage, sich in Richtung Künzell weiterzuentwickeln! Man hat dadurch keine Vorteile in der Entwicklung. Das Interessante, was mir bei diesem Thema in den Sinn kommt, ist das Thema Synergien oder Synergien zu bekommen. In der Wirtschaft wird häufig von einem Synergieeffekt gesprochen.

Bevor ich Bürgermeister wurde, war ich viele Jahre in einer Bank beschäftigt: Wenn dort zwei Banken fusionieren – die eine macht Baufinanzierung und die andere macht auch Baufinanzierung, man schließt sich zusammen, sodass nur noch ein Sachbearbeiter für diese verantwortlich ist. Man muss sich am Markt durchsetzen! Ein Mitbewerber ist weggefallen. Man braucht also nicht noch einen zweiten, der Angebote unterbreitet. Wir haben einen, der häufiger zum Zuge kommt, einer der effektiver arbeitet und wir haben die Personalkosten von dem anderen weg. Das ist ein absoluter Synergieeffekt. Wenn bei uns in der Kommune jemand einen Pass beantragt, gibt es keinen Wettbewerb wegen der Passbeantragung. Demjenigen, der den Pass beantragt, dem geht es nicht darum, welche Kommune diesen ausstellt. Er will einfach nur einen Pass haben. Ob dieser ihm von der Gemeinde Künzell oder der Stadt Fulda ausgestellt wird, spielt für ihn keine Rolle. Dafür muss es allerdings einen Mitarbeiter geben, der dies abwickelt. Und da können wir nichts sparen. Stichwort Bauamt – auch so ein Beispiel. Sagen wir mal in einer Woche gehen beim Bauamt Fulda 40 Bauanträge ein, in Künzell 10, in Petersberg 10, in Eichenzell 5 – sind wir bei 65. Wenn wir drei Verwaltungen abschaffen, kann dann der Sachbearbeiter bei der Stadt Fulda – der auch nicht nur eine Person ist – die zusätzlichen 25 Anträge mit abdecken oder sie muss vielleicht ihren Personalstand genau um die Zahl von Mitarbeitern, die bei uns in den Kommunen sitzen, aufstocken, damit gibt es keine Synergie; Wer den Bürgermeister abschafft, der muss zwei Leute einstellen. Wer arbeitet schon freiwillig 80 Stunden in der Woche? Was ich brauche, sind Zwischenebenen, Zwischenhierarchiestufen, wie sie bei der Stadt Fulda schon sind. So effektiv, wie ein mittelständischer Betrieb, ist kein Großkonzern! Und wir sind eine mittelständische Kommune, die definitiv effektiver ist als eine Großkommune. Bei uns kennt der Bürgermeister zumindest noch die meisten Mitarbeiter im Rathaus ganz gut persönlich. Dies würde alles bei einem Großkonzern verlorengehen. Und dementsprechend auch bei einer Großkommune. Das macht keinen Sinn.

Ein ähnliches Beispiel ist die Bürgernähe. Unsere ehrenamtlichen Entscheidungsträger wollen mitbestimmen. Da werden richtig Diskussionen geführt. Wir könnten wesentlich effektiver sein, wenn es keine ehrenamtlichen Mitbestimmerinnen und Mitbestimmer mehr gebe und wir als Verwaltung alles allein machen könnten. Aber wollen wir das überhaupt? Nein, wollen wir nicht. Wir wollen Mitbestimmer, wir wollen Demokratie. Bei einer Großkommune würde die Bürgernähe definitiv verlorengehen. Man könnte eventuell Zeit sparen, indem der Bürgermeister eben nicht mehr auf den 90. Geburtstag eines Bürgers seiner Kommune geht und nicht mehr gratuliert. Muss das sein? Darüber kann man diskutieren. Aber gerade in diesen Gesprächen, die immer mal wieder 60 Minuten Zeit in Anspruch nehmen, kriege ich doch viel mehr mit, von dem, was in meiner Kommune passiert, von dem, was die Bürger in meiner Kommune beschäftigt, danach kann ich agieren und gewisse Entscheidungen treffen. Die Bürgernähe, die Menschlichkeit – dies würde alles verlorengehen. Wenn wir hier eine Arbeitslosigkeit hätten, von 8- bis 10 Prozent, die Unternehmen leer stehen würden, die Gebäude leer stehen würden, dann könnte die Großstadt eventuell dahingehend ein Strohhalm sein, dass man sagt, da klammert man sich jetzt dran, mit dem Kalkül, vielleicht bekommen wir im bundesweiten Wettbewerb eine bessere Situation für unsere Kommune hin. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wir haben Vollbeschäftigung. Unsere Bauplätze sind voll, unsere Gewerbeflächen sind voll. Wir können nicht noch weiterwachsen, wenn nicht das Drumherum mitmacht. Und die Landwirte machen nicht mit, weil sie zu Recht sagen: Wir sind Familienbetriebe! Wir ernähren Euch! Es geht schon. Wir bekommen das ganz gut hin.

Wir haben in Künzell ganz viele, gut funktionierende Familienbetriebe, die können wir nicht enteignen und das wollen wir auch gar nicht. Momentan ist es so, dass die Landwirte auf die Politik auch gar nicht gut zu sprechen sind, weil sie immer wieder Flächen fordern. Es tut mir leid – liebe Landwirte -, aber ich muss sie leider fordern! Es gibt die Themen Hochwasserschutz, Wohnbauentwicklung, Gewerbeentwicklung, … – die Anfragen bestehen, aber es geht nur auf freiwilliger Basis! Wenn einer der landwirtschaftlichen Betriebe mal sagen würde: Ich ziehe mich aus familiären, aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen zurück! – dann könnte man vielleicht anderen wiederum helfen, … – ein Karussell in Gang bringen… –  und dann vernünftige Infrastrukturmaßnahmen umsetzen, aber das fehlt momentan.“

fuldainfo.de: Hat man in der Vergangenheit womöglich Fehler begangen? Haben die Kommunen zu wenig Flächen gekauft, in der Zeit, in der es ihnen noch möglich war?

Bürgermeister Zentgraf: „Die Frage ist doch: War es jemals möglich?! In Künzell ist mir nur von einem landwirtschaftlichen Betrieb bekannt, der in der Vergangenheit wohl mal zum Verkauf stand und mit dem verhandelt wurde. Warum der Hof von der Gemeinde nicht erworben wurde, dies wird im Nachhinein schon als Fehler angesehen. Bevor ich Bürgermeister wurde, hieß es immer nur, dass die Gemeinde nichts zahle. Als ich dann Bürgermeister war, habe ich gesagt: Ok – jetzt bin ich im Amt – zahlen wir ein bisschen mehr, um uns auszugleichen; Doch da hieß es plötzlich von Seiten der Landwirte: „Wir brauchen gar kein Geld, weil damit können wir unseren Viehbestand nicht ernähren! Was wir brauchen, sind Flächen!“ Die Landwirte wollen kein Geld, sie wollen Flächen. Die Frage ist auch: Was mache ich mit dem Geld? Auf der Bank bekomme ich keine Zinsen – was kann ich also sonst damit tun? Manche landwirtschaftlichen Betriebe sagen sich auch ok – diese Fläche benötige ich für meine Landwirtschaft nicht mehr, ich möchte sie dennoch behalten, weil von Bank bekomme ich ja doch keine Zinsen. Und diese Flächen mit Miethäusern zu bebauen, wo ich mich dann wieder mit den Mietern herumärgern muss, das will ich auch nicht; Dann lasse ich das Land doch lieber brachliegen. Doch dies ist in meinen Augen ein Stück weit gefährlich, weil immer mehr Naturschutzorganisationen und Verbände darauf achten, dass weniger versiegelt wird. Und wenn ich jetzt heute einen Acker habe, der klar als solcher zu erkennen ist, dann kann es mir passieren, dass dieser Acker dann auch ewig ein Acker bleibt mit den Auflagen, die jetzt rundherum kommen. Gedanklich haben die Landwirte ihre Fläche auf ihre Erben aufgeteilt, mit dem Gedanken, dass diese auf dem Grundstück irgendwann einmal bauen. Man sollte sich aber auch im Klaren darüber sein, dass sich die Möglichkeit dafür womöglich nie mehr bietet. Deshalb ist die Situation eigentlich die: Von Vornherein dafür zu sorgen, dass diese landwirtschaftlich genutzte Fläche (LF) (in der Nähe eines Wohnbebauungsgebietes) auch ein Baugrundstück wird, als solches erschlossen wird und als solches dann auch gehändelt wird; Weil ob dies dann rückwirkend wieder als Baugrundstück freigegeben wird bei den Entwicklungen in der großen Politik, setze ich jetzt mal ein Stück weit in Zweifel.“

fuldainfo.de: Was kann man dagegen tun? Was kann man den Landwirten sagen? Etwa: Hier passt auf – wir müssen hier ein bisschen mehr Symbiose leben? Wie bekommen wir das gemeinsam auf die Reihe? Wo kommen die Ideen her? Das, was Sie mir aus Sicht des Bürgermeisters sagen, bedeutet für mich letztlich: Wir sind auf dieser Fläche eingesperrt und wir können nicht raus!

Bürgermeister Zentgraf: „So zu agieren, dass alle Interessen erfüllt sind und jedem die Möglichkeit zu geben, sich entwickeln zu können – in die eine wie in die andere Richtung, die Flächen des anderen sinnvoll einsetzen, und zwar so, dass es für die mehrheitliche Bevölkerung gut ist. Auf gar keinen Fall solle man die Landwirte unter Druck setzen, so nach dem Motto: Du musst Deine Landwirtschaft jetzt einstellen, weil wir Deine Flächen brauchen. Vielmehr sollte man ihnen mit dem Verständnis, der Weitsicht und der Einstellung begegnen, dass sich irgendwann eine Lösung, die für alle tragbar ist, finden wird. Wenn es Landwirte geben würde, die sagen, dass sie die Landwirtschaft nicht mehr aufrechterhalten wollen, wäre es für uns als Gemeinde einfacher, aber das wollen wir doch gar nicht.

Wir wollen unsere landwirtschaftlichen Strukturen, die familiär gut aufgestellt sind, hier ja auch ein Stück weit erhalten. Wir müssen da ran, wo es keine Nachfolge gibt, sodass nicht irgendwelche Großeigentümer, die nur im Sinne von Getreidespekulation unterwegs sind, diese Flächen dann auch noch bekommen. Das wäre für die wirtschaftliche Entwicklung in der Region Fulda insgesamt kontraproduktiv. Wir haben teilweise ja schon die Situation von Landwirten, die aus der Stadt rausgedrängt werden und die dann zu uns nach Künzell kommen. Deswegen kann Herr Wulff nicht damit argumentieren, dass es der OB besser macht. Letzten Endes haben wir hier draußen dann das Problem. Dies funktioniert einfach nur in großer Abstimmung. Und die Bürgermeister verstehen sich untereinander, halten zusammen und da wird sich auch untereinander geholfen, weil wir ein gemeinsames Ziel haben.“ +++ jessica auth