Die Kommunen beklagen angesichts einer neuen Kita-Studie der Bertelsmann-Stiftung einen zunehmend dramatischen Fachkräftemangel. "Es besteht weiterhin ein enormer Personalbedarf, der bis zum Jahr 2025 auf bundesweit insgesamt mindestens 260.000 zusätzliche pädagogische Fachkräfte, Leitungen und Tagespflegepersonen anwachsen wird", sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". "Diese Fachkräfte sind nicht vorhanden und können auch nicht kurzfristig ausgebildet werden."
Landsberg warnt vor "unerfüllbaren Forderungen von Politik und Gesellschaft" beim Ausbau der Kindertagesbetreuung. "Ein einheitlicher Betreuungsschlüssel für alle Einrichtungen in ganz Deutschland würde den unterschiedlichen Bedürfnissen vor Ort nicht gerecht", sagte er. Wie die Bertelsmann-Studie belege, sei der Ausbau des Betreuungsangebots nicht zulasten der Qualität erfolgt. Der Gemeindebund-Geschäftsführer lehnt einen weiteren Abbau der Elternbeiträge für Kita-Plätze strikt ab. "Die Beitragsfreiheit für Kinderbetreuung, wie sie jetzt in einigen Ländern auf den Weg gebracht wurde und immer wieder gefordert wird, darf nicht das primäre Ziel sein", so Landsberg. "Der politische Ansatz, selbst gutverdienende Eltern von den Kindergartengebühren zu befreien, ist falsch. Eltern sind mehr daran interessiert, qualitativ hochwertige Angebote für ihre Kinder zu erhalten." Die Elternbeiträge in Höhe von jährlich 4,5 Milliarden Euro seien besser investiert in Qualität und Ausbau der Kinderbetreuung.
Mangelnde Qualität in hessischen Kitas
Als „niederschmetternd“ hat der sozial- und familienpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Gerhard Merz das Abschneiden Hessens im neuesten Ländermonitor „Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann-Stiftung bezeichnet. „Hessen verbessert sich nicht nur nicht, es fällt weiter zurück. Der Studie zufolge steht Hessen in Bezug auf die Qualität im Vergleich der westdeutschen Länder ganz hinten. Hessen hat bei drei- bis sechsjährigen Kindern den schlechtesten Personalschlüssel, nämlich 9,7 Kinder pro Erzieherin. Mit dem Personalschlüssel steht und fällt aber die Qualität der Arbeit in den Einrichtungen. Wer mehr Zeit für Kinder haben will, muss hier Verbesserungen durchsetzen. Dass Hessen nunmehr sogar die rote Laterne hält, ist das Resultat von 19 Jahren CDU-Politik im Land“, erklärte Merz.
Auch in der für die Qualität der Kitas mitentscheidenden Frage der Freistellung von Kita-Leitungen diagnostiziere die Bertelsmann-Studie eine Verschlechterung. Der Anteil der Einrichtungen ohne jegliche Leitungsfreistellung liege in Hessen mehr als sieben Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt. Hessen weise nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung darüber hinaus das größte Qualitätsgefälle innerhalb des Landes auf. „Wenn es beim Fachkraftschlüssel einen so großen Unterschied gibt wie zwischen Fulda (11,5 Kinder auf eine Erzieherin) und Darmstadt (7,3 Kinder auf eine Erzieherin), dann sind auch nur einigermaßen gleiche Lebensverhältnisse für Kinder und Eltern nicht mehr garantiert. Dann stimmt etwas nicht im System“, stellte Merz fest.
Die Qualität in den hessischen Kitas sei deshalb so unterschiedlich, weil das Land Hessen seit Jahren die Kommunen mit der wichtigen Aufgabe Kinderbetreuung alleine lasse. „Nach wie vor stagniert der Landesanteil an den Kosten der frühkindlichen Bildung bei weniger als 20 Prozent. Weil gleichzeitig die Kosten steigen – derzeit liegen sie bei mehr als 2,3 Milliarden Euro im Jahr – wird die Belastung der Kommunen von Jahr zu Jahr größer“, so Merz.
Das jüngst verabschiedete schwarzgrüne Gesetz zur teilweisen Beitragsbefreiung für drei- bis sechsjährige Kinder in Kitas habe die Situation weiter verschlimmert, kritisierte der SPD-Sozialexperte. „Einerseits reichen vielerorts die Pauschalen zum Ausgleich des Einnahmeausfalls nicht aus, zusätzlich wurde auch noch die zur Hälfte des Ausgleichsbetrags aus dem Kommunalen Finanzausgleich finanziert, also mit Geld der Kommunen, das diesen nun an anderer Stelle für dringend notwendige Maßnahmen fehlen wird“, erklärte Merz. Gleichzeitig seien die vorgesehenen Mittel für Qualitätsverbesserungen so gering, dass sie praktisch nur zur Refinanzierung des Status quo verwendet würden. Verbesserungen beim Personaleinsatz seien damit nicht zu finanzieren.
Nur wenige Kommunen seien in der Lage, das alles aufzufangen. Vielerorts müssten Standards in Frage gestellt oder Gebühren angehoben werden. „Wir verzeichnen landauf, landab – ganz unabhängig von der jeweiligen politischen Konstellation – Beitragsanhebungen für Kinder unter drei Jahren und für Ganztagsangebote. Geschwisterermäßigungen und Einkommensstaffeln werden abgeschafft. Das war vorhersehbar. Auf diese zwangsläufige Konsequenz eines schlechten und vor allem schlecht finanzierten Gesetzes haben wir und andere im Laufe der Debatte über das Gesetz immer wieder hingewiesen. Schwarzgrün redet nur von den wenigen finanzstärkeren Kommunen, die ihre Kita-Gebühren komplett abgeschafft haben. Damit versuchen sie, von den tatsächlichen Folgen ihres Gesetzes abzulenken“, stellte Merz fest.
CDU und Grüne hätten bei beiden Aspekten, sowohl bei den Gebühren als auch in der Qualitätsverbesserung, versagt. Die SPD-Landtagsfraktion habe einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Hessen deutlich nach vorne gebracht hätte. Der SPD-Entwurf sah in einem Stufenmodell vor, Zeiten für so genannte mittelbare pädagogische Arbeit (Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche) von 20 Prozent einzuführen und einen Zuschlag für Leitungstätigkeiten vorzusehen. Außerdem sollte der Zuschlag für Ausfallzeiten (Krankheit, Urlaub, Fortbildung) auf ein realistisches Maß von 20 Prozent angehoben werden.
„Wir haben in der Anhörung für unsere Vorschläge von allen Seiten sehr viel Zustimmung bekommen, von den freien und den kommunalen Trägern, von den Eltern, von den Gewerkschaften und der Wissenschaft. Damit ist der Maßstab für Qualität in Kitas gesetzt. Allen lautstarken Bekundungen zum Trotz hat Schwarzgrün die Warnungen missachtet und muss jetzt hinnehmen, dass Hessen sich im Bundesvergleich blamiert. Die eigentlichen Leidtragenden sind allerdings die Kinder, die Eltern und das Personal in den Einrichtungen“, stellte der Familienpolitiker Merz fest.
„Wir brauchen einen Richtungswechsel in der Kinderbetreuung in Hessen. Wir brauchen deutlich mehr Qualität und wir brauchen komplette Gebührenbefreiung von Anfang an, für alle Altersstufen, für alle Betreuungsformen und für alle Betreuungszeiten. Die SPD hat dazu einen Vorschlag vorgelegt, der solide finanziert ist. Dieser Vorschlag steht am 28.Oktober 2018 zur Wahl“, so Merz.
Rock: Situation bei hessischen Kita-Leitungen hat sich verschlechtert
René Rock, Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag erklärte: „Eltern wollen beste Chancen für ihre Kinder - und das von Anfang an. Es geht um nichts weniger als die Zukunft unserer Jüngsten. Die Aussage, dass sich die Situation der hessischen Kitaleiterinnen […] im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern in den letzten Jahren verschlechtert [hat] ist ein Armutszeugnis des Sozialministers. Nach Ansicht der Freien Demokraten war es ein Fehler, auf Wahlkampfgeschenke wie der halbherzigen Gebührenreduzierung zu setzen anstatt sich den zentralen Fragen des Platzausbaus, des Fachkräftemangels und der Qualitätsverbesserung zu widmen. Hier gilt es anzusetzen vor allem mit Blick darauf, dass in Hessen personelle Ausstattung in den Kindertagesstätten stagniert.“ Die Landesregierung setze mit ihrer Politik Gebührenfreiheit statt Qualität aufs falsche Pferd, so Rock.
Rock weiter: „Die Ergebnisse des Ländermonitors beweisen einmal mehr: die Rahmenbedingungen müssen verändert werden. Es muss investiert werden, wenn es darum gehen soll, beziehungsvolle Betreuung und beste frühkindliche Bildung zu realisieren. Wir Freien Demokraten haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Herausforderungen in den Blick nimmt. Die aktuellen Zahlen bestätigen unseren Kurs. Wir brauchen eine Veränderung des Fachkraft-Kind-Schlüssels, eine Einbeziehung der mittelbaren pädagogischen Arbeit, und vor allem brauchen wir eine Leitungsfreistellung. Denn auch im diesem Punkt bilanziert das Ländermonitoring, dass sich die Situation der hessischen Kitaleiterinnen im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern in den letzten Jahren verschlechtert hat. Hier müssen Träger und vor allem das Land Abhilfe schaffen. Unser Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn wir im Landtag im Interesse der Kinder und ihrer Familien sachorientiert über die Fragen der Qualität diskutieren könnten und der Gesetzentwurf nicht aus prinzipiellen Erwägungen abgelehnt würde.“
„Die Bertelsmann-Stiftung spricht von etwa 8.000 fehlenden Fachkräften. Dies muss auch ein Weckruf sein! Wir Freien Demokraten fordern bereits seit längerem einen Runden Tisch Kinderbetreuung mit dem Themenschwerpunkt Fachkräftegewinnung, an dem die Landesregierung mit Trägern, Ausbildungsanbieten, (Hoch-)Schulen und Verbänden gemeinsam Maßnahmen auf den Weg bringt, ausreichend Fachkräfte zu qualifizieren. Wir sehen uns auch in diesem Kurs nachhaltig bestätigt. Nach unserer Überzeugung ist es jedoch auch notwendig, die Ausbildung zur Erzieherin und zum Erzieher insgesamt attraktiver zu gestalten. Dazu gehört insbesondere eine Ausbildungsvergütung. Vor diesem Hintergrund möchten wir, dass die Ausbildung für den Erzieherberuf wie bei anderen Berufen auch vergütet wird. Mit Blick auf das lebenslange Lernen und die Möglichkeit zur beruflichen Weiterentwicklung gilt es, gemeinsam mit den Hochschulen Studiengänge zu gestalten, die das berufsbegleitende Studium ermöglichen. Eine Anerkennung und Anrechnung von bisherigen Arbeitsleistungen und von Fort- und Weiterbildungsangeboten soll den Eintritt erleichtern“, so René Rock abschließend. +++









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