Sehr geehrte Leserin, Sehr geehrter Leser, bisher habe ich in meiner Kolumne die Themen Inflation – Unternehmen, Mittelstand, Arbeitsplätze – Stagflation – Fachkräftemangel – Lohnerhöhungen, Kalte Progression – Rentner – Euro und Zinsentwicklung – Steuersystem – EU, Institutionen, Behörden, Bürokratismus – Energiekosten – und Ethik und Moral beleuchtet. Aufgrund des großen Zuspruchs möchte ich in meinem dritten Teil weitere Schwachstellen aufzeigen und auf zusätzliche Herausforderungen hinweisen.
Demografischer Wandel
Deutschland hat rund 83,7 Millionen Einwohner. Davon sind 13,1 Prozent, also knapp 11,0 Millionen nicht deutscher Herkunft. Jede Frau hat im Durchschnitt 1,58 Kinder. Besonders interessant ist das Verhältnis in den einzelnen Altersgruppen. Unter 20 Jahren sind es 18,5 Prozent, 20 – 40 Jahre 24,4 Prozent, 40 – 60 Jahre 27,7 Prozent und über 60 Jahre sind es knapp 30 Prozent. Die letzte Gruppe ist demnach die Stärkste. Dieser Trend zu einer überalterten Gesellschaft wird sich in den nächsten Jahren weiter verstärken. Doch dieser Wandel bringt insbesondere zwei Probleme mit sich. Zum einen den eklatanten Fachkräftemangel. Dieser ist zugegebener Maßen nicht nur auf die Demografie zurückzuführen. Zwei Faktoren sind ebenso mitverantwortlich: ein massives „Imageproblem“ bei den betroffenen Berufsgruppen und eine im Branchen-Vergleich zu geringe Entlohnung. Seit dem Ende der sechziger Jahre war es förmlich verpönt, Handwerks- und Facharbeiterberufe anzustreben. Das „Kind“ sollte möglichst studieren, somit etwas „Besseres“ werden. Zum anderen wird das Rentensystem in absehbarer Zeit kollabieren. Das wird für die Verantwortlichen sicher ganz überraschend und völlig unerwartet kommen. Ähnlich wie der 80-jährige Geburtstag der liebgewonnenen Oma – aus dem Nichts. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass der staatliche Steuerzuschuss zur Rentenkasse in diesem Jahr 108 Milliarden Euro beträgt und bis 2026 auf 129 Milliarden Euro ansteigt. Wie und von wem soll das finanziert werden? Hoffen wir, dass – wenn der Ernst der Lage erst einmal erkannt wurde – die Regierenden so viel rheinischen Frohsinn (obwohl Bonn nicht mehr Bundeshauptstadt ist) aufbringen und schunkelnd das Lied anstimmen werden: „Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld…“ Bei dieser Gelegenheit muss Herr Lars Feld, der persönliche Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), zitiert werden: „Wir hören viel zu viel auf die Rentnerinnen und Rentner in diesem Land“ – und meint damit, es ginge ihnen viel zu gut. Herrn Lindner empfehle ich: „Hören Sie nicht auf Lars Feld, suchen Sie sich schnellstens einen neuen Berater!“
Einzelhandel, Leerstand, Innenstädte
Die Lage des Einzelhandels ist desolat. Erst haben die Folgen von Corona dieser Branche über einen längeren Zeitraum schwer zu schaffen gemacht. Nun kommen die aktuellen multiplen Krisen hinzu. Also Energiepreis-Explosion, Personalmangel, Lohnerhöhungen, Zinssteigerungen und Inflation, Stagflation. Auch in diesem Punkt war eine ungünstige Entwicklung lange vorhersehbar. Es geht hier nicht nur um einige Einzelhandelsgeschäfte, deren Existenz und damit oft das Lebenswerk ihrer Betreiber bedroht ist. Es geht ebenso um das Gesicht der Innenstädte. Das Flair, die Atmosphäre und den Charakter der Lebensräume, in denen wir uns oft und gerne aufhalten. Dies gilt für Großstädte wie für Kleinstädte, in denen irgendwann nur noch große Handelsketten für eine unangenehme Uniformität sorgen. Orte, Stadtzentren sind Begegnungsstätten von besonderer gesellschaftlicher Bedeutung. Hier sollten sich Jung und Alt, Ärmere und Reichere, Handwerker und Akademiker treffen und austauschen können. Trotz – oder gerade wegen – der fortschreitenden Digitalisierung, die für mehr Anonymität und Kontaktlosigkeit (nicht nur an der Kasse) führt, ist eine Begegnungsstätte, die Individualität, Kreativität und Inspiration bietet, dringend geboten. Und auch hier muss konstatiert werden: die Entwicklung kam nicht überraschend, sie zeichnete sich ab und es hätte ihr mit entsprechenden Maßnahmen begegnet werden können. Die Lösung hätte eine Besteuerung des Onlinehandels und die Einrichtung eines Strukturfonds „Lebenswerte Innenstadt“ sein können. Durch Corona hat sich allerdings der Onlinehandel weiter stabilisiert. Im Jahr 2021 belief sich der Umsatz in Deutschland auf 86,7 Milliarden Euro. Eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um rund 19 Prozent. Damit zählt der Onlinehandel zu den klaren Gewinnern der Corona-Krise. Wir alle, die Verbraucher sind für diese Entwicklung allerdings durch unser Kaufverhalten mit verantwortlich. Es ist nachvollziehbar, dass sich ein Einzelhandelsgeschäft durch Personalkosten, Beratung, Mietkosten sowie etlichen Nebenkosten preislich anders positionieren muss. Den unsäglichen und schleichenden Niedergang der Innenstädte und den Exitus der Individualität sollte die gesamte Gesellschaft mit allen Mitteln verhindern. Um ihrer selbst willen.
Bürokratie
Was jedem Bürger bewusst ist, das wird für viele Unternehmer zu einem Albtraum. Der Bürokratismus. Beispiele gibt es zu Hauff. Aktenschränke ließen sich mit bemerkenswerten, teils erschreckenden, teils nahezu humorvollen Anekdoten dazu füllen. Die völlig überbordende Bürokratie, die wie der Geist, der aus der Flasche entwich, belastet inzwischen jeden Gewerbetreibenden, Handwerker, mittelständischen Betrieb. Doch es geht nicht nur um Ärger und zeitlichen Aufwand. Es geht auch um den finanziellen „Schaden“, der dadurch hervorgerufen wird. Es sind etliche Milliarden Euro, die komplizierte Vorschriften, teure Gesetze, widersprüchliche Verwaltungsanforderungen aber auch unsinnige Vorschriften an unnötigen Kosten verursachen. Hinzu kommen komplexe Planungs-, Genehmigungs- und Gerichtsverfahren, die bis zu zehn Jahre und mehr in Anspruch nehmen. Seit jeher beklagen sich Bürger und Wirtschaft über das Bürokratiemonster. Es kann und darf einfach nicht sein, dass ein Unternehmer, der Eigeninitiative zeigt und beispielsweise in ein Blockheizkraftwerk und eine Biogasanlage investieren möchte, mehr als ein Jahr mit der KfW im Clinch liegt. Um der Gerechtigkeit willen mag gesagt sein, dass sich die KfW in veritabler Gesellschaft befindet – will heißen, bei allen anderen Behörden und Institutionen ist es nicht viel besser. Was selbstverständlich keinesfalls ein Trost sein kann, sondern eher als weiteres Frustrationspotential angesehen werden muss.
Stil
Der Stil und der Umgang miteinander haben in unserer teilweisen kalten Gesellschaft meinem Empfinden nach stark nachgelassen und gelitten. Dies ist äußerst bedauerlich. Bemerkenswert, wenn der Leiter eines Bankinstitutes auf eine freundliche Einladung in folgender, wenig niveauvollen Form antwortet: Keine persönliche Anrede. Beleidigte, schroffe Absage und keine Grußformel. Über die Motivation eines solchen Verhaltens lässt sich lediglich spekulieren. Und dann gibt es da noch einen Bundestagsabgeordneten, den ich höflich um ein Gespräch bat. Und das mehrfach. Sowohl telefonisch wie auch per E-Mail. Es ging um wichtige wirtschaftliche wie politische Themen. Doch der Abgeordnete, der vor der Wahl gerne zu sprechen war, will sich nun nicht mehr mit mir unterhalten. Will er mich für was auch immer strafen? Es entzieht sich jedenfalls meiner Kenntnis. Mir sind solche Verhaltensweisen unverständlich – gerade in einer Zeit, in der persönliche Befindlichkeiten und Eitelkeiten keine Rolle spielen sollten. Teamwork, Zusammenhalt und gemeinsame Krisenbewältigung in konstruktiver Art sind gefragt, meine Herren. Über den völlig aufgeblähten Bundestag, die stattlich ausgestatteten Landtage, Ministerien und weitere Behörden sowie die Einkommen unserer politischen Vertreter berichte ich in dem vierten und letzten Teil. +++ Klaus H. Radtke