Kinderhilfswerk will zügige Einführung von Kindergrundsicherung

Vor dem Hintergrund des Haushaltsstreits in der Ampel fordert das Deutsche Kinderhilfswerk eine zügige Umsetzung der sogenannten „Kindergrundsicherung“, um Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. „Die Kindergrundsicherung muss aus den internen Streitereien der Ampel-Koalition unbedingt herausgehalten werden“, sagte Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Kinderhilfswerkes, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Kritik von Finanzminister Christian Lindner (FDP), es gebe noch kein Konzept zur Kindergrundsicherung, wies er zurück: „Es liegen seit vielen Jahren Konzepte über die Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung auf dem Tisch, und auch die vom Bundesfamilienministerium im Januar vorgelegten Eckpunkte sind eine gute Ausgangslage, um die Kinderarmut in Deutschland spürbar zu senken“, sagte Hofmann.

„Darauf kann die Bundesregierung aufbauen und möglichst zügig zu einer Lösung kommen.“ Man sehe anhand der niedrigen Quoten de r Inanspruchnahme beim Kinderzuschlag und beim Bildungs- und Teilhabepaket, dass der bisherige „Förder- und Antragsdschungel“ bei den Sozialleistungen für Kinder und Jugendliche beseitigt werden müsse, erklärte er weiter. Es sei wichtig, dass wir über die Kindergrundsicherung möglichst alle Kinder erreichen und ihren Familien einen diskriminierungsfreien Zugang zu dieser staatlichen Unterstützung anbieten. „Deshalb brauchen wir niedrigschwellige, unbürokratische Zugänge, die Kinder nicht als Sozialleistungsempfänger klassifizieren“, sagte Hofmann. Die Ampel-Koalition diskutiert aktuell über die Aufstellung der Eckpunkte für den nächsten Haushalt. Dabei geht es auch um Ausgestaltung und Volumen der von Familienministerin Lisa Paus geplanten Kindergrundsicherung. Das Deutsche Kinderhilfswerk und andere Verbände dringen auf eine schnelle Umsetzung. „Kinderarmut ist seit sehr vielen Jahren ein gesellschaftlicher Skandal, der auch schon vor der aktuellen Zuwanderung durch den Ukraine-Krieg bestand“, sagte Hofmann. Er wies damit Äußerungen Lindners zurück, nach der Kinderarmut vor allem durch Zuwanderung gestiegen sei. „Unabhängig von der Herkunft hat sich Deutschland durch die UN-Kinderrechtskonvention dazu verpflichtet, jedem Kind ein Aufwachsen in sozialer Sicherheit zu ermöglichen.“ Gerade auch aus der wirtschaftlichen Perspektive empfehle es sich, kein Kind zurückzulassen. „Deshalb sind jegliche Sündenbock-Diskussionen kontraproduktiv und schaden dem gemeinsamen Ansinnen, Deutschland zu einem kinderfreundlicheren Land zu machen“, so Hofmann. Zusätzlich zur Einführung der Kindergrundsicherung fordert das Kinderhilfswerk kurzfristige Unterstützung für Familien in Form einer signifikanten Erhöhung der Transferleistungen. Ohne diese werde es „bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland einen drastischen Rückschlag geben“, sagte Hofmann.

Grüne bestehen auf Kindergrundsicherung

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour besteht auf die Einführung der sogenannten „Kindergrundsicherung“, deren Finanzierung Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zuletzt zurückgewiesen hatte. „Wir sind uns in der Koalition einig, dass es gleiche Chancen für alle Kinder braucht und dass wir Kinderarmut Einhalt gebieten wollen“, sagte Nouripour dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Dafür ist die Kindergrundsicherung das zentrale Instrument.“ In Anspielung auf den Koalitionsvertrag, in dem die Kindergrundsicherung enthalten ist, fügte Nouripour hinzu: „Diese Vereinbarung gilt.“ Viele Familien erhielten bisher gar nicht die Leistungen, die ihnen zustünden, und viele Kinder seien nicht ausreichend abgesichert. Der Grünen-Politiker zeigte sich daher „sicher, dass wir in der Koalition weiter gemeinsam daran arbeiten, die Umsetzung auf den Weg zu bringen“. Lindner hatte dem Nachrichtenportal „T-Online“ zuvor gesagt: „Nicht alles, was wünschenswert ist, geht sofort.“ Auch fehle für die Kindergrundsicherung ein Konzept. Aus seiner Sicht gehe es vor allem um die Digitalisierung und Vereinfachung der Förderung von Kindern, und nicht notwendigerweise um mehr Geld, so der FDP-Chef. Bei der Kindergrundsicherung sollen diverse Leistungen vom Kindergeld über den Kinderzuschlag bis hin zur finanziellen Unterstützung für Klassenfahrten und Freizeit gebündelt werden. Viele Familien beantragen Leistungen bislang wegen Unkenntnis oder bürokratischer Hürden nicht. Familien und ihre Kinder sollen ab 2025 von der Grundsicherung profitieren. Die Kosten würden nach jetzigem Stand bei über zehn Milliarden Euro liegen.

DGB erwartet hohe Mehrkosten

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) rechnet für die Einführung einer Kindergrundsicherung mit jährlichen Mehrausgaben von 12,5 Milliarden Euro. Das ergibt sich aus einem Thesenpapier des DGB-Bundesvorstandes, über das die Zeitungen des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ in ihren Mittwochausgaben berichten. Demzufolge sollte die Kindergrundsicherung laut DGB aus zwei Komponenten bestehen: einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist, und einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbetrag. Ziel müsse auf jeden Fall sein, dass die bisher zersplitterten Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen würden – dies sei etwa beim Kinderzuschlag nur zu 30 Prozent der Fall – und die Kindergrundsicherung höher liege als die bisherigen Gesamtleistungen, heißt es in dem Papier weiter. Das DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel sagte dem RND: „Eine Kindergrundsicherung, die Kinderarmut bekämpft, wird Geld kosten. Aber Kinder in Armut zu lassen, wird mit Sicherheit noch sehr viel teurer. Kinderarmut verhindert nicht nur individuell Erfolge und Aufstiegsmöglichkeiten Heranwachsender. Fehlende Armutsbekämpfung hat auch hohe gesellschaftliche Folgekosten.“ Die veranschlagten Mehrkosten von 12,5 Milliarden Euro seien deshalb „gut investiertes Geld“. Zur Finanzierung müssten große Vermögen und Einkommen „endlich stärker herangezogen werden“. Leistungen zu bündeln und die Zugangshürden für Familien abzubauen, werde nicht ausreichen, betonte Piel. „Die Kindergrundsicherung muss höher sein als die heutigen Sätze für Kinder beim Bürgergeld. Regelsätze auf Kosten der Zukunft von Kindern kleinzurechnen und bestimmte Ausgaben als nicht regelsatzrelevant herauszustreichen, ist ein Irrweg.“ Beim Bürgergeld liegen die Sätze für Kinder bis 5 Jahren bei 318 Euro, zwischen 6 und 13 Jahren bei 348 Euro sowie zwischen 14 und 17 Jahren bei 420 Euro.

Sozialverband SoVD fordert mehr Geld

Im Streit um die Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung hat der Sozialverband Deutschland (SoVD) Forderungen der Grünen nach mehr Haushaltsmitteln bekräftigt. Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ): „Wir brauchen jetzt eine schnelle Umsetzung der Kindergrundsicherung, und dafür muss natürlich auch Geld in die Hand genommen werden. Dass nun Teile der FDP und der Bundesfinanzminister die Handbremse ziehen, ist beschämend.“ Die Bekämpfung von Kinderarmut müsse „ganz oben auf der politischen Agenda stehen“. „Kinder sind unsere Zukunft, und ihre Chancengleichheit sollte uns jeden Cent wert sein. Umverteilen muss die Antwort auf die Frage sein, wie das finanziert werden kann“, sagte Engelmeier. Zuvor hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner darauf verwiesen, dass die Haushaltsmittel begrenzt seien. Steuererhöhungen lehnt die FDP ab. Die Kindergrundsicherung soll ab 2025 ausgezahlt werden und bisherige Familienleistungen bündeln.

Linke kritisiert Lindners Blockade

Nach dem Veto von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gegen zusätzliche Gelder für die sogenannte „Kindergrundsicherung“ kommt von der Linken Kritik. „Zu einer Politik, die den Superreichen nimmt und armen Kindern gibt, fehlt Christan Lindner der Wille“, sagte Linken-Vorsitzender Martin Schirdewan. „Seine Aussage, das gehe nicht, offenbart nur eins: Das kalte Herz des Finanzministers.“ Dass sich SPD und Grüne „diese Politik der sozialen Kälte“ bieten ließen, sei bezeichnend, so Schirdewan. „Es zeigt, dass die Ampel-Regierung nur für die Reichen Fortschritt bedeutet.“ Im Koalitionsvertrag hatten die Ampelparteien beschlossen, die Kindergrundsicherung solle „bisherige finanzielle Unterstützungen“ bündeln und ein „neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern“. Laut Business Insider soll das Familienministerium unter der Leitung von Lisa Paus (Grüne) für das Vorhaben mittelfristig elf Milliarden Euro bei Lindner ersucht haben. Schirdewans Oppositionspartei will möglicherweise entstehende Mehrkosten durch Steuern für „Superreiche“ finanzieren. „Wir können die wachsende Armut von Kindern mit der Kindergrundsicherung bekämpfen, wir können sie sogar abschaffen. Es ist einfach möglich, das dafür benötigte Geld mit einer Vermögens- und Erbschaftsteuer bei den Superreichen oder einer echten Übergewinnsteuer bei den Konzernen zu holen“, sagte der Linken-Vorsitzende. „Das würde Millionen Kindern helfen. Dass sich einige Reiche dafür dann eine Luxusjacht weniger leisten können, sollte es uns wert sein.“ +++