Juncker: „Habe von Angela Merkel gelernt“

Juncker will Ende von Einstimmigkeits-Gebot

Jean-Claude Juncker
Jean-Claude Juncker

Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich nach eigenen Worten Einiges von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgeschaut. „Ich habe Bedächtigkeit von ihr gelernt. Sie lebt nach dem Prinzip, dass die Kraft in der Ruhe liegt“, sagte Juncker dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“: „Ich habe versucht, mir davon ein paar Scheiben abzuschneiden. Ich bin gelassener und ruhiger geworden.“ Das halte ihn aber nicht davon ab, „aus der Kiste zu springen, wenn es nötig ist“, sagte Juncker weiter. Merkel denke die Dinge vom Ende her, so der Luxemburger: „Sie nähert sich den Sachen naturwissenschaftlich an.“ Im Gegensatz zur Bundeskanzlerin sei der französische Staatspräsident Emmanuel Macron „spontaner und zugreifender“, sagte Juncker: „Aber das führt nicht immer und nicht unbedingt zu einem besseren Ergebnis.“ Allerdings räumte Juncker ein, dass es in der griechischen Euro-Krise zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und Merkel kam.

Juncker sagte: „Als ehemaligen Chef der Euro-Gruppe und dann als Kommissionspräsident hat es mich aufgeregt, dass einige Regierungen in Europa offenbar gar kein Problem damit gehabt hätten, Griechenland aus der Eurozone zu schmeißen.“ Das wäre der Beginn „eines Zersetzungsprozesses gewesen, dessen Folgen man nicht abschätzen konnte“. Deswegen habe er sich „sehr dafür eingesetzt, dass die Würde des griechischen Volkes wieder beachtet wird“, so Juncker: „Das ist viele Jahre lang vor allem im deutschsprachigen Raum nicht gemacht worden.“ Er habe mit Angela Merkel „immer einen regen und offenen Austausch gepflegt“, sagte Juncker dem RND. „Gegen Ende der Griechenlandkrise hat Merkel aktiv daran mitgewirkt, dass die richtigen Lösungen gefunden wurden. Ich lag mit ihr 2010/2011 über Kreuz, weil sie unbedingt wollte, dass der Internationale Währungsfonds beteiligt wird. Ich glaube aber, dass sie die Dinge inzwischen genauso sieht wie ich.“ Dagegen lobte Juncker die Art und Weise, wie Merke l die Flüchtlingskrise bewältigt habe. „Sie hat die Grenzen nicht geöffnet, das muss man offenbar immer wieder sagen. Im Gegenteil: Sie hat die Grenzen nicht geschlossen. Das ist ein gewaltiger Unterschied“, sagte Juncker. „Wenn Angela Merkel die Grenzen geschlossen hätte, was ja auch in Deutschland zeitweise zur Debatte stand, dann wäre in Österreich und in Ungarn eine unmögliche Situation entstanden. Dann wären Hunderttausende von Menschen in den Alpen und auf dem Budapester Bahnhof festgesessen“, so der EU-Kommissionspräsident: „Also statt Frau Merkel zu kritisieren, sollte sich Herr Orbán lieber bei ihr bedanken.“

Juncker will Ende von Einstimmigkeits-Gebot

Noch-EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat die Mitgliedsstaaten der EU aufgefordert, das Einstimmigkeitsgebot in außenpolitischen Fragen aufzugeben. Das solle allerdings nicht in allen Fällen gelten. „Es wird zum Beispiel nie eine europäische Instanz geben, die über die Entsendung deutscher Soldaten in einen Auslandseinsatz entscheidet. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und so wird es auch bleiben“, sagte Juncker dem Redaktionsnetzwerk weiter. In anderen Fällen müsse allerdings das Einstimmigkeitsgebot fallen, sagte Juncker weiter: „Das gehört dazu, damit Europa weltpolitikfähig wird.“ Mehrheitsentscheidungen verhinderten, „dass wir auf internationaler Bühne sprachlos sind“, sagte der Luxemburger. „Heute reicht es ja leider schon, dass sich ein Mitgliedsland gegen Sanktionen ausspricht, und schon gibt es diese Sanktionen nicht. Das ist nicht gut. Mit diesen Regeln tun wir uns sehr schwer, in der Welt zur Ke nntnis genommen zu werden.“ Außerdem forderte Juncker mehr Kompetenzen für die EU-Kommission bei der Koordinierung der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik. Es gehe nicht darum, einen Gegenpol zu den Nationalstaaten zu bilden, „sondern um eine Gleichberechtigung bei der Wirtschaftskoordinierung im Verhältnis zu der Europäischen Zentralbank zu erzielen, die ja für die Währungspolitik zuständig ist“, sagte Juncker dem RND. +++