Hessen kann den aktuellen Bedarf an Kita-Plätzen auch bis 2030 voraussichtlich nicht decken Zehn Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf eine Tagesbetreuung für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr gibt es in Hessen noch immer zu wenige Kita-Plätze. Neuen Berechnungen zufolge wird es auch bis 2030 nicht gelingen, den aktuellen Platzbedarf zu erfüllen sowie eine bessere Personalausstattung zu erreichen. Gütersloh, 28. November 2023.
In Hessen liegt die Quote der unter dreijährigen Kinder in Kindertagesbetreuung mit 33 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt (36 Prozent). Tatsächlich wünschen sich jedoch 48 Prozent der Eltern für ihr Kind in dieser Altersgruppe eine Betreuung. Bei den ab Dreijährigen liegt die Betreuungsquote mit 91 Prozent nur knapp unter dem Bundesdurchschnitt (92 Prozent). Allerdings haben hier 98 Prozent der Eltern Bedarf an einer Kindertagesbetreuung. Im Ergebnis fehlen in dem Bundesland 41.200 Kita-Plätze, um die Bedarfe der Eltern zu decken. Das zeigen die Berechnungen der Bertelsmann Stiftung für das aktuelle „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“. „Hessen kann den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nach wie vor nicht bedarfsgerecht erfüllen. Die Kinder bekommen keinen Zugang zu frühkindlicher Bildung, während die Eltern Familie und Beruf schwieriger vereinbaren können“, sagt Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung.
Mangelnde Personalausstattung gefährdet Bildungsauftrag der Kitas
Gleichzeitig werden 73 Prozent der Kita-Kinder in Hessen in Gruppen mit nicht-kindgerechten Personalschlüsseln betreut. In den Krippengruppen ist eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft rechnerisch für 3,6 ganztagsbetreute Kinder zuständig. Das ist etwas ungünstiger als der Westwert von 1 zu 3,4 und verfehlt das von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Verhältnis von 1 zu 3. In den Kindergartengruppen ist eine Fachkraft rechnerisch für 8,8 Kinder verantwortlich. Dies ist ungünstiger als das Westniveau (1 zu 7,7) und auch als der von der Bertelsmann Stiftung empfohlene, kindgerechte Personalschlüssel von 1 zu 7,5 in dieser Gruppenform. „Wenn eine Fachkraft für mehr Kinder verantwortlich ist als wissenschaftlich empfohlen, leidet darunter die Qualität der pädagogischen Praxis. Es ist davon auszugehen, dass die Kitas in Hessen aktuell ihren Bildungsauftrag für die Mehrheit der Kinder nicht erfüllen können“, sagt Bock-Famulla. Dass die Kitas in Hessen eine bessere Personalausstattung benötigen, zeigt auch die Fachkraft-Kind-Relation. Sie spiegelt wider, wie viele Kinder eine Vollzeit-Fachkraft rechnerisch unmittelbar im Alltag betreut. „Wenn man Urlaubs- und Krankheitstage sowie Zeit für Teamgespräche, Vor- und Nachbereitung und Weiteres abzieht, ist davon auszugehen, dass im Schnitt nur zwei Drittel der Arbeitszeit für die eigentliche Bildung und Betreuung der Kinder zur Verfügung stehen“, erklärt Bock-Famulla. Für Hessen bedeutet das, dass bei einem Personalschlüssel von 1 zu 3,6 eine Fachkraft in den Krippengruppen 5,4 Kinder betreut. Um die Situation zu verbessern, benötigen die Kitas in Hessen deutlich mehr Personal. Laut dem aktuellen „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule“ der Bertelsmann Stiftung werden bis zum Jahr 2025 in dem Bundesland allerdings 7.500 Fachkräfte fehlen, nur um die Betreuungsbedarfe der Eltern zu decken. Auch bis 2030 besteht in Hessen nicht die Chance, die aktuellen Elternbedarfe zu erfüllen sowie die Personalschlüssel auf das West-Niveau zu verbessern. Es ist zudem davon auszugehen, dass die Zahl der Eltern, die ihre Kinder betreuen lassen möchten, weiter steigt. Das gilt vor allem für die Gruppe der Kinder unter drei Jahren.
Um die Kita-Krise kurzfristig abzumildern, sind neue Antworten gefragt
Um den enormen Personalmangel bereits jetzt zumindest abzufedern, müssten die vorhandenen Fachkräfte von nicht-pädagogischen Aufgaben entlastet werden, zum Beispiel durch Mitarbeitende in der Verwaltung und Hauswirtschaft. Auch die Gewinnung und Qualifizierung von Quereinsteiger:innen bleibt wichtig. Aber: „Aus der Forschung wissen wir, wie entscheidend die pädagogische Qualifikation des Personals für eine gute Kita-Qualität ist. Quereinsteiger:innen, die noch nicht pädagogisch qualifiziert sind, müssen deshalb berufsbegleitend mindestens das Ausbildungsniveau der Sozialassistenz erreichen“, mahnt Bock-Famulla. Zudem wäre eine Anpassung der Kita-Öffnungszeiten auf sechs Stunden täglich eine mögliche Maßnahme. Nach Berechnungen des Fachkräfte-Radars könnten die Kitas in Hessen dadurch bis 2025 die gegenwärtigen Platzbedarfe der Eltern erfüllen und die Personalschlüssel das bessere Westniveau erreichen. Laut der Kinderbetreuungsstudie 2022 des Deutschen Jugendinstitutes wünscht sich ein Teil der Eltern in dem Bundesland kürzere Betreuungszeiten, als vertraglich vereinbart sind. „Ein solches Vorgehen kann aber nur in Abstimmung zwischen Eltern, Träger und Kommune getroffen werden“, so Bock-Famulla. Zudem müssten Arbeitgeber die Arbeitszeiten von Eltern stärker an die Öffnungszeiten von Kitas anpassen. „Die Kita-Krise ist so weit fortgeschritten, dass sie neue Antworten erfordert. Allen Akteur:innen, insbesondere Politik und Arbeitgebern, muss klar sein: Der anhaltende Personalmangel in der frühkindlichen Bildung hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft“, betont die Expertin. +++