Zahlreiche Politiker haben sich mittlerweile alarmiert gezeigt anlässlich eines Vorfalls vor einem Lokal auf der Nordseeinsel Sylt, bei dem junge Menschen rechtsextreme Parolen sangen und zu dem der Staatsschutz mittlerweile Ermittlungen eingeleitet hat. „Diese Szenen sind verstörend und absolut inakzeptabel“, sagte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wer so rumpöbelt, ausgrenzt und faschistische Parolen schreit, greift an, was unser Land zusammenhält.“
Habeck erinnerte an die Feierlichkeiten zu 75 Jahre Grundgesetz. Deutschland habe es geschafft, zu einer starken Demokratie zu werden, die auf Respekt und Pluralität gebaut sei. „Das zu schützen ist unsere Aufgabe“, forderte der Wirtschaftsminister. „Solche widerlichen Pöbeleien dürfen keinen Platz haben.“ Zuvor hatten bereits Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Vorfall verurteilt. „Wer Nazi-Parolen wie Deutschland den Deutschen - Ausländer raus
grölt, ist eine Schande für Deutschland“, sagte Faeser den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Es stelle sich die Frage, „ob wir es hier mit Menschen zu tun haben, die in einer wohlstandsverwahrlosten Parallelgesellschaft leben, die die Werte unseres Grundgesetzes mit Füßen tritt“, so Faeser. Die Frage sei auch, welches hasserfüllte Klima solche Leute dazu ermutige, sich so abgrundtief rassistisch in aller Öffentlichkeit zu äußern. „Hier darf es keinerlei schleichende Normalisierung geben“, forderte die Ministerin. „Deshalb ist der laute Aufschrei, den es jetzt gibt, wichtig.“ Rassisten müssten neben möglichen strafrechtlichen Konsequenzen überall – im Freundeskreis, bei der Arbeit, im Sport – lauten Widerspruch erfahren. „Es ist wichtig, den Mund aufzumachen und gegenzuhalten gegen solchen Menschenhass.“
Linken-Parteichef Martin Schirdewan sieht in dem Vorfall auf Sylt auch ein grundsätzliches Problem in reichen Kreisen. „Offenbar begreift zumindest ein Teil des Nachwuchs derjenigen, die buchstäblich mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden, rassistische Spaltung und die Abwertung anhand von Herkunft als ureigenes Interesse“, sagte Schirdewan der „Rheinischen Post“. Anders als Neoliberale und Konservative gerne glauben machen würden, seien Rassismus und Demokratieverachtung „eben nicht nur ein Problem der unteren Klassen, im Gegenteil: Der Fisch stinkt vom Kopfe her“, so der Linken-Chef. „Mit dem Privatjet zur Party fliegen und dort im Suff die Abschiebungen derjenigen zu fordern, die all zu oft die schwere und schlecht bezahlte Arbeit in diesem Land machen, ist so schäbig wie bezeichnend.“
Auch aus den Ampelfraktionen kommt scharfe Kritik. „Johlende junge Menschen, die ohne Scham Nazi-Parolen in die Kamera brüllen, Hitlerbärtchen zeigen und sich dann zuprosten, widern mich an“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, der „Rheinischen Post“ (Samstagausgabe). „Die Grenzen des Sagbaren verschieben sich. Wir dürfen nicht zulassen, dass Räume entstehen, in denen Nazi-Parolen unwidersprochen bleiben.“ Es sei gut, dass sich die Polizei in Schleswig-Holstein der Sache nun angenommen habe. „Trotzdem braucht es auch ein gesellschaftliches Stoppschild. Mit Worten fängt es an, Taten folgen“, sagte Mast.
Die Parlamentsgeschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, kritisiert scharf, dass dem Gegröle von Nazi-Parolen kein Einhalt geboten wurde. Sie höre in dem Video „leider niemanden, der ein klares Stopp ausspricht“, sagte Mihalic der „Rheinischen Post“. „Bürgerlichkeit sollte sich nicht nur in den Lebensumständen ausdrücken, sondern auch in gelebter Zivilcourage. Es ist einfach widerlich, wie hier scheinbar privilegierte Menschen in Party-Stimmung ausländerfeindliche Nazi-Parolen grölen.“
Dass die Polizei die Ereignisse nun genau prüfe und gegebenenfalls auch ermittelt werde, sei gut. „Das Ganze zeigt, wie stark die Hetzparolen von AfD und Co in der Gesellschaft verbreitet sind und wie sie weiter transportiert werden“, sagte die Grünen-Politiker. Auch Mitglieder der schleswig-holsteinischen Landesregierung zeigten sich entsetzt über das Video. Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, es sei „kein dummer Jungenstreich, sondern schlimmstes Nazi-Gegröle erwachsener Leute auf offener Bühne, widerwärtig und ekelhaft“. Jetzt müssten strafrechtliche Ermittlungen folgen.
Auch Landesbildungsministerin Karin Prien (CDU) zeigte sich angewidert. Die Bilder seien „ein Zeichen von Wohlstandsverwahrlosung“, sagte sie dem RND. „In Schleswig-Holstein ist kein Platz für Ausländerfeindlichkeit. Ich freue mich, dass die Bar, in der diese Videos gemacht wurden, die Polizei bei den Ermittlungen unterstützen und den Grölenden Hausverbot erteilen will.“ Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß sagte der „Rheinischen Post“, die Gesänge seien absolut abstoßend und widerwärtig. „Ich erwarte, dass die zuständigen Stellen hart und konsequent durchgreifen.“ In Deutschland dürfe rechtsextremes Gedankengut keine Chance haben, so der CDU-Politiker.
Der Geschäftsführer des „Pony“-Club in Kampen, Tim Becker, will nach den Nazi-Gesängen in seinem Sylter Lokal den Song „Lamour Toujours" des italienischen DJs Gigi D
Agostino nicht mehr spielen. „Wir werden auch dazu anhalten, dass das auch andere Gastronomen nicht mehr machen“, sagte er dem TV-Sender „Welt“ am Freitag. „Das ist natürlich für den Künstler schade, aber wenn so ein Song wirklich missbraucht wird für so was, sollte man da keinen Nährboden geben.“ In Zukunft müsse man insgesamt ein Auge darauf haben, welche Songs gerade mit bedenklichem Inhalt umgetextet würden. In diesem Fall habe er das schlicht nicht gewusst, so Becker. „Wir wussten halt von diesem Lied wirklich nicht, dass das in diesem rechten Bereich so missbraucht wird und sind auch ein bisschen verärgert darüber. Aber es ist halt ein Lied, das von allen DJs immer mit benutzt wird.“
Er selbst und die Mitarbeiter des „Pony“-Clubs seien von dem Gesangs-Video „schockiert“ gewesen. Am Abend selbst habe das niemand mitbekommen. „Pfingsten ist eine der größten Veranstaltungen, die es auf Sylt gibt für die Gastronomie.“ Es seien circa 3.000 bis 4.100 Personen anwesend gewesen. „Man kann sich das vorstellen wie auf einem Konzert oder Festival, also auch von der Lautstärke. Und es gibt dann viele Leute, die auch mitsingen, die aber den normalen Text mitgesungen haben“, so Becker. Nach dem bereits erteilten Hausverbot kündigte Becker an, „natürlich auch noch mal zivilrechtlich zu schauen, wie wir da weitermachen können – das machen wir nächste Woche mit einem Rechtsanwalt“. +++