Generalmajor Andreas Henne zu Gast im Bildungsunternehmen Dr. Jordan

Henne: „Befinden uns aktuell in einem Zustand einer hybriden Bedrohung“

Generalmajor Andreas Henne

Generalmajor Andreas Henne, Kommandeur des Kommandobereichs und Stellvertreter des Befehlshabers des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, hat gestern im Bildungsunternehmen Dr. Jordan in Fulda vor rund 120 Schülern der Beruflichen Oberstufen und der Privaten Berufsakademie (BA) Fulda einen Einblick in die Arbeit der Bundeswehr gegeben und dabei die sicherheitspolitische Lage beleuchtet.

Professor Dr. Lothar Jordan

Auf den Konflikt im Nahen Osten Bezug genommen, sagte der Generalmajor, dass die Kämpfe im Gazastreifen auch Auswirkungen auf das Zusammenleben hier in Deutschland hätten. „Eine so ähnliche Situation mit Auswirkungen auf unsere Lieferketten gab es schon einmal. Das ist auch der Grund dafür, warum der Bundestag in seiner letzten Sitzungswoche beschlossen hat, die Fregatte ‚Hessen‘ – ins Rote Meer zu entsenden.“ Die deutsche Fregatte soll Handelsschiffe vor Drohnen-Angriffen der Huthi-Milizen schützen. „Das ist ein gefährlicher Einsatz, bei der die Fregatte so geschädigt werden kann, dass sie nicht mehr einsatzbereit ist“, so Henne. Ein weiterer Konflikt mit Auswirkungen auf den westlichen Handel insbesondere vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine sei nach Henne die „Konfliktregion China und Taiwan“. So beobachteten nach Henne die Chinesen ganz genau die Reaktion des Westens, wie weit man bereit sei, zu gehen, um Taiwan auf den Handel bezogen, für sich einzunehmen. China ließe politisch durchsickern, dass es „ihre Hoheitsgewässer“ sind, diese Handelsschiffe passieren müssen, die jedoch von chinesischer Seite aus nicht geduldet würden. Der Generalmajor führte den Schülerinnen und Schülern eindrucksvoll vor Augen, dass Taiwan für den Import, da dort 92 Prozent der für die westliche Welt benötigten Computerchips hergestellt werden, nahezu unabdingbar sei. „Wenn uns Taiwan wegbricht, dann bricht auch die Produktion von Computern und Autos und allem, was in irgendeiner Art und Weise mit Prozessoren korreliert, zusammen. Daher sei es wichtig, „in der Nähe von Magdeburg unser eigenes Computerchipwerk aufzubauen, um wenigstens gegenüber China und Taiwan und anderen Produzenten eine begrenzte Autarkie zu haben.“ Zur NATO sagte der Generalmajor: „Die Nordatlantische Allianz – kurz: NATO – versteht sich als politische und militärische Allianz. Sie zählt 32 Mitglieder und besteht seit 75 Jahren. Ihre Aufgaben sind die Abschreckung und Verteidigung sowie die Krisenprävention und das Krisenmanagement und die Kooperative Sicherheit. Im Artikel 5 des NATO-Vertrags ist verankert, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen alle Mitglieder verstanden wird. Sicherlich ist die NATO aber ein Wertebündnis, das für eine freie Welt mit demokratischen Wahlen steht.“

Blick in die Geschichte – das „Fulda Gap“

Nicht unerwähnt lassen könne man nach dem Kommandeur des Kommandobereichs, „wenn man nach Fulda komme und über den Artikel fünf des Nordatlantikvertrags spreche, das „Fulda Gap“. Ausgehend von seiner geografischen Lage und seiner naturräumlichen Beschaffenheit, erlangten Teile von Hessen mit dem Beginn des politischen Ost-West-Gegensatzes im „Kalten Krieg“ wichtige militärstrategische Bedeutung. Als ein zentrales Einfallstor der Panzertruppen des Warschauer Pakts gab die Fuldaer Senke des osthessischen Berglandes, die im amerikanischen Militär-Sprachgebrauch als „Fulda Gap“ bezeichnet wurde, den Weg frei für einen schnellen Vorstoß in Richtung Frankfurt am Main, um Westdeutschland an seiner schmalsten Stelle zu durchschneiden, ein zentrales Logistikzentrum der US-Streitkräfte auszuschalten, die Verteidigung des nord- und des süddeutsch en Raumes voneinander zu trennen und die von Bremerhaven aus südwärts verlaufenden amerikanischen Nachschubwege abzuschneiden. Hier erschien das militärische Kräftemessen an der innerdeutschen Grenze als besonders bedrohlich. Henne selbst war nach eigenen Aussagen das letzte Mal im November 1993 in Fulda, als die in Fulda stationierten US-Streitkräfte im benachbarten Bad Hersfeld (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) verabschiedet wurden. Mit der Verabschiedung galt für ihn persönlich der Kalte Krieg im Wesentlichen als beendet. In Vergegenwärtigung des Solidaritätsbündnisses und auf die umstrittene Äußerung von US-Präsident Trump, im Falle seines Wahlsieges nur die Länder schützen zu wollen, die das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen, brachte Henne Scholz Ausruf einer „Zeitenwende“ zur Sprache, die mit dem Investitionsvolumen von 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr ausgerufen worden sei. Er hoffe, dass dies wahrhaftig zu einer Stärkung der Bundeswehr führe.

„In Wahrheit leben wir bereits in einem Zustand einer hybriden Bedrohung“

Professor Dr. Wolfgang Dippel

Denjenigen, denen das bisher Gesagte zu lastig und zu komplex erschienen sei, denjenigen offerierte er gestern: „In Wahrheit leben wir bereits in einem Zustand einer hybriden Bedrohung. Unsere Systeme werden jeden Tag herausgefordert.“ Tagtäglich würden unsere Daten geklaut, Kreisverwaltungen lahmgelegt, Drohnen zur Ausspähung geschickt, oder die Infrastruktur (z.B. Deutsche Bahn) sabotiert. Auch der Anschlag auf das Tesla-Werk sei Sabotage. Niemand kann mehr verlässlich sagen, dass diejenigen, die dahinterstecken, nicht durch eine fremde Macht gesteuert sind. Cyberangriffe sind wir wirklich tagtäglich ausgesetzt, die unser Leben massiv beeinflussen können, zum Beispiel dann, wenn Kraftwerke vom Netz genommen werden. Die Manipulation unserer Netzwerke durch Russland vor zwei Jahren haben wir nur deshalb bemerkt, weil in der Nordsee plötzlich die gesamten Windkraftanlagen stillstanden, weil die zufällig über dieselben Netzwerke gesteuert werden, wie andere Sicherheitsinfrastrukturen in Deutschland auch.“ Zusammengefasst sagte Henne: Die Bedrohung steigt. Wir sind nicht mehr im Frieden – juristisch schon. Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind in einer hybriden Bedrohung und werden herausgefordert. Ziel der Cyberangriffe, die zu einem Großteil aus Russland kommen, sei nach Henne, die Bevölkerung für sich einzunehmen, damit diese ihre Solidaritätshaltung zur Ukraine zu hinterfragen mit der weiteren Zielsetzung, bei der nächsten Wahl, womöglich für politische Parteien zu stimmen, die eine andere Haltung zur Ukraine haben als demokratische Parteien. Demnach richte sich der Einschüchterungsversuch vonseiten der russischen Administration, der Ukraine nicht den Marschflugkörper Typ „Taurus“ zugänglich zu machen, weniger an die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und Abgeordneten im Deutschen Bundestag, sondern an die Bevölkerung. Zur Bundeswehr sagte Henne: „Der Kernauftrag der Bundeswehr ist die Landes- und Bündnisverteidigung. Aktuell hat die Bundeswehr 18 Einsätze und anerkannte Missionen auf drei Kontinenten mit etwa 2.200 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.“ In der Vergangenheit unterstützte die Bundeswehr in den Jahren 2015/16 bei der Flüchtlingshilfe, führte die militärischen Einsätze bei der Hochwasserkatastrophe 2021 im Ahrtal oder war mit 25.000 Soldatinnen und Soldaten mit an der Bewältigung der Corona-Pandemie beteiligt. Henne: „Wir haben Dinge getan, von denen ich nicht geglaubt hätte, dass wir sie tun dürfen. Wir haben in Senioreneinrichtungen Corona-Tests durchgeführt oder haben hier nur bestimmten Personengruppen Zutritt zu ihren Angehörigen verschafft. Mit den Gesundheitsämtern haben wir zum Beispiel die Quarantäne ausgerufen und auch sonst sehr eng mit den Behörden zusammengearbeitet. Dann kam der 24. Februar 2022, der russische Überfall auf die Ukraine.“ Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine sagte Generalmajor Henne, dass sich die Bundeswehr in Zukunft anders aufstellen müsse, robuster und dass man zum eigentlichen verfassungsgemäßen Auftrag zurückkehren müsse. In Wirklichkeit betrage die Finanzlücke bei der Bundeswehr nicht etwa 100 Mrd. Euro, sondern mindestens einmal das Fünffache. Dies sei nun mal Tatsache.

„Abhörpanne hätte nicht passieren dürfen“

Gespannt verfolgten die Oberstufenschüler des Beruflichen Gymnasiums, der Fachoberschule sowie die Studierenden der Privaten Berufsakademie (BA) Fulda der Fuldaer Privatschule den rund 30-minütigen Vortrag des Kommandeurs des Kommandobereichs und Stellvertreters des Befehlshabers des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr. In Vorbereitung auf den Besuch des Kommandeurs durch ihre Lehrer wirkten die Schüler vor dem Hintergrund der geopolitischen Lage und dem Weltgeschehen auf- und abgeklärt, auch, was die politischen Versäumnisse wie etwa dem „jahrelangen kaputtsparen der Bundeswehr“ oder „unserer Haltung gegenüber Israel“ anbetraf. Nach dem Vortrag von Generalmajor Henne oblag es den Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden, Fragen an den Referenten zu stellen. Eine Frage hatte den Taurus-Abhörskandal zum Gegenstand. Hierauf sagte der Generalmajor: „Das konnte zum einen dadurch passieren, da Russland ganz offensichtlich bei der Waffenmesse in Singapur Abhöraktionen gestartet hat für die einschlägigen Hotels, zum anderen konnte das passieren, weil Leitungen genutzt wurden, die nicht geheim waren. Es sind individuelle Fehler gemacht worden. Da gibt es überhaupt nichts schönzureden. Wir haben leider aber auch – und da lachen Sie mich jetzt bitte nicht aus – erst durch Corona gelernt, mit Webex und Co. umzugehen. Bei Webex sollte sich jedoch nicht jeder einhacken können, da dies verschlüsselt und für den Dienstgebrauch bestimmt ist. Wir brauchen aber einfach auch mehr digitale Kommunikationssysteme, mit denen wir geheim sein können, dann sollte so etwas nicht unbedingt passieren.“ Im Vorfeld wurde Generalmajor Andreas Henne von dem Vorstandsvorsitzendem und Namensgeber des Bildungsunternehmens Professor Dr. Lothar Jordan und dem Studienleiter der Privaten Berufsakademie (BA) Fulda, Fuldas früherem Bürgermeister und Schuldezernenten, Professor Dr. Wolfgang Dippel (Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration a.D.) begrüßt. Den Kontakt zur Schule hatte Wolfgang Dippel hergestellt, der den Major bereits über 30 und aus früheren Studienjahren kennt. +++ ja

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