Fußball, Fußball über Alles?

Vielleicht hat die Corona-Krise auch etwas Gutes

Das Corona-Virus wird uns noch einige Zeit mehr oder weniger stark im Griff haben. Wie lange – das kann keiner seriös voraussagen. Hiervon sind alle gesellschaftlichen Bereiche betroffen, so auch der Sport. Das mediale Interesse beschäftigt sich dabei in erster Linie mit den kommerziell getriebenen Großveranstaltungen. Im Vordergrund steht dabei, welcher wirtschaftliche Schaden entsteht und wie dieser minimalisiert werden kann. Müssen Veranstaltungen abgesagt werden oder ist es nicht besser, den Termin zu verschieben? Lieber ein Event in anderer Form als gar keines? Lieber Geisterspiele als gar keine?

Das Hauptinteresse gilt dabei dem Volkssport Nummer 1: Dem Fußball. An ihm wird die Absurdität der von Wirtschaftsinteressen getriebenen Diskussion deutlich. Die beiden Bundesligen sollen so bald wie möglich wieder mit den Spielen beginnen und sei es mit Geisterspielen. Sonst drohen wirtschaftliche Schäden, bis hin zu Insolvenz-en. Und das will ja keiner, zumindest nicht die vielen Millionen Fußballfans in Deutschland. Gesundheit hin, Gesundheit her. Für die Sicherheit der circa 300 Anwesenden bei Geisterspielen könne gesorgt werden.

Auf dieser Klaviatur spielt mittlerweile auch die Politik. Sind aber Geisterspiele wirklich die ultimative Lösung? Wer denkt dabei eigentlich an die Zuschauer, an die Fans, die ihre Mannschaft mit ihrer Unterstützung zum Sieg pushen können? Wer denkt an die anderen, professionellen Sportarten, die noch nicht beginnen dürfen? Wer denkt an die vielen Sporttreibenden, die ihren Sport ebenfalls wieder ausüben wollen? Sicherlich sind Profifußballvereine Wirtschaftsbetriebe und geraten somit, je länger die Krise dauert, in immer größere existenzielle Probleme. Das gilt allerdings auch für sehr viele andere Betriebe. Von den Nöten und Problemen der Bevölkerung, die von Kurzarbeit betroffen oder gar von Entlassungen bedroht sind, mal ganz zu schweigen.

Natürlich ist es angebracht und legitim darüber nachzudenken, wie der Profifußball die Krise ohne existenziellen Schaden überstehen kann. Was für alle anderen gesellschaftlichen Ebenen gilt, muss auch für den kommerziellen Sport gelten. Das gehört einfach zur Gleichbehandlung. Allerdings sollte genau überlegt werden, ob der Bundesliga eine herausragende Sonderrolle gewährt wird oder diese für sich selbst beanspruchen kann. Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Es ist doch wahrlich ein gewaltiger Unterschied, ob ein Spieler der 1. Bundesliga auf 20 Prozent seines Gehaltes verzichtet oder ein Arbeitnehmer/eine Arbeitnehmerin auf 40 oder 33 Prozent des Einkommens verzichten muss. Außerdem stehen hinter dem Profifußball finanzstarke Verbände wie der DFB, DFL, sowie UEFA und FIFA.

Können es die Verantwortlichen der Bundesligavereine und des DFB sowie der DFL wirklich verantworten, auch gesundheitspolitische Privilegien für sich zu gewähren? Was denkt man sich dabei, 20.000 Testmöglichkeiten für sich zu reservieren? Was ist, wenn diese woanders dringender benötig werden? Eine ethische Gratwanderung, die der Fußball verantworten und rechtfertigen muss.
Ja, Geisterspiele werden sein müssen. In außergewöhnlichen Zeiten sind auch außergewöhnliche Maßnahmen legitim. Aber wann damit begonnen wird, sollte genau überlegt werden, von den Vereinen, den Verbänden und der Politik!

Vielleicht hat die Corona-Krise auch etwas Gutes. Der turbokapitalistische Denkansatz in allen Bereichen unseres Lebens könnte endlich mal infrage gestellt werden, so auch im Fußball. Warum nicht die Profivereine dazu verpflichten, Rücklagen für derartige Ereignisse zu bilden? Warum nicht die Vermarktung des Produktes „Fußball“ (um in der Marketingsprache zu bleiben) auf ein vernünftiges Maß reduzieren, um die exorbitanten Ablösesummen und Gehälter einzudämmen? Oder warum nicht die Fernsehgelder gerecht unter den Vereinen verteilen? Fragen auf die Antworten gegeben werden müssen, wenn der Fußball seine Glaubwürdigkeit behalten will.

Übrigens: Ich selbst warte sehnsüchtig darauf, wieder Bundesligaspiele in vollen Stadien erleben zu können. Ich warte ebenso darauf, wieder spannende Amateurspiele zu sehen. Trotzdem, auch für mich gilt: Geduld haben! +++ dieter