„Fuldaer Rose“ an Familienzentrum Lutherkirche verliehen

Würdigung für vielseitiges soziales Angebot für alle Religionen und Glaubensrichtungen

Bernhard Lindner, Dr. Thomas Bobke und Pfarrerin Anke Mölleken von der Lutherkirche Fulda. (v.l.)

Das Familienzentrum Lutherkirche ist gestern vom SPD-Stadtverband Fulda im Stadtteilcafé Ostend / Ziehers-Süd mit der „Fuldaer Rose“ ausgezeichnet worden. Eigentlich hätte die Verleihung der Fuldaer Rose, die normalerweise immer im Rahmen des alljährlich stattfindenden „Marktes der Möglichkeiten“ in der Fuldaer Orangerie abgehalten wird, schon im März vergangenen Jahres stattfinden sollen. Aufgrund der seinerzeit hohen Infektionszahlen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie entschied man sich dazu, den Empfang zu verschieben. Mit der Fuldaer Rose oder auch dem „Preis für Zivilcourage“ werden Personen, Vereine oder Institutionen ausgezeichnet, die sich in besonderer Weise für das Gemeinwohl verdient gemacht haben. Zu den Preisträgern der letzten Jahre gehören u.a. der Fuldaer Palliativmediziner und Geschäftsführer der Deutschen PalliativStiftung, deren Sitz in Fulda ist, Dr. Thomas Sitte, Hildegard Hast vom Fuldaer Frauenbüro oder der Fuldaer Verein „Fulda stellt sich quer“ (gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit). Für den Stadtverband der SPD Fulda ist es die 29. Preisverleihung. Das erste Mal wurde die Fuldaer Rose im Jahre 2002 verliehen.

„Das heutige Familienzentrum Lutherkirche ist ohne einen Blick auf die Geschichte der Lutherkirche und ihres sozialen Umfeldes nicht erklärbar“, führte Laudator Bernhard Lindner aus. Der Sozialdemokrat weiter: „Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es zwei entscheidende Entwicklungen: Zum einen säkularisierte Napoleon die katholische Kirche mit ihren Klöstern und öffentlichen Einrichtungen. Nachdem dann Hessen-Kassel die Macht in Fulda übernahm, zogen viele Protestanten in die Barockstadt. Die evangelische Gemeinde wuchs. Zweitens – und das ist die nachhaltig wichtigere Entwicklung – war die Industrialisierung im Süden Fuldas. Dies zog viele Arbeitskräfte an, die zum großen Teil evangelischen Glaubens waren. Im ehemaligen Möbelhaus Fink und Vogel schräg gegenüber der Lutherkirche fanden Gottesdienste im damaligen ‚Wohnzimmer‘ statt. Auch diese Räumlichkeiten wurden zu klein. So wurde der Kirchenbau beschlossen und am heutigen Standort ein Grundstück gekauft. Ein feuchter Entenpfuhl mit Schutt und Müll aufgefüllt. Damit ein Kirchenbau stabil gegründet werden konnte, wurden Pfeiler in den weichen Grund gerammt, worauf dann der Kirchenbau hochgezogen werden konnte. 1934 wurde die Kirche eingeweiht. Der Chronik zur Kirche ist zu entnehmen, dass diese Zeremonie begleitet wurde durch Hitlergruß. Die Deutsche Kirche hinterließ ihre Spuren.

Ich bin dankbar, dass diese Zeit in der Chronik offen dokumentiert ist. Denn diese Zeremonie war späterer Anlass für das mutige Bekenntnis zur Bekennenden Kirche noch in Kriegszeiten. Dann kamen Flüchtlinge und Heimatvertriebene in die Stadt. Sie suchten Wohnung und Arbeit. Im Süden der Stadt fanden viele bei Mehler, im Emaillierwerk oder mittelständischen Unternehmen Arbeit. So festigte sich die Gemeinde der Lutherkirche. Wegen des Pfeilerbauwerkes war es nun möglich, unter dem Kirchenschiff einen Gemeindesaal einzurichten. Dies wiederum war die Grundlage für eine immer notwendig werdende Stadtteilarbeit. Menschen aus der Anonymität oder Einsamkeit zu holen, Hilfe zur Selbsthilfe waren wichtige Anliegen für den Gründer des Familienzentrums Pfarrer Mati Fischer. Seine Nachfolgerin, Pfarrerin Anke Mölleken, führte diese Arbeit fort. Im Laufe der Zeit entstanden eine Kita, familienunterstützende Maßnahmen. Das Diakonische ergänzte mit einer Nachmittagsbetreuung. Ziel war vor allem das Erlernen sozialer Kompetenzen.

Zentraler Treffpunkt ist das Mittagessen. War es anfangs 2015 das Broteschmieren, so ist es heute das Kochen einer täglichen warmen Mahlzeit für alle, die kommen, nicht nur Gemeindeglieder. So ist schon jetzt die Küchenarbeit auch Sprungbrett in den Arbeitsmarkt. Freude und Bewegung tragen ihren Teil zur erfolgreichen Begegnung im Südend bei: Zweimal die Woche trifft sich eine Zumba-Gruppe mitreißender Musik und viel Bewegung. Wer es ruhiger mag, kann mit Yoga entspannen. Neu hinzugekommen ist Capoeira, ein Training zur Selbstverteidigung. All dies ist nicht möglich ohne helfende Hände und planende Köpfe. Deshalb geht unser Dank und Anerkennung an das Küchenteam mit sieben Frauen, an drei Hausmeister, zwei Alleskönner und 10 Ehrenamtliche. Sie werden beraten, betreut und unterstützt von fünf Hauptamtlichen (u. a. der Pfarrerin, den Mitarbeiterinnen des Pfarrbüros, der Sozialpädagogin).“

Pfarrerin Anke Mölleken vom Familienzentrum Lutherkirche erinnerte gestern an die St. Martins-Geschichte, mit dieser sie vor wenigen Wochen vielmals in Kindergärten konfrontiert gewesen ist. „Dieses Darlehn“, so Mölleken, „war mir in diesem Jahr ganz besonders wichtig als ich in Kindergärten in verschiedenen Gruppen Kindern die St. Martins-Geschichte erzählt habe. Ich glaube, dass die Geschichte vom Heiligen Sankt Martin dafür steht, was uns in der Gesellschaft ein bisschen verloren gegangen ist und wir daher umso mehr benötigen. Ich meine, dass wir uns alle gegenseitig wieder etwas mehr wahrnehmen müssen mit Bedürfnissen, die jede und jeder hat und auch mit Ängsten, die jede und jeder von uns hat. Dass wir uns alle wieder etwas mehr wahrnehmen, würde ich mir für unsere Gesellschaft wünschen.“ Die Pfarrerin weiter: „Die Lutherkirche hat sich unter meinem Vorgänger zur Aufgabe gemacht, alle Menschen, die um unsere Kirche herum wohnen, wahrzunehmen. Das sind natürlich in erster Linie unsere Gemeindemitglieder, die die kirchlichen Angebote treu und gerne wahrnehmen. Darüber hinaus sind dies aber auch Mitglieder der Katholischen Kirchengemeinde St. Sturmius, die bei uns gegenüber verortet ist. Aber auch die Jüdische Gemeinde und die zwei Moscheen. Auch zu ihnen haben wir von der Lutherkirche Kontakt. Diese Menschen nehmen wir wahr und gestalten unser Miteinander hier im Stadtteil. Dann sind das aber auch Familien, die unseren Kindergarten aufsuchen. Das ist zwar ein evangelischer Kindergarten, der aber nicht nur von evangelischen Kindern besucht wird. Auch hier bildet sich das Südend in voller Vielfalt ab.“

Weiter ging Pfarrerin Anke Mölleken gestern Nachmittag auf die großen Herausforderungen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ein. Insbesondere für die Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind und in der Fuldaer Frankfurter Straße in einer großen Asylunterkunft untergebracht sind, bedeutete Corona eine große Herausforderung. „Und auch gegenüber diesen Menschen haben wir eine Verantwortung“, so Pfarrerin Anke Mölleken. „Darüber hinaus gibt es viele große und kleine Schicksale von Menschen, die im Fuldaer Südend wohnen. Das ist der Stadtteil, auf den wir uns konzentrieren, aber natürlich gehören zur Lutherkirche auch noch mehr Stadtteile. Und gemeinsam mit all diesen Menschen probieren wir eben unser Leben auf dem Gelände zu gestalten. Zusammen sind wir daher der Hafen Lutherkirche.“ Zur Bedeutung dieses Namens und zur Mission des Familienzentrums Lutherkirche sagte Pfarrerin Mölleken: „Wir wollen ein Ort sein, wo Menschen ankommen können, wo sie Anker schlagen können, wo sie auch manchmal stranden und dort einen Punkt finden, wo sie an Land kommen, wo sie wieder festen Boden unter den Füßen kriegen, wo sie gestärkt werden und eben auch wieder weiterlaufen können auf ihrem Weg.“

„In den letzten anderthalb Jahren war es allerdings eine Herausforderung. Wir haben allerdings auch sehr viel profitiert, indem wir einfach neue Wege gehen und denken mussten. ‚Satt und selig‘ war vor Corona ein reiner Kontakt-Mittagstisch. Wir haben dieses Angebot um ein warmes Mittagessen zum Mitnehmen erweitert und haben dadurch sehr viel mehr Zulauf bekommen. Bei unserer Hafenarbeit ist es sehr schön, wenn man auch einmal ‚von außen‘ wahrgenommen wird und man selber einmal derjenige ist, dem etwas zuteilwird. Wir freuen uns wirklich sehr über diese Auszeichnung. Es ist schön, wenn man die ganze Zeit damit beschäftigt ist, sich für andere einzusetzen und jemand anderes sich dann für einen selbst einsetzt, ihn überrascht. Wir hoffen natürlich sehr, dass wir der Auszeichnung auch gerecht werden. Wir werden uns weiter darin bemühen, um auch in Zukunft, insbesondere in den kommenden Wintermonaten mit allen Herausforderungen, die damit verknüpft sind, ein verlässlicher Standort im Südend zu sein und Menschen Hilfe anzubieten, die Hilfe benötigen.“

Zur Lutherkirche erklärte Pfarrerin Anke Mölleken: „Die Lutherkirche ist eine evangelische Kirchengemeinde und wir gefördert von der Stadt Fulda als Stadtteiltreff, vom Land Hessen als Familienzentrum und von der Diakonie Hessen als Projekt, das Menschen Hilfe anbietet, die Hilfe benötigen. Und weil das alles so komplex ist, haben wir uns darauf verständigt, dass wir einfach der Hafen Lutherkirche sind.“ Pfarrerin Mölleken wurde gestern begleitet von Kira Stein, Sozialwissenschaftlerin und Projektkoordinatorin bei der Lutherkirche, von Reiner Heil, Nadine Mehl, Florian Mehl und Sabine Auth vom Kirchenvorstand sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kochteams. +++ jessica auth

Sie können uns jederzeit Leserbriefe zukommen lassen.

Diskutieren kann man auf Twitter oder Facebook

Hier können Sie sich für den fuldainfo Newsletter anmelden. Dieser erscheint täglich und hält Sie über alles Wichtige, was passiert auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbestellen. Auch ist es möglich, nur den Newsletter „Klartext mit Radtke“ zu bestellen.

Newsletter bestellen