Freispruch für Fuldaer Unternehmen Green Pioneers

Dr. Szymon Mazur

Das Strafgericht am Amtsgericht Fulda unter Vorsitz des Einzelrichters Dr. Szymon Mazur entschied heute zu Gunsten  „Green Pioneers“ (AG Fulda, Urteil vom 9. Februar 2023 – 21 Ds 1151 Js 684/21). Die Startup-Unternehmer Philipp Gärtner, Kerim Viebrock und Marc Graf wurden vom Vorwurf des fahrlässigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln freigesprochen. Hintergrund war der von der Staatsanwaltschaft Fulda erhobene Verdacht, dass der von den Jungunternehmern betriebene gewerbsmäßige Verkehr von Cannabis-Produkten mit Hanftees, Speiseölen aus Hanf oder Krafttropfen mit Cannabidiol (CBD) illegal sei. Während bei den Hanftees und Speiseölen sich bereits im Vorfeld der Ermittlungen der Verdacht der Staatsanwaltschaft nicht erhärten konnte, ging es heute um vier Produkte, welche der Staatsanwalt Patrick Greyer in seinem Eingangsplädoyer aufgriff. Für die Unternehmer waren der Kölner Rechtsanwalt Ingo Lindemann, der Düsseldorfer Rechtsanwalt Lito M. Schulte und der Paderborner Rechtsanwalt Kai-Friedrich Niermann, welche sich auf dem Gebiet Cannabis spezialisiert haben, vor dem Amtsgericht in Fulda aufgetreten.

Missbräuchlicher Rauschzweck der Produkte stand im Raum

Philipp Gärtner im Gespräch mit seinem Verteidiger Lito Schulte.

Fraglich war, ob eine missbräuchliche Rauschwirkung durch die vier Cannabis-Produkte, unter anderem „Hanf Krafttropfen, 420mg“, herbeigeführt werden könnte. Als Sachverständiger wurde Dr. Florian Veit vom Institut für Rechtsmedizin angehört. Er stellte das Gutachten eines Kollegen vor, der krankheitsbedingt nicht zur Verhandlung kommen konnte. Demnach seien 15 Milligramm (mg) der berauschenden Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) notwendig, um einen Rausch zu erleben –wobei auch das Einschlafen bereits als psychoaktive Rauschwirkung gezählt wurde, obwohl sie eine psychotrope Wirkung hat. Diese Menge ergebe sich bei drei Flaschen Hanf Krafttropfen mit jeweils 10 Milliliter (ml) Flascheninhalt. Der höchste Anteil an THC lag bei den beanstandenden Produkten bei 0,19 Prozent. Zu beachten sei aber, dass es beim Erhitzen zu einem Verlust von THC komme, so Veit. Beim Rauchen seien dies 50 Prozent und beim Backen von Brownies oder Kuchen 80 Prozent. Dementsprechend brauche man beim Rauchen sechs Flaschen und beim Backen 15 Flaschen, wobei es hier um theoretische Höchstwerte handle und der tatsächliche Wert von verschiedenen Faktoren abhänge. Dazu zählt die Bioverfügbarkeit bei jedem Einzelnen, also was im Endeffekt im Blutkreislauf landet. Dabei sei Rauchen effektiver, wieder Verzehr.

Um den gleichen Rausch mit den Hanf Krafttropfen zu erzielen, wie durch einen Joint mit hochwertigem Gras, müsse man 30 Flaschen konsumieren, machte Veit deutlich. Dazu komme aber eine Besonderheit bei CBD-Produkten, zu der Rechtsanwalt Niermann den Sachverständigen Veit befragte. Demnach ergeben aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse einen Hinweis darauf, dass THC und CBD im Körper auf die gleichen Rezeptoren andockt. Durch die hohe Konzentration an CBD blieb dem THC weniger Möglichkeit an die Rezeptoren anzuschließen, wodurch nur eine geringere Menge THC überhaupt eine berauschende Wirkung entfalten könne. Durch diesen dämpfenden Effekt, seien 60 Flaschen von den Hanf Krafttropfen erforderlich. Als aktivierender Trägerstoff seien zudem Fette notwendig. Außerdem könne der THC-Gehalt nicht immer vollwertig berücksichtigt werden, da die THC-Säure ein inaktiver Bestandteil des THC sei, welcher überhaupt erst durch Erhitzen aktiviert werde, wodurch es aber schon zu dem beschriebenen Verlust komme. Da die Hanf Krafttropfen für 30 Euro verkauft wurden, wäre bei diesem eher theoretischen Ansatz durch einen Kauf von 30 Flaschen eine Investition von 900 Euro erforderlich, hingegen der Joint bei einem Straßenpreis von 10 Euro bereits erhältlich. „Wir haben keine Ausführungen gehört, wie man sich mit den Produkten sinnhaft berauschen kann“, sagte Rechtsanwalt Lindemann im Gerichtssaal.

Es gilt das Gesetz zu verteidigen

Sichtlich erleichtert nach dem Freispruch: Marc Graf, Kerim Viebrock, Philipp Gärtner. (v.l.)

Richter Mazur und Staatsanwalt Greyer wiesen während der Verhandlung darauf hin, dass das geltende Gesetz zur Tatzeit anzuwenden ist. Die Cannabis-Unternehmer hatten bereits einen Tag zuvor auf ihrer Pressekonferenz auf die beabsichtigte Legalisierung von Cannabis in Deutschland hingewiesen und die Frage aufgeworfen, wieso man jetzt noch mit voller Härte des Gesetzes bestrafen muss, wenn es in der Gesellschaft in Deutschland bereits einen breiten Konsens für die Legalisierung von Cannabis gibt. „Obwohl wir politisch und gesellschaftlich kurz vor einer Legalisierung von Cannabis entstehen. Also sogar selbst berauschenden Hanf für Genusszwecke freigeben wollen. Sollte es dann nicht jetzt möglich sein, de facto rauschfreien Nutzhanf und seine Erzeugnisse zu vermarkten ohne Maßnahmen der Justiz fürchten zu müssen?“, schrieben sie in einer am Vortag veröffentlichten Pressemitteilung. „Mittlerweile ist es viel mehr eine aktivistische als unternehmerische Arbeit.“, hieß es auf der Pressekonferenz, und dies war nicht geplant, sondern den Umständen geschuldet, sagen sie. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen Aktionismus vor. Staatsanwalt Greyer bemängelte die aggressive Pressearbeit des Unternehmens und wies explizit auf die gestrige Pressekonferenz von Green Pioneers hin. Dort hat Gärtner wiederholt von gesundheitsfördernden Eigenschaften der Produkte gesprochen – aber auf der anderen Seite schließe er eine Rauschwirkung aus. Somit würden stets nur die vorteilhaften Argumente hervorgebracht. Verteidiger Lindemann hielt dem entgegen, dass Aktionismus nicht strafbar sei. Mit Blick auf die Gesetzesgültigkeit und die Bindung des Richters daran, lässt sich diese in Artikel 20 Absatz 3 und Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) finden. Gesetze für ungültig erklären, kann aber nur das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Und dort sind derzeit vier Fremdverfahren, unter anderem eine Richtervorlage vom Bernauer Amtsrichter Andreas Müller, anhängig. Die Verteidigung rechne um Ostern mit einer Entscheidung oder einem Signal zum Thema Cannabis aus Karlsruhe zu den vier Fremdverfahren.

Rechtsfrage eigentlich schon geklärt

Die Frage, mit der sich das Gericht heute beschäftigen musste, ist nicht neu und auch längst höchstrichterlich entschieden. Bereits im März 2021 entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe über einen ähnlichen Fall aus dem Raum Braunschweig und kippte dabei eine Entscheidung des Landgerichts Braunschweig und sprach diese in der letzten Instanz frei (BGH, Urteil vom 24. März 2021 – 6 StR 240/20). Das Gericht unter Vorsitz des Einzelstrafrichters Mazur machte sich die Karlsruher Entscheidung im Wesentlichen zu Eigen und verwies in der Rechtsauslegung auf die vom Verordnungsgeber beabsichtige Regelungsgestalt der Verordnung (Bundesrats-Drucksache 899/95). In dieser Drucksache aus dem Jahr 1995 schrieb der Verordnungsgeber, dass seit 1982 der Anbau von Cannabis (Marihuana) allgemein verboten ist, aber bestehende Ausnahmeregelungen ausgeweitet werden sollen. Darin heißt es auch, dass man nach einer Expertenanhörung im Jahr 1982 zunächst noch davon ausging, dass THC-armes Cannabis grundsätzlich missbräuchlich eingesetzt werden könnte und der Hanfanbau in Deutschland seit den 1950er Jahren unter den damaligen Angaben rückläufig gewesen sei. Das gestiegene Interesse am Hanfanbau erkannte der Verordnungsgeber aber bereits im Zuge der Rechtssetzung im Rahmen der Betäubungsmittel-Verordnung im Jahr 1995 und stellte fest, „dass ein Missbrauch THC-armer Hanfsorten heutzutage nicht zu erwarten ist, weil deren Verwendung weder für Drogenhändler profitabel noch für Missbraucher geeignet ist“ (BR-Drucksache 899/95, Seite 4). Das BGH-Urteil, die Absichten des Verordnungsgebers und die mangelnde praktische Ausführbarkeit, sich mit 15 Flaschen CBD-Krafttropfen durch Rauchen oder der Herstellung von Keksen oder Brownies sich zu bedienen, um einen Rausch auszulösen, überzeugte Richter Mazur von der Unschuld der drei Unternehmer. „Ein Missbrauch zu Rauschzwecken ist nicht möglich“, stellte Mazur klar und legte die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auf.

Rechtlicher Hintergrund

Der Senat des BGH stellte bereits in seinem Urteil vom März 2021 klar, dass nach gegenwärtiger Rechtslage der Einsatz von Cannabis-Produkten, auch zum Verzehr und in Kosmetik, unter bestimmten Voraussetzungen legal ist. Die entsprechende Rechtsgrundlage dafür ist die in der Anlage I zu § 1 Absatz 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) unter Cannabis Buchstabe b aufgeführte Ausnahmeregelung, wonach der gewerbsmäßige Verkehr mit Cannabisprodukten dann zulässig ist, wenn die Cannabis-Pflanze entweder aus dem Anbau in Ländern der Europäischen Union mit europarechtlich zertifizierten Saatgut stammt oder in der Pflanze der Grenzwert von 0,2 Prozent an THC-Gehalt überschritten wird und nicht einem missbräuchlichen Rauschzweck dient. Im vorliegenden Fall betreiben die jungen Cannabis-Unternehmer einen genehmigten landwirtschaftlichen Anbau mit Cannabis, bei denen sie keine Absicht darin sahen, einen missbräuchlichen Rauschzweck zu erzeugen. Vielmehr ging es ihnen um den Vertrieb neuartiger Hanfprodukte.

Die Staatsanwaltschaft forderte 120 Tagessätze zu je 60 Euro, Verteidiger Freispruch

Marc Graf, Ingo Lindemann, Kerim Viebrock, Kai-Friedrich Niermann, Lito Schule, Philipp Gärtner. (v.l.) Fotos: Jens Brehl

Insgesamt 7.200 Euro – 120 Tagessätze zu je 60 Euro – forderte die Staatsanwaltschaft jeweils von den Angeklagten. Dabei hatte Gärtner bereits auf der Herbsttagung des Green Food Clusters an der Hochschule Fulda vergangen November darauf hingewiesen, dass dem Unternehmen durch beschlagnahmte Ware und entgangenem Umsatz ein Schaden von etwa 690.000 Euro entstanden sei. „Gegen knapp 40 Handelspartner wurden ebenfalls Verfahren eröffnet – das war unser komplettes Einzelhandelsgeschäft“, erklärte er anlässlich der gestrigen Pressekonferenz. Diese Kunden habe das Unternehmen als Kunden verloren. Seit den Durchsuchungen verlagerte Green Pioneers sukzessive das Geschäft in den eigenen Online-Shop, mit dem der Löwenanteil des Umsatzes erzielt wird, der insgesamt auf 30 Prozent des vorherigen Niveaus gesunken sei, welches vor dem Rechtsstreit erreicht wurde. „Für uns als Start-Up ist das existenzbedrohend.“ Die drei Verteidiger wiesen in ihren Plädoyers außerdem darauf hin, dass der Verordnungsgeber bereits beabsichtigte den missbräuchlichen Rauschzweck aus der Regelung zu entfernen. Verteidiger Niermann sprach in seinem Plädoyer davon, dass die Fortbildung im österreichischen Recht und die für den deutschen Verordnungsgeber tätigen Sachverständigen eine Regelung über einen missbräuchlichen Rauschzweck für nicht mehr notwendig erachten. Auf Hinweis von Richter Mazur und Staatsanwalt Greyer, dass die Rechtslage in Deutschland zum Tatzeitpunkt zu beachten sei, erwiderte der Verteidiger, dass diese wissenschaftlichen Beobachtungen aber für die Rechtsauslegung relevant seien. Die ursprünglich beabsichtigte Streichung des missbräuchlichen Rauschzwecks wurde durch die gegenwärtige Diskussion über die Legalisierung von Cannabis aus der Debatte der Tagespolitik inzwischen verdrängt, so Niermann. Dass der Tatbestand des missbräuchlichen Rauschzwecks noch nicht gestrichen wurde, sei ein unglücklicher Umstand aller Beteiligten. Denn wäre in der besagten Sitzung des Verordnungsgebers die erforderliche Anzahl an Stimmberechtigten zusammengekommen, wäre der missbräuchliche Rauschzweck aus dem Recht gestrichen worden und man würde heute nicht hier sitzen und verhandeln, machte Verteidiger Schulte deutlich. Verteidiger Lindemann erklärte schon zu Beginn der Verhandlung, dass man sich mit übermäßigem extremem Verzehr von Apfelkuchen bereits umbringen könne. In seinem Abschlussplädoyer griff er diesen Vergleich erneut auf und machte klar, dass man so viel Apfelkuchen essen könne, bis man einschlafe, so wie das auch bei übermäßigem Konsum von Hanfkrafttropfen der Fall sei, bevor man überhaupt einen Rausch verspüre. Philipp Gärtner sagte in seinem Abschlussplädoyer: „Wird Zeit, dass wir legalisieren.“ Schließlich kam es zum Freispruch vor dem Amtsgericht Fulda.

Vermutlich geht es weiter

Nach dem heutigen Freispruch der drei Unternehmer vor dem Amtsgericht Fulda teilte Staatsanwalt Greyer nach Urteilsverkündung mit: „Wir warten die schriftliche Urteilsbegründung ab und prüfen, ob wir Rechtsmittel einlegen.“ Die Verteidiger rechnen fest mit einer weiteren Runde vor dem Landgericht Fulda. „Die Staatsanwaltschaft wird mit Sicherheit noch in dieser Woche Berufung einlegen“, so Rechtsanwalt Lindemann abschließend. +++ Robert Brimberry, Jens Brehl