Experten kritisieren Basis-Strategie der SPD-Führung

CDU-Politiker Reinhart warnt SPD vor Erpressung

Berlin. Wissenschaftler und Verfassungsjuristen kritisieren den Beschluss der SPD, zunächst die Parteibasis zu befragen, bevor sie Koalitionsgespräche führen oder einen Koalitionsvertrag unterzeichnen. „Ich finde es bedenklich, eine Regierungsbildung oder Koalitionsentscheidung in die Hände eines Parteimitgliedschafts-Plebiszits zu legen“, sagte Historiker Paul Nolte dem Focus. „Das Volk hat gewählt, die Parteien bzw. Fraktionen haben den Auftrag zur Regierungsbildung.“

Nolte hält das Vorgehen für eine „unheilvolle Entwicklung“. Ähnlich sieht es der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio: „In der Demokratie wird eine konzeptionelle Führung sowohl in der Regierung als auch in der Parteiführung als Verfassungserwartung vorausgesetzt.“ Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht hält das „Verstecken hinter Referenden“ häufig für ein „politisches Spiel oder Zeichen personeller Führungsschwäche“. Der Mainzer Politikprofessor Jürgen Falter verweist auf das „erhebliche Druckmittel“, das die SPD durch dieses Vorgehen gewinne, „indem sie mit Verweis auf den noch ausstehenden Mitgliederentscheid Positionen durchsetzen kann, die sonst die Gegenseite wegverhandeln könnte“. Sein Münchner Kollege Werner Weidenfeld hält diese Strategie für „politisch-kulturell zweifelhaft“, seines Erachtens strahlt sie „Inkompetenz“ aus.

CDU-Politiker Reinhart warnt SPD vor Erpressung

Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD hat der baden-württembergische CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart die SPD vor weiteren Verzögerungen bei der Regierungsbildung gewarnt. „Wir als CDU dürfen uns von der SPD nicht erpressen lassen mit dem Hinweis, sie müsste alles bis ins Detail von der Parteibasis absegnen lassen“, sagte der CDU-Politiker dem Focus. Zugleich warnte er davor, im Koalitionsvertrag jedes Detail festlegen zu wollen und forderte stattdessen mehr Freiraum für die Meinungen der einzelnen Abgeordneten: „Die Parlamentarier müssen selbstbewusster werden. Sie sind es doch, die Lösungen und Entscheidungen – laut Verfassung – aushandeln müssen.“ Es sei ein „Irrtum der deutschen Verfassungspraxis, möglichst jedes Detail im Kleingedruckten von Koalitionsverträgen vorab zu regeln“. Der Bundestag sei ein Arbeitsparlament und habe nicht nur „Stallorder von Koalitionsrunden bzw. der beteiligten Parteien umzusetzen.“ Stattdessen sollten die „gewählten Volksvertreter deshalb wieder mehr Zutrauen in ihre eigene Rolle finden und sich nicht zu sehr auf die politische Krücke vorheriger Vertragsabsprachen stützen“, sagte Reinhart.

PKM-Chef von Stetten: Sondierung rasch beenden

Der Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten, Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (PKM), drängt darauf, dass die Sondierungen zwischen Union und SPD rasch Klarheit bringen. „Es wäre sinnvoll, wenn die Gesprächspartner aus den gescheiterten Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen lernen würden“, sagte von Stetten der „Heilbronner Stimme“. „Es bringt überhaupt nichts, wochenlang auf 60 Seiten die Punkte aufzuschreiben, bei denen eine Verständigung möglich ist, wohlwissend, dass bei den großen und wichtigen Punkten unüberbrückbare Gegensätze bestehen. Aus zeitökonomischen Gründen sollten gleich zu Beginn der Gespräche die großen und unsere Gesellschaft beschäftigenden Fragen auf den Tisch kommen, um festzustellen, ob weitere Gespräche überhaupt zielführend sind.“ Die Option einer Minderheitsregierung dürfe nicht in den Hintergrund gerückt werden. „Eine Minderheitsregierung bei gleichzeitiger Reduzierung der Ministerien- und Kabinettsmitglieder würde zur Profilierung der etablierten Parteien führen und bei zukünftigen Bundestagswahlen die links- und rechtsextremen Parteien schwächen“, so von Stetten. +++