Ein Land, in dem wir gut und gerne leben…

Im Wahlkampf gab es kaum Fakten

Deutsch, Bundestag

Fulda. Steht Deutschland wirklich so viel besser da als andere Staaten? Im Wahlkampf gab es kaum Fakten. Stattdessen gab es viel Wohlfühlromantik auf den einen und kaum konkret definierte Klagen über die Ungerechtigkeiten auf der anderen Seite. Aber wie sieht es wirklich aus? Laut Berechnung des statistischen Bundesamts betrug das durchschnittliche Vermögen (nach Abzug der Schulden) privater Haushalte in Deutschland 123.000 Euro im Jahre 2003 und 123.300 Euro im Jahre 2013 [die Werte werden nur alle 5 Jahre erhoben]. Die Privatvermögen der Deutschen stagnierten also von 2003 zu 2013 beziehungsweise schrumpften unter Berücksichtigung der Preissteigerung sogar. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum 2003-2013 sind die Vermögen der Bundestagsparteien CDU, SPD, Grüne, Linke, CSU um 50,9 Prozent gestiegen von 274 auf 413 Millionen Euro. Das Median-Nettohaushaltsvermögen betrug 2014 laut einer Studie der Europäischen Zentralbank in Deutschland 60.800 Euro, im EU-Durchschnitt 104.100 Euro. Damit belegt Deutschland den letzten Platz.

Zwischen 2005 (dem Jahr der Einführung von Hartz IV) und 2015 erhöhte sich der Hartz-IV-Regelsatz von 2005 bis 2015 um 15,7 Prozent von 345 Euro auf 399 Euro. Die Tarifverdienste der öffentlichen Bediensteten stiegen im selben Zeitraum im Land Berlin lediglich um 15,8 Prozent. Das entspricht ziemlich genau der Preissteigerung, die laut Statistischem Bundesamt im selben Zeitraum 15,6 Prozent betrug. Im Bund sind die Tarifverdienste der öffentlichen Bediensteten von 2005 bis 2015 um 21,7 Prozent gestiegen, das Jahres-Durchschnittsgehalt vollbeschäftigter Arbeitnehmer stieg laut Statistischem Bundesamt im selben Zeitraum von 34.812 Euro auf 43.344 Euro, eine Erhöhung von 24,5 Prozent. Zum Vergleich: Die Diäten der Bundestagsabgeordneten [das meint hier nur den steuerpflichtigen Teil der Abgeordnetenbezüge, nicht die zusätzliche steuerfreie Kostenpauschale] stiegen im Zeitraum von 2005 bis 2015 von jährlich 84.108 Euro auf 108.984 Euro, also um 29,58 Prozent und damit deutlich mehr als die Durchschnittsgehälter, als die Tarifverdienste der öffentlich Bediensteten und als die Hartz-IV-Bezüge. Unter Berücksichtigung der sogenannten kalten Progression im Einkommensteuerrecht hatten die Bediensteten im öffentlichen Dienst Berlins 2015 real 572 Euro weniger zur Verfügung als 2005, die Bundestagsabgeordneten aber 5.634 Euro mehr (Motto: „Uns geht’s gut!“).

Deutschlands Steuereinnahmen sind von 2005 bis 2015 nach den statistischen Angaben des Bundesfinanzministeriums von 452 Milliarden Euro auf 673 Milliarden Euro gestiegen. Das Staatseinkommen hat sich also um fast 50 Prozent erhöht. Das Bruttoinlandsprodukt stieg bei relativ konstanter Bevölkerung von 82 Millionen im selben Zeitraum von 2,3 Billionen auf 3 Billionen, also nur um ca. 32 Prozent. Die Steuer- und Abgabenquote laut Bundesfinanzministerium hat sich von 2005 bis 2015 von 38,2 Prozent auf 39,4 Prozent erhöht. Allein dadurch hat der Bürger etwa 36 Milliarden Euro im Jahr weniger zur eigenen Verfügung. Deutschland hat im OECD-Vergleich mit 49,4 Prozent die zweithöchste Steuer- und Abgabenquote aller OECD-Staaten. Der Mehrwertsteuersatz wurde 2007 von 16 Prozent auf 19 Prozent erhöht. Die Strompreise stiegen von 2005 bis 2016 von 18,66 Cent auf 28,69 Cent (Anstieg um 53,8 Prozent). Allein die im Strompreis enthaltene EEG-Umlage stieg in diesem Zeitraum von 0,69 Cent auf 6,35 Cent (Anstieg um 820 Prozent). Im EU-weiten Vergleich ist der Strompreis in Deutschland der zweithöchste nach Dänemark. Mehrwertsteuer und Strompreise belasten Hilfebezieher, Gering- und Kleinverdiener überproportional.

Die Zahl der Leiharbeitnehmer hat sich laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit von 2005 bis 2015 von 444.000 auf 991.000 mehr als verdoppelt. Der mittlere Verdienst der Leiharbeitnehmer liegt um 42 Prozent niedriger als der Durchschnitt der Arbeitnehmer. Das deutsche Rentenniveau ist laut Berechnung der Deutschen Rentenversicherung von 2005 bis 2015 von 52,6 Prozent auf 48 Prozent des Jahresdurchschnittsentgelts gesunken (Standardrente vor Steuern nach 45 Arbeitsjahren). Auf Basis der Zahlen für 2013 betrug laut OECD-Studie das Rentenniveau im Vergleich zu Arbeitseinkommen nach Steuern/Sozialabgaben in Deutschland 57,1 Prozent des Arbeitnehmerverdienstes, im EU-Durchschnitt 70,6 Prozent, nur Irland, Großbritannien und Schweden lagen niedriger als Deutschland. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat sich die Erwerbsarmut in Deutschland bei Erwerbstätigen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren von 2004 bis 2014 verdoppelt; das ist der höchste Zuwachs an Erwerbsarmut unter den untersuchten 18 EU-Ländern. Die Armutsgefährdungsquote in Bezug auf die Gesamtbevölkerung stieg in Deutschland von 2005 bis 2014 von 12,7 Prozent auf 16,7 Prozent.

Seit zwei Jahrzehnten schwindet die Reichweite von Tarifverträgen. Das, was ver.di, IG Metall und Co. aushandeln, kommt heute nur noch bei drei von fünf Beschäftigten an. Seit 2001 ist die Zahl der Beschäftigten mit Tarifschutz um fast 1,3 Mio. Menschen zurückgegangen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Beschäftigten ohne Tarifvertrag um 4,3 Mio. Personen. Weniger Tarifschutz bedeutet weniger Lohn, längere Arbeitszeiten, unsichere Jobs, weniger Urlaub und weniger Entwicklungschancen. Zudem wachsen ohne Tarifverträge die Einkommensunterschiede. Deutschland ist inzwischen das Land mit der niedrigsten Tarifbindung unter den Industrieländern. Die Politik könnte die Tarifverträge stärken. Dafür müssten prekäre Jobs eingedämmt werden. Zudem müssen Tarifverträge verbindlicher gemacht werden.Ferner müsste es einfacher werden, Tarifverträge als allgemeinverbindlich zu erklären. Im Wahlkampf war dazu wenig zu hören. Stattdessen loben fast alle Parteien unser Tarifsystem als solches, ohne aber die immer schwindendere Tarifbindung der Unternehmen anzuprangern. Die politische Realität sieht so aus: CDU/CSU und FDP tun nichts, um Tarifverträge zu stärken. Gleichzeitig wollen sie die geringfügige Beschäftigung ausweiten und das Streikrecht einschränken. Die AfD interessiert sich gleich gar nicht für den Tarifschutz der Beschäftigten. SPD, Grüne und Linke hingegen geben vor, die Verhandlungsmacht der Beschäftigten stärken.

Die Bilanz nach 12 Jahren CDU-Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel: Deutschland, das Land mit dem niedrigsten privaten Median-Haushaltsvermögen der EU, mit der (zweit)höchsten Steuer-/Abgabenquote der OECD-Staaten, mit einem der EU-weit geringsten Rentenniveaus, mit nicht oder nur wenig über der Preissteigerung liegenden Lohnzuwächsen, mit den (zweit)höchsten Strompreisen in der EU, mit der höchsten Zunahme an Leiharbeit und Erwerbsarmut in der EU, dafür aber mit einer sich überproportional bedienenden politischen Kaste, mit der höchsten Zuwanderung in die Sozialsysteme und deutlich zunehmender Kriminalität, mit einer trotz sprudelnder Steuereinnahmen teilweise verfallenden Schul- und Verkehrsinfrastruktur und unterfinanzierter Polizei und Bundeswehr. Ein Land, in dem wir gut und gerne leben? +++ rh