Diakonie Hessen setzte sich auf Fachtag in Hanau mit dem Recht auf Assistierten Suizid auseinander

Palliativmediziner Dr. Thomas Sitte. Foto: privat

Beihilfe zur Selbsttötung auch in kirchlichen Einrichtungen? In unserem Nachbarland Belgien ist dies bereits umstrittene Praxis. Was kommt auf uns zu? Was wollen wir in Deutschland erleben? Diese und weitere Fragen diskutierten kürzlich zum Thema „Recht auf Leben bis zuletzt?! – Umgang mit dem Recht auf Assistierten Suizid“ leidenschaftlich 120 kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen eines Fachtages in Hanau, zu diesem die Diakonie Hessen am vergangenen Dienstag ihre Einrichtungen und Dienste in die Martin-Luther-Stiftung eingeladen hatte. Ein Veranstaltungsformat, das nach weiteren verlangt.

Gemeinsam wurde diskutiert, wie das Recht jedes Einzelnen auf assistierten Suizid und die grundsätzliche diakonische Überzeugung, dass jedes Leben bis zuletzt wertvoll ist, zusammen gedacht werden können. Töten auf Verlangen, auch „aktive Sterbehilfe“ genannt, ist in Deutschland verboten. Der Assistierte Suizid hingegen ist möglich. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 ist §217 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, der bis dahin die geschäftsmäßige Förderung der Suizidassistenz untersagte. Seitdem setzen sich die Diakonie und die Evangelische Kirche intensiv mit möglichen Auswirkungen der Entscheidung für die Gesellschaft auseinander. Diakonischen Einrichtungen steht es nach aktueller Rechtslage offen, Suizidassistenz zu leisten.

„Die Konfrontation mit Sterbewünschen ist eine Herausforderung, der sich die Mitarbeitenden immer wieder neu stellen müssen“

Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Pfarrer Carsten Tag, dankte den Anwesenden für ihre Bereitschaft, sich auf das Thema einzulassen. Es sei ein Zeichen des diakonischen Miteinanders, sich Zeit und Raum zu nehmen, um über schwierige Fragen im Gespräch zu sein. „Ich habe den Eindruck, dass es hier keine einfachen, keine leichten Antworten gibt. Das verbindet uns – und auch der Respekt vor den unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten, die uns in den verschiedenen Kontexten vielleicht näher oder vielleicht auch ganz fremd sind“, so der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen. Zugleich würdigte er die Arbeit vor Ort: „Mit Sterbewünschen konfrontiert zu sein, ist eine Herausforderung, der sich die Mitarbeitenden in den Diensten und Einrichtungen immer wieder neu stellen müssen.“ Der Diakonie Hessen ist es ein Anliegen, die Kolleginnen und Kollegen für diese Aufgaben zu stärken.

Mit dem Palliativmediziner, Dr. Thomas Sitte, und dem Theologen, Professor Dr. Ralf Frisch, standen am Fachtag zwei profilierte Gesprächspartner zur Verfügung. Der erste Vortrag von Dr. Thomas Sitte hatte die Frage „Der Wunsch nach dem schnelleren Tod, wie weit muss ich mitgehen?“ zum Gegenstand. Hierzu führte Sitte aus: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden können. Das gilt gerade auch für das Ende des Lebens. Um zu wissen, was ein Mensch dann will, brauchen wir verlässliche Aufklärung statt allgegenwärtiger Halbwahrheiten und Desinformationen.“ In seinem Vortrag unter der Überschrift „Selbstbestimmt Sterben – Warum nicht?“ bezog Ralf Frisch eine andere Position: „Die christliche Diakonie muss in der Debatte um den assistierten Suizid im Blick behalten, dass es Situationen gibt, in denen die Selbstbestimmung des Menschen gerade um der Menschenwürde des Individuums willen vor sich selbst geschützt werden muss. Christinnen und Christen in der Diakonie jedenfalls sollten nicht einfach fröhlich das Hohelied der Selbstbestimmung mitträllern, weil ihnen die Melodie gefällt; sie sollten sich immer auch selbstkritisch fragen, was genau das Christliche und das Diakonische an diesem Liedtext ist, ob es überhaupt ein christlicher Liedtext ist und ob und zu welchem Preis er in der Diakonie gesungen werden sollte.“

Dr. Sitte: Um zu wissen, was ein Mensch am Lebensende will, bedarf es eine verlässliche Aufklärung anstatt allgegenwärtiger Halbwahrheiten

Am 26. Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht den Paragrafen 217 StGB zum „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Beihilfe zum Suizid“ für ungültig erklärt. Die Entscheidung stellt fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Damit geht die Freiheit einher, selbstbestimmt das eigene Leben zu beenden. Dies schließt die Möglichkeit ein, hierfür die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Beihilfe zum Suizid heißt, dass bei der Selbsttötung geholfen wird, zum Beispiel, indem ein tödliches Mittel beschafft oder bereitgestellt wird. Ein entscheidendes Kennzeichen in Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen ist, dass der Patient das Medikament selbst einnimmt.

Das Urteil betont zugleich, dass es keine Verpflichtung zur Suizidassistenz geben kann. Nach der Orientierungsdebatte und der ersten Lesung im Bundestag liegen aktuell drei Gesetzesinitiativen vor, wie die Sterbehilfe in Deutschland neu geregelt werden könnte. Wie bei Fragen der Ethik üblich, gibt es für die Parlamentarierinnen und Parlamentarier keinen Fraktionszwang. Der parlamentarische Prozess wird begleitet durch eine zivilgesellschaftliche Debatte. Sie erfordert Positionierungen der evangelischen Kirche und der Diakonie – und ebenso die Diskussion innerhalb von Kirche und Diakonie darüber, wie im Rahmen christlicher Einrichtungen der freie Wille von Menschen auch in einer solchen Grenzsituation zu respektieren ist. +++ pm/ja

Hintergrund

Diakonie Hessen – Werk der Kirche, Mitgliederverband und Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege

Die Diakonie Hessen ist als Werk der Kirche Mitglieder- und Spitzenverband für das evangelische Sozial- und Gesundheitswesen auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW). In den Geschäftsstellen in Frankfurt am Main und Kassel, dem Evangelischen Fröbelseminar, sowie den Evangelischen Freiwilligendiensten arbeiten über 300 Mitarbeitende. Dazu kommen circa 700 Freiwillige, die sich in den verschiedenen Programmen des freiwilligen Engagements einbringen. Der Diakonie Hessen gehören 445 Mitglieder an. Insgesamt sind bei der Diakonie Hessen und ihren Mitgliedern zusammen rund 42.000 Mitarbeitende beschäftigt, die im Geschäftsjahr 2020 einen Gesamtumsatz von über 2 Milliarden Euro erwirtschaftet haben. Dem Vorstand des Landesverbandes gehören Pfarrer Carsten Tag (Vorstandsvorsitzender) und Dr. Harald Clausen an.

Über die Deutsche PalliativStiftung

Die Deutsche PalliativStiftung mit Sitz in Fulda und Berlin engagiert sich seit 2010 dafür, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, an einem vertrauten Ort, inmitten vertrauter Menschen, ohne belastende Beschwerden und unter ganzheitlicher Betreuung sein Leben bis zum Ende leben zu können. Unterstützt wird eine Medizin mit Maß und Menschlichkeit, die jeder Mensch selbstbestimmt an seinem Lebensende in Anspruch nehmen kann. Jeder sollte darüber informiert sein, welche Optionen und Möglichkeiten es am Lebensende gibt – dabei hilft die Deutsche PalliativStiftung.