Der große Streit um den Mindestlohn

Berlin. Für die einen ist er der Untergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die anderen sehen in ihm eine längst überfällige, sozialpolitische Errungenschaft. Kein Zweifel, der Mindestlohn polarisiert mindestens genauso wie das kürzlich verabschiedete Rentenpaket. Vor gut drei Monaten hatte Arbeitsministerin Andrea Nahles den ersten Gesetzentwurf zu einer allgemeinen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro präsentiert. Seitdem sind Lobby-Verbände aller Art im Dauereinsatz, werden Formulierungen hin und her gewendet und zum Teil völlig falsche Erwartungen in die Welt gesetzt.

Besonders Gewerkschaften und Opposition machen Front gegen die geplanten Ausnahmereglungen. Verdi-Chef Bsirske spricht gar von gesetzlicher Amputation, und beklagt dass der Mindestlohn nun mindestens drei Millionen Arbeitnehmern vorenthalten werde. Dabei zeigt schon ein Blick in den Koalitionsvertrag, dass die Lohnuntergrenze für bestimmte Branchen kein schlagartiges Muss ist, sondern auch schrittweise bis Ende 2016 eingeführt werden kann, wenn sich die Tarifpartner darauf verständigen. Für das Friseurhandwerk und die Fleischverarbeitung zum Beispiel haben Arbeitgeber und Gewerkschafter entsprechende Verträge ausgehandelt. Es ist also dummes Zeug, wenn Bsirske lautstark kritisiert, was er maßgeblich mitzuverantworten hat. Und was auch der wirtschaftlichen Vernunft entspricht. Denn in Branchen, in denen bislang eher tariflose Zustände herrschten, wäre die sofortige Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro zweifellos problematisch.

Für den Erhalt der Arbeitsplätze können Übergangslösungen durchaus sinnvoll sein. Auch sonst sind die angepeilten Ausnahmen nicht allesamt des Teufels, sondern letztlich auch im Interesse der Betroffenen. Was nützen zum Beispiel einem Kunststudenten die 8,50 Euro für ein freiwilliges Praktikum zur Berufsorientierung, wenn Kunst- und Kultureinrichtungen damit finanziell überfordert sind und solche Praktika deshalb kaum mehr anbieten? Zumal auch das durchaus bedenkenswerte Gegenargument der „Generation Praktikum“ an dieser Stelle ins Leere läuft. Denn die sogenannten Schnupper-Praktika sollen auf drei Monate begrenzt werden. Eine angemessene Frist, die der Lebenswirklichkeit entspricht. Zweifellos hätte die SPD lieber weniger Ausnahmen gehabt. Den Sozialdemokraten nun aber ein Verrat am eigenen Wahlprogramm vorzuwerfen, wie es die Linkspartei tut, ist maßlos überzogen. Schließlich erreichte die SPD bei der letzten Bundestagswahl nicht die absolute Mehrheit, sondern lediglich 25,7 Prozent der Stimmen. Da sind Kompromisse gefragt. Oder man gefällt sich wie Riexinger und Bsirske im ideologischen Fundamentalismus, der allerdings keinem einzigen Niedriglöhner hilft – und der Wirtschaft nachhaltig schaden würde, so die Lausitzer Rundschau. +++ fuldainfo

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