Datenschutzexperte wirft Bundeswehr „fahrlässiges“ Verhalten vor

Hardt schließt Untersuchungsausschuss zu Abhöraffäre nicht aus

Der frühere Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, kritisiert die Bundeswehr in der Abhöraffäre. Bei sensiblen Gesprächen auf ausländische Dienstleister wie den Videokonferenzanbieter Webex des US-Unternehmens Cisco zu setzen, sei heikel, sagte er dem „Handelsblatt“. „Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kommunikation vertraulich ist, wie bei Regierungsgesprächen oder beim Austausch über militärische Fragen“, so Brink weiter. „Hier ohne besondere Sicherungsmaßnahmen zu kommunizieren ist grob fahrlässig, denn dass es zu Abhörversuchen kommt, ist sicher.“

Der Datenschutzexperte riet dazu, ausschließlich solche Kommunikationswege zu nutzen, die man auch vollständig beherrsche – und auf unsichere Kommunikation vollständig zu verzichten. „Alles andere wäre fahrlässig.“ Brink erinnerte daran, dass inzwischen alle großen Kommunikationsdienstleister eine sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anböten, die auch gegenüber dem Dienstleister selbst wirksam sei. „Warum diese im Fall der Bundeswehr offenbar nicht eingesetzt wurde, ist mir schleierhaft und ein Grund zur Besorgnis.“

Union will Verteidigungsausschuss-Sondersitzung zu Abhörskandal

Nach dem Abhörskandal bei der deutschen Luftwaffe hat die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses beantragt und fordert auch das persönliche Erscheinen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Es bestehe „dringender parlamentarischer Aufklärungsbedarf“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), der „Welt“. In der Union herrsche blankes Entsetzen über die jüngsten Entwicklungen in Zusammenhang mit der von der Ukraine erbetenen Lieferung des Taurus-Waffensystems. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) spricht inzwischen von einem „Sicherheitsrisiko Bundeskanzler“. Die Taurus-Marschflugkörper seien zum „Synonym für den Umgang des Bundeskanzlers mit unserer nationalen Sicherheit und der Sicherheit unserer Partner in der EU und in der Nato“ geworden, sagte Wadephul der „Welt“. Scholz und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) müssten unangenehme Fragen beantworten. Es gehe darum, ob die Behauptung von Scholz richtig sei, dass Taurus „nur mit deutschen Soldaten in der Ukraine“ zum Einsatz kommen könnten. „Hat er diese Behauptungen aus Unkenntnis aufgestellt oder waren sie vorsätzlich falsch?“, so Wadephul. Die Union fordert Aufklärung: Man wolle wissen, wer Scholz zu welchem Zeitpunkt in diesen Angelegenheiten beraten hat und wann der Bundeskanzler vom abgehörten Telefonat erfahren hat. Wadephuls Zwischenbilanz nach der vergangenen Woche: „Ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der in einer so herausfordernden Zeit zu einer vertrauensvollen Verständigung mit unseren wichtigsten Verbündeten in Europa nicht in der Lage ist, ein Bundeskanzler, der mit unbedachten Äußerungen die Verbündeten im Gegenteil erheblich irritiert, und der zugleich ganz offensichtlich das innenpolitische und wahlkampftaktische Kalkül über die Sicherheitsinteressen unseres Landes sowie eine glaubhafte Unterstützung der Ukraine in ihrem Freiheitskampf gegen eine gemeinsame Bedrohung stellt, der wird zunehmend selbst zum Sicherheitsrisiko, für Deutschland, aber auch für ganz Europa.“

Hardt schließt Untersuchungsausschuss zu Abhöraffäre nicht aus

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, fordert in der Bundeswehr-Abhöraffäre eine Regierungserklärung sowie eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses und schließt einen Untersuchungsausschuss nicht aus. „Wenn daraus Schlussfolgerungen kommen, die tatsächlich untersucht werden müssen mit den Instrumenten der Strafprozessordnung, dann wäre der Untersuchungsausschuss der richtige Ort“, sagte er dem Fernsehsender „Welt“. Die Regierung müsse ein Interesse an Aufklärung haben und es müssten „personelle und vor allem strukturelle Konsequenzen“ gezogen werden. „Dass ein Bundeskanzler dem Deutschen Bundestag die Unwahrheit sagt, wäre ein Novum in der deutschen Geschichte“, so Hardt. Das Ereignis habe mehrere zentrale Punkte aufgeworfen: „Erstens die Frage nach der Geheimhaltung innerhalb der Bundeswehr, zweitens die Frage, ob in diesem Gespräch Dinge preisgegeben wurden, die unseren Verbündeten schaden und vielleicht Wahlkampfmunition auch für Donald Trump in Amerika sind, wenn es um die Frage der Verlässlichkeit der Bundeswehr geht und der Bundesrepublik Deutschland.“ Und drittens stelle sich die Frage, „ob die Erkenntnisse aus diesem Gespräch, nämlich dass Taurus auch ohne deutsche Bundeswehrsoldaten eingesetzt werden könnte, konkret dem widerspricht, was der Bundeskanzler dem Deutschen Bundestag gerade noch vor wenigen Tagen gesagt hat“. Das wäre ein Novum in der deutschen Geschichte, dass ein Bundeskanzler dem Deutschen Bundestag die Unwahrheit sage und das müsse untersucht werden. „Ich bin der Meinung, wir müssen in der nächsten Sitzungswoche eine Regierungserklärung dazu bekommen und wir müssen auch über weitere Schritte nachdenken.“ Zum Agieren des Kanzlers in der Taurus-Frage sagte der Außenpolitiker: „Der Bundeskanzler muss das tun, was der Deutsche Bundestag beschließt. Wir haben bereits letztes Jahr beschlossen, dass wir schwere Waffen an die Ukraine liefern, wir haben gerade vor wenigen Tagen auch weitreichende Waffen beschlossen im Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit der Koalition.“ „Wir waren als Union in der Sache der Meinung der Koalition“, so der Außenpolitiker. „Wir haben eben nur die Forderung nach Taurus explizit gestellt. Wenn der Bundeskanzler für seine Politik keine Mehrheit im Bundestag hat und sich dann dadurch rauswindet, dass der den Deutschen Bundestag belügt, dann muss er sich als Bundeskanzler einen neuen Bundestag suchen.“ Also die Regierung müsse das tun, was das Parlament sage und nicht umgekehrt.

Kontrollgremiumschef für Sonderermittler in Taurus-Abhöraffäre

Der Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz (Grüne), fordert im Taurus-Abhörskandal den Einsatz eines Sonderermittlers. „Es handelt sich um ein sehr grundsätzliches und ernstes Problem“, sagte von Notz der „Rheinischen Post“. „Ein Sonderermittler kann hier schnell und effektiv aufklären, wenn er umfassende Befugnisse und die volle Rückendeckung der Bundesregierung und des Parlaments erhält.“ Unsere Demokratie müsse endlich wehrhafter werden. „Der Abhörskandal muss postwendend und vollständig aufgeklärt werden. Wie genau kam es zu dem Mitschnitt? Handelt es sich um ein einmaliges oder grundsätzliches Problem mit der Kommunikation der Bundeswehr?“, so von Notz. „Die umfassendere Frage der illegitimen Einflussnahme und Unterwanderung durch russische Dienste muss darüber hinaus endlich breit thematisiert und aufgearbeitet werden“, fügte der Grünen-Politiker hinzu. „Wen unterstützt Putins Russland mit Geld, wie destabilisiert Moskau unsere Demokratie, wie werden unsere Debatten von außen beeinflusst und geschürt über Social Media?“ Roderich Kiesewetter (CDU), Vize-Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, geht derweil davon aus, dass der Bundeswehr-Leak durch einen russischen Teilnehmer in der Web-Ex-Schalte entstanden sein könnte: Darauf gebe es Hinweise aus Quellen, „die sich berufsmäßig damit beschäftigen“, sagte er im „Bericht aus Berlin“ des ARD-Hauptstadtstudios. Es sei nun zu klären, wie die russischen Spione die Einwahlnummern bekommen hätten und „wie sie den Zugang zu dieser Konferenz aufklären konnten“. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) fordert unterdessen einen besseren Schutz sensibler Behördenkommunikation: „Das aggressive Agieren Russlands ist eine sicherheitspolitische Gefahr für unser Land“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Schnellstmöglich müssen die neue Abhörattacke aufgeklärt und mögliche Schwachstellen überprüft werden. Es ist unerlässlich, dass sicherheitsrelevante Kommunikationen in allen Verfassungsorganen und Sicherheitsbehörden geschützt wird.“ Göring-Eckardt sagte weiter: „Russland führt Krieg auf allen Ebenen, auch einen Cyberkrieg gegen den Westen. Dazu gehören Cyber-Spionage und die jüngst aufgedeckten breiten Desinformationskampagnen. Russland will westliche Demokratien destabilisieren.“ Die Bedrohung für die Ukraine wiederum steige angesichts mangelnder Lieferung von Munition und weitreichenden Waffen massiv. +++