Brexit, Trump, Aleppo – Die Welt ist aus den Fugen geraten

Ein Jahr zum Vergessen

Berlin. Die „Schlafwandler“ kommen einem in den Sinn, jenes Wort des britischen Historikers Christopher Clark über die europäischen Politiker, die 1914 in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges taumelten. Auch 2016 ist ein Jahr zum Vergessen. Kein Kontinent war nach dem Wegfall der Blockkonfrontation so optimistisch wie dieser.

Und nun zerfällt das Werk der europäischen Einigung. Wegen schlechter Laune. Oder aus Jux. Politische Spieler in London sorgten für den Brexit. In ganz Osteuropa träumt man wieder von starken Führern. Die Euro-Krise ist nicht ausgestanden. Nichts ist gelernt aus der Geschichte. In England schlugen sie auf Polen ein, in Bautzen auf Asylanten. Und 2017 kann es noch schlimmer kommen, in Italien, Frankreich, Holland. Auch in Deutschland. Überall lauern Populisten. Der europäische Sisyphos wird wieder von vorn anfangen müssen, wenn dieser schlechte Traum hoffentlich irgendwann vorbei ist. Es zeigt sich, dass nicht nur die Not ein Motor für niedere Instinkte ist, wie in den 1920er-Jahren, als die Massenarbeitslosigkeit das Wachstum der Radikalen befeuerte. Sondern auch die Angst, teilen zu müssen.

Die Mittelschicht schrumpft, das Aufstiegsversprechen funktioniert nicht mehr. Globalisierung und Digitalisierung erscheinen da wie apokalyptische Reiter. Die Kultur des demokratischen Diskurses wird abgelöst durch Beschimpfungen. 1990 rief man das „Ende der Geschichte“ aus. Man meinte damit das Ende der Diktaturen, man hoffte auf einen Siegeszug der Demokratie. 2016 kam es genau umgekehrt. Die Geschichte rollt rückwärts, wie in einer Zeitmaschine. Das, was man Westen nannte, verliert beständig an Strahlkraft. Der Kalte Krieg lebt wieder auf, weil Russland die Schwäche des Westens nutzt. Außer Russland setzte auch die Türkei auf Nationalismus und mit der Wahl Donald Trumps, der Tiefpunkt des Jahres, auch die USA. Es gab auch Lichtblicke. Doch vom Atomabkommen mit dem Iran weiß niemand, wie lange es hält.

Ebenso wenig vom Klimaschutzabkommen. Vielleicht kündigt Trump beide, vielleicht überhaupt alles, was in den letzten Jahren ersonnen wurde, um die Welt zu stabilisieren. Mit dem Anschlag in Berlin und dem Fall Aleppos setzte das Jahr 2016 letzte, schreckliche Ausrufezeichen. Einige sagen, die Welt sei aus den Fugen geraten. Die Häufung der Krisen könnte die Weltgemeinschaft überfordern und zum Zusammenbruch der Strukturen führen. Viele Menschen haben Angst davor. Zu Recht, denn es zeigt sich, wie unfähig die Menschheit zur Kooperation ist. Längst nicht alle Menschen, nicht alle Regierungen, aber immer mehr. Schlafwandler eben. 2016 war ein gebrauchtes Jahr. Return to sender, so die Lausitzer Rundschau. +++

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