Braml: „Nicht das Museum Europa ist für die Amerikaner die Zukunft, sondern der asiatische Raum“

Anregungen zum Nachdenken

Gunter Geiger, Dr. Josef Braml und Michael Trost. (v.l.)

Spätestens seit Russlands Überfall auf die Ukraine dürfte den meisten klar geworden sein: Nichts wird so bleiben, wie es einmal war. Bundeskanzler Olaf Scholz spricht sogar von einer Zeitenwende. Wende- und Veränderungsprozesse im Denken und Handeln beziehen sich jedoch nicht nur auf diesen Konflikt und seine Folgen. Einen für Deutschland entscheidenden Aspekt hat der Politikwissenschaftler und renommierte USA-Experte Dr. Josef Braml in seinem neuesten Buch „Die transatlantische Illusion – Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“ beschrieben. Die Zeiten, in denen sich Deutschland und Europa ohne Wenn und Aber auf die USA verlassen konnten, sind vorbei. Die USA ist nicht mehr im kalten Krieg. Einem „Weckruf“ gleich für die deutsche Politik kommt deshalb Bramls Analyse der gegenwärtigen transatlantischen Situation und geopolitischen Lage, die er gleichlautend mit dem Titel seiner Veröffentlichung auf einer Kooperationsveranstaltung der Katholischen Akademie des Bistums Fulda und der Fuldaer Sektion der Gesellschaft für Sicherheitspolitik im Bonifatiushaus präsentierte.

Selbstständig werden

„Wir handeln verantwortungslos, wenn wir unser Schicksal nur von den USA abhängig machen“, formulierte der Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission – einer einflussreichen globalen Plattform für den Dialog zwischen Amerika, Europa und Asien – eindringlich. Im Umkehrschluss bedeutet das, Deutschland muss insbesondere militärisch, aber auch wirtschaftlich und politisch selbstständiger werden.

Demontage der Demokratie

Auf welcher Grundlage ist Braml zu dieser Einschätzung gelangt? Der ehemalige ZDF-“Heute Journal“ Anchorman Claus Kleber, der den Buchautor als „wahren Kenner der Materie“ lobt, verweist darauf, dass Braml „sich einem der wichtigsten Themen der Zeit: der Demontage der amerikanischen Demokratie“ gewidmet habe. Dieses innenpolitische Problem der USA ist zweifellos eine der wesentlichen Grundlagen, warum sich das deutsch-amerikanische Verhältnis inzwischen verändert hat. Nicht erst aktuell, sondern bereits schon viele Jahre zuvor unter Präsident Barack Obama, wo sich die „Rivalität“ zwischen US-amerikanischen Interessen und deutschen immer deutlicher abzeichnete. Die Weltmacht, auf die sich die Bundesrepublik und Europa über Jahrzehnte verlassen konnten, ist angeschlagen. Amerika und seine politische Führung konzentrieren sich nicht zuletzt seit Donald Trump zunehmend auf ihr eigenes nationales Interesse und die Auseinandersetzung mit China.

„Was machen wir also, wenn die Amerikaner nicht mehr die Sicherheit, den Freihandel und die Währung garantieren?“ In seinem Buch beantwortet Braml diese Frage unmissverständlich: “Wenn wir unseren Wohlstand und unsere Sicherheit im 21. Jahrhundert bewahren wollen, dürfen wir unsere Politik nicht auf Illusionen aufbauen.“ Zu glauben, die USA würden „unsere Interessen“ mitvertreten, ist aus seiner Sicht die „transatlantische Illusion.“ Braml mahnt daher zur Umkehr und fordert, „um ihre Interessen zu verteidigen, muss deutsche und europäische Politik ihrerseits  die noch vorhandenen eigenen Machtressourcen einsetzen, so sie international Gestaltungskraft zurückgewinnen will.“

Amerika habe sich innen gewandelt – nicht nur wirtschaftlich durch Protektionismus. Sondern, was noch schwerer wiegt, außenpolitisch durch Isolationismus. „Was geht uns die Ukraine an“, werde inzwischen in manchen Kreisen gefragt. Die Grenze zu Mexiko zu schützen, sei für einige US-Politiker wichtiger als  der Ukrainekrieg.

Kriegsziel

Interessant werde es dann allerdings wieder bei der Frage: Was ist das Kriegsziel im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine? „Wollen wir Russland schwächen oder einen Waffenstillstand?“ Das werde in den Talkshows gegenwärtig nicht diskutiert. „Ich würde mich freuen, wenn auch darüber gesprochen würde und nicht jeder deshalb gleich zum Putinversteher wird“, betonte Braml. Nun müsse „die Stunde der Diplomatie kommen.“ Putin solle „zugestanden werden was ihm hilft, das Gesicht zu wahren.“ In eben jene Richtung zielt der Rat des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger auf dem „World Economic Forum“ in Davos. Kissingers „Realpolitik“ gipfelt in der heftig diskutierten Empfehlung an die Ukraine, Teile des Landes und die Krim abzutreten. Braml ist sich angesichts der Haltung der USA ziemlich sicher: „Die Amerikaner werden realpolitisch handeln, um so den Rücken frei für die Konfrontation mit China zu haben.“

Neue Allianz

Und damit ist zugleich ein weiterer wichtiger Punkt im Verhältnis Amerikas zu Deutschland und Europa angesprochen. „Nicht das Museum Europa ist für die Amerikaner die Zukunft, sondern der asiatische Raum.“ Australien, Indien, USA und Japan, das ist die neue wirtschaftliche und militärische Allianz. Die Chinesen, so urteilt Braml, seien nicht mehr bereit, den „American way of life“ zu finanzieren. Sie bildeten eine Gegenmacht, indem sie andere abhängig machen. Putin hingegen verharre noch im „alten geopolitischen Denken.“

Ökonomische Waffe

Wirtschaft sei unter diesem Blickwinkel inzwischen das „Mittel zum geopolitischen Zweck“ geworden.  Für Braml steht zweifelsfrei fest, dass „wir uns nicht von Wertschöpfungsketten trennen können. Wenn Globalisierung zertrennt werden sollte, in gute und schlechte Partner, haben wir große Probleme.“ Moderne Kriege werden über „ökonomische Waffen ausgetragen.“ „Dieser Hintergrund hätte uns schon länger deutlich werden können.“ Einen „leichten Vorgeschmack“ auf diese Entwicklung habe man bei den Sanktionen infolge des Ukrainekriegs gewinnen können, mit denen Russland in die Knie gezwungen werden sollte. Gänzlich unproblematisch sind diese „ökonomischen Waffen“, wie Braml sie nennt, allerdings auch nicht. „Sie sind ein zweischneidiges Schwert und schaden einem letztlich selber. Was wir jetzt sehen, auch an wirtschaftlichen Verwerfungen, das ist das, was der Weltwirtschaft bei einer größeren Auseinandersetzung in Asien blüht. Das sind keine guten Neuigkeiten. Das ist ein Weckruf. Es kann noch viel heftiger kommen.“

Deutliche Worte findet Braml auch zu den Stichworten Militär und Bundeswehr. In seinem Buch plädiert er für eine „stärkere militärische Aufstellung“ und fügt hinzu, „ich glaube, ohne Militär geht es nicht. Wir müssen uns ein starkes Militär leisten, um nicht von den Amerikanern abhängig zu sein.“ 30 Jahre sei die Bundeswehr praktisch „kaputt gespart worden.“ Wer so mit seiner Armee umgegangen ist, muss geglaubt haben „in einer friedlichen Welt zu leben“, kritisierte der Referent. „Jetzt sind wir wach geworden.“ Das von der Bundesregierung verabschiedete 100 Milliarden Investitionspaket für die deutschen Streitkräfte bedeute „ausrüsten und nicht aufrüsten“, womit Braml auf pazifistisch orientierte Kritiker am Vorhaben des Bundes reagierte. Gleichzeitig appellierte er dafür, gemeinsam mit Frankreich „einen starken Pfeiler in der NATO aufzustellen.“

Anregungen zum Nachdenken

Für den Hausherrn der Akademie, Direktor Gunter Geiger, hatte Bramls Thema des Abends „viele Anregungen zum Nachdenken gegeben.“ Es passe „hervorragend in die gegenwärtige Zeit.“ Sowohl Geiger als auch GSP-Sektionsleiter Michael Trost freuten sich im Rahmen ihrer seit Jahren erfolgreichen Kooperation im Referenten einen „der bekanntesten USA-Experten“ gefunden zu haben, der über großes internationales Renommee verfügt. 20 Jahre wissenschaftliche Erfahrung in weltweit führenden „Think Tanks“ sind eine „eindrucksvolle Expertise“, wie Trost betonte. Bramls berufliche Stationen waren unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), das Aspen Institut und die Weltbank. Sein neuestes Buch ist nur wenige Tage vor dem russischen  Überfall auf die Ukraine erschienen. Laut Trost macht es „wie in einem Brennglas deutlich, wie wir militärisch, politisch und wirtschaftlich selbstständiger werden müssen.“ +++ pm/mb