Bad Salzschlirf: Vergessenes Heilbad mit signifikantem Potential

„Perspektiven für unsere Wirtschaft“

Bad Salzschlirf. „Was macht ein attraktives Gewerbegebiet aus?“ Diese Frage wurde gestern Abend im „Kulturkessel“ der osthessischen Gemeinde Bad Salzschlirf im Landkreis Fulda im Rahmen der Veranstaltung „Perspektiven für unsere Wirtschaft“ diskutiert. Zur Beantwortung dieser Fragen, hatte sich die Gemeinde sechs Fachexperten in leitender Funktion eingeladen, die entweder in Bad Salzschlirf beheimatet sind oder sich dort mit ihrem Unternehmen angesiedelt haben. So fungierten als Gesprächspartner: Der Niederlassungsleiter des Speditionsunternehmens Zufall Fulda, Christopher Göbel, der Geschäftsführer des Mediamarktes Fulda, Peter Henkelmann, der Geschäftsführer der Firma LBF Technik Lauterbach, Kai Hesseldieck, der Geschäftsführer der Firma Technolit Großenlüder, Wilhelm Lang, der Geschäftsführer der Firma Meister Recycling Großenlüder, Friedrich Meister sowie der Regionaldirektor der Sparkasse Fulda i. R., Walter Otterbein. Sie alle waren am Mittwochabend Matthias Kübels Gäste.

Vor rund 65 Zuhörerinnen und Zuhörern – größtenteils Bürger des Heilbades – diskutierte man auf der Auftaktveranstaltung des Formates zum Themenschwerpunkt „Wirtschaft“ „Am runden Tisch“ über mögliche Ansätze und künftige Zielsetzungen zur Weiterentwicklung des Gewerbegebietes der Gemeinde. Intensiv wurde im Vorfeld in der Gemeindevertretung und – verwaltung diskutiert, wie es gelingen könne, das Gewerbegebiet „Am Steinhauck“ attraktiv zu gestalten und im Besonderen auch attraktiv zu vermarkten. „Unser Kurort hat über Jahre ausgeprägte Stärken in den Bereichen der anwendungsorientierten Kur-, Gesundheits- und Altenpflegewirtschaft sowie des Tourismus entwickelt. Das soll auch so bleiben!“, sagte Bürgermeister Matthias Kübel gestern in Bad Salzschlirf. Doch das ist nur die eine Seite. Nach Kübel sei es für die Gemeinde nachteilig, dass das Gesundheitskalkül im Bewusstsein der Öffentlichkeit, relativ einseitig verankerten Wirtschaftsstruktur mit einer ebensolchen Einengung im Bewusstsein potentieller Investoren aus anderen Branchen einhergeht. Das erschwere die Neuansiedlung aus anderen Wirtschaftsbereichen. Was fehle, sei eine neue Euphorie für den Gewerbestandort Bad Salzschlirf. „Nur so überzeugen wir potentielle Unternehmen, den Standort Bad Salzschlirf für ihr Unternehmen auszuwählen“, weiß Matthias Kübel.

Dass das produzierende Gewerbe für Bad Salzschlirf wichtig ist, sehe man am Erfolg der in Bad Salzschlirf ansässigen, starken Betriebe EMOD, HOTREGA und Beton-Schmitt sowie an der Entwicklung der örtlichen Handwerksbetriebe. „Diese Stärken gilt es, zukünftig weiter zu stärken und das Gewerbegebiet ‚Am Steinhauck‘ weiterzuentwickeln“, so Kübel. Nach dem Bürgermeister hänge der Erfolg eines Ausbaus einer dahingehenden, zukunftsorientierten, gemeindlichen Wirtschaftspolitik von sieben wesentlichen Kernthesen ab. Bereits heute sind in Bad Salzschlirf flächendeckend Bandbreiten bis 100 mbit/s verfügbar. Zukünftig muss der Standort auch für die Gigabitgesellschaft mit noch schnelleren Übertragungsraten ausgestattet werden. Das Neubaugebiet benötigt einen Netzausbau bis in die Gebäude (FFTH). Dafür nehme die Gemeinde an einem Förderprojekt zur Erstellung eines kreisweiten Ausbauprogrammes teil. Die Anbindung an die großen Verkehrswege (B 254, A7 und A5) ist schon heute relativ gut. Damit auch die Arbeitnehmer der angesiedelten Firmen ihren Arbeitsplatz gut und schnell erreichen, muss die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr (öPNV) verbessert werden. Erreicht werden könnte dies beispielsweise durch die Einrichtung einer zusätzlichen Bushaltestelle unmittelbar an der Zufahrt zum Gewerbegebiet. Davon profitiere auch das Neubaugebiet. Auch der Ausbau der B 254n sei wichtig für den Standort, ebenso, wie die hervorragende Bahnanbindung. „Die stündliche Anbindung Bad Salzschlirf an den ICE- Halt Fulda und nach Gießen und Limburg, ist ein unschätzbarer Standortvorteil. Andere Kommunen beneiden uns darum!“, so Kübel.

Auch hänge der Erfolg eines Ausbaus einer zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik, von einer belastbaren Energieversorgung und effektiven Entsorgungsstrukturen, von einem bedarfsgerechten Wohnraum für die Arbeitnehmer des Gewerbeparks und von einer wirtschaftsfreundlichen Verwaltung ab. Ebenso sind bedarfsgerechte Flächen ganz wesentlich für den Erfolg. „Hier könnte ich mir für das Gewerbegebiet vorstellen, schwerpunktmäßig Dienstleister und Produzenten der Gesundheitsbranche anzusiedeln. Dies würde nicht nur zu unserem Profil als osthessischer Gesundbrunnen passen, sondern auch vielfältige, wirtschaftliche Synergien mit sich bringen.“ Ebenso hänge der Erfolg eines Ausbaus einer zukunftsorientierten, gemeindlichen Wirtschaftspolitik von einer weiteren Verbesserung der Attraktivität der Gemeinde ab. „Mit der genannten, wirtschaftlichen Schwerpunktbildung für Bad Salzschlirf würden Innovations- und Wissensnetzwerke entstehen. In ihnen werden Kompetenzen gebündelt und die Aus- und Weiterbildung sowie der Wissenstransfer gestärkt“, so Kübel. Hierbei sollen auch die bestehenden Kontakte zur Hochschule Fulda – vor allem in den Bereichen Pflege und Gesundheit, Haushalts- und Ernährungswissenschaft und Lebensmitteltechnologie ausgebaut werden. „Die Institutionalisierung eines, über die osthessische Region hinaus wirkenden Innovationsforums Gesundheitswirtschaft – gegebenenfalls später eines gleichnamigen dienstleistungsorientierten Innovationszentrums – könnte Bad Salzschlirf wesentlich aufwerten. Dieser Grundgedanke würde auch zum Profil Bad Salzschlirfs als Kongressstandort passen und die angesiedelten Firmen auf den überregionalen Märkten stärken“, so Kübel weiter.

Juchheim: „Investitionen und touristische Infrastruktur müssen im Gesamtkontext aller weichen Standortfaktoren betrachtet werden!“

IHK-Präsident Bernhard Juchheim„Die Unternehmen der Region sind auf den Zuzug von Ausbildungs- und Fachkräften von außerhalb dauerhaft angewiesen“, so IHK-Präsident Bernhard Juchheim in seinem Impulsvortrag zu der wirtschaftlichen Entwicklung im Landkreis Fulda und der Situation in der Gemeinde Bad Salzschlirf. Im Wettbewerb um Auszubildende, Fach- und Führungskräfte haben die ländlichen Räume Nachteile gegenüber den großen Städten. Arbeitnehmer wollen nicht nur einen Arbeitsplatz, der sie befriedigt, der gut bezahlt ist und der gute Zukunftschancen hat; Sie legen auch Wert auf adäquate Lebensbedingungen. Gerade bei den Themen der Einkaufsmöglichkeiten und der Ärzteversorgung, müssen wir aufpassen, dass nicht nur hinsichtlich der demografischen Entwicklung eine Abwärtsspirale in Gang kommt, denn schon jetzt ist auch im Landkreis Fulda eine Landflucht zu beobachten. Das Oberzentrum Fulda wächst und die ländlichen Gemeinden schrumpfen. Das gilt letztendlich auch für Bad Salzschlirf. Wie kann die Gemeinde Bad Salzschlirf diesem Trend entgegensteuern? „Es gilt nach wie vor der sogenannte ‚demografische Dreiklang‘“, weiß Juchheim. Dort, wo gute infrastrukturelle Rahmenbedingungen vorherrschen, siedeln sich auch Unternehmen an. Und dort, wo Arbeitsplätze sind, siedeln sich Menschen an. Arbeitsplätze und Einwohnerzahl scheinen untrennbar miteinander verbunden. Allerdings haben sich die Zeiten des Fachkräftemangels, der demografische Dreiklang etwas verändert. Fachkräfte legen immer mehr wert auf die sogenannten „weichen Standortfaktoren“. Lebensqualität spielt eine immer größere Rolle. Hier kann Bad Salzschlirf in Zukunft punkten. „Investitionen und die touristische Infrastruktur – also auch in das Kurbad – dürfen nicht alleine unter den direkten, betriebswirtschaftlichen Kennzahlen betrachtet werden, sondern im Gesamtkontext aller weichen Standortfaktoren“, sagt der Präsident der Industrie- und Handelskammer Fulda, Bernhard Juchheim. Ein Blick in die Tourismusstatistik verrät, dass nach Fulda Bad Salzschlirf im vergangenen Jahr mit 229.000 Übernachtungsgästen die zweithöchste Zahl der Übernachtungen- und mit 5,1 Tagen die längste Verweildauer verzeichnet. „Die 617.000 Übernachtungsgäste in Fulda kommen nur auf eine Verweildauer von 1,6 Tagen. Insgesamt sind die Übernachtungszahlen in Bad Salzschlirf stabil und nach der Talsohle im Jahr 2014 mit 212.000 sogar wieder leicht ansteigend.“

In der Quintessenz zusammengefasst, sah man gestern am runden Tisch erhebliche Chancen für die Gemeinde Bad Salzschlirf. Während der Geschäftsführer des Mediamarktes Fulda, Peter Henkelmann, dafür plädierte, sich auf die Stärken und Alleinstellungsmerkmale der Gemeinde zu konzentrieren und diese „gekonnt“ zu vermarkten, sah der Niederlassungsleiter des Speditionsunternehmens Zufall Fulda, Christopher Göbel, im Hinblick darauf, dass Speditionsunternehmen „Flächenfresser“ sind, die Gemeinde nicht als Standort für große Industrieparks. „Bad Salzschlirf hat in puncto Tourismus und Gesundheit so viel zu bieten. Ich denke, man sollte sich – auch im Wissen der vorhandenen, sehr vernünftigen Infrastruktur – darauf beschränken, diese Dinge wieder zu aktivieren“, so der Geschäftsführer des Mediamarktes Fulda, Peter Henkelmann. „Die Logistik ist es gewohnt, zu kooperieren. Das kann eine Gemeinde auch“, sagte der Niederlassungsleiter der Spedition Zufall Fulda, Christopher Göbel, und gab damit – im Wissen, dass diese „Interkommunale Geschichte im Übrigen nirgendwo funktioniere – auch nicht in Fulda“ – den Denkanstoß. Bei aller Positivität, die im gemeinsamen Besinnen auf das, was das osthessische Heilbad im Landkreis Fulda so einzigartig macht, entstanden war, vernahm man gestern Abend aber auch Stimmen ängstlicher und umsorgter Gewerbetreibender. Man hat Angst am westlichen Zipfel des Landkreises abgehängt, vergessen, gefühlt – weiter vernachlässigt zu werden.

Über eine Zuwendung von 5.000 Euro von der Firma Zufall für das Projekt „Park der Generationen“ – konkret für das Dreschhallteam – konnte sich gestern die Gemeinde Bad Salzschlirf freuen. Der gesamte Kostenrahmen beläuft sich hier auf rund 130.000 Euro. Gut 72.000 Euro Förderung erhält das Projekt aus EU- Leader Mitteln. Das Projekt wird von der Gemeinde – beziehungsweise durch ein Spendenkonto unterstützt. „Bad Salzschlirf ist eine lebens- und liebenswerte Gemeinde. So hatten wir in den vergangenen Jahren viele Geburten. Auch haben sich hier viele Menschen angesiedelt. Menschen, die sich in dieser Gemeinde engagiert einbringen und Projekte anstoßen. Menschen, die für diesen Ort brennen“, so Bürgermeister Matthias Kübel. „Ich weiß, dass es fünf vor zwölf ist. Ich bin aufgewacht. Ich will nicht noch einmal in die Situation kommen müssen, Fördergelder zu zahlen, weil die Formalien nicht eingehalten wurden.“ Wie Bürgermeister Matthias Kübel gestern Abend hervorhob, sei es der Gemeinde auch zukünftig wichtig, in den kommenden Veranstaltungen die Bad Salzschlirfer Bürgerinnen und Bürger in die Gespräche miteinzubeziehen. In dem Format „Bad Salzschlirfer Perspektiven“ sollen weitere, für die Gemeinde interessante Themen thematisiert und vielschichtig beleuchtet werden. Themen, die in dem Format zukünftig zur Sprache kommen sollen, werden sein: Handel, Tourismus und Gesundheit. Wie auch am Mittwochabend, können Bürger auf den jeweiligen Veranstaltungen ihre Themenvorschläge in eine eigens dafür vorgesehene Box einwerfen. Bürgermeister Matthias Kübel bedankte sich bei allen, gestern Abend Anwesenden für ihr Interesse – besonders tat er dies bei der Firma Zufall für die Zuwendung. +++ jessica auth