Arbeitsrecht: Fuldaer kämpft um Grundsatzfrage bei Diskriminierung

Bundesarbeitsgericht: Anrufung des Großen Senats stand im Raum – Erfurt weist Klage ab

Bis nach Erfurt zum Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte ein heute 49-jähriger Fuldaer Student geklagt, weil er sich bei einer Bewerbung bei der Bundesagentur für Arbeit diskriminiert fühlte. Das Gericht erkannte die Bedeutung der Rechtsfrage und eröffnete das Verfahren durch die Stattgabe der Nichtzulassungsbeschwerde der Revision. In der letzten Instanz der Arbeitsgerichtsbarkeit unterlag der Kläger nun (BAG, Urteil vom 23. November 2023 – 8 AZR 212/22). Das fünfköpfige Richtergremium gab am Nachmittag der Bundesagentur für Arbeit Recht und wies die Klage des Klägers zurück, der von zwei Rechtsanwälten vertreten worden war.

Förderstudium der Bundesagentur für Arbeit für Studierende

Hintergrund für die Klage war die Bewerbung des Klägers auf ein Förderstudium bei der Bundesagentur für Arbeit, welches Studierenden der Bachelor-Studiengänge Sozialrecht und Wirtschaftsrecht neben der Absolvierung eines Pflichtstudiums die Möglichkeit bieten soll in der vorlesungsfreien Zeit Praxiserfahrung zu sammeln. Im Gegenzug erhalten die Studierenden während und außerhalb der Vorlesungszeit eine Vergütung und verpflichten sich zugleich in der Vorlesungszeit dort tätig zu sein und nach dem Abschluss des Studiums für mindestens zwei Jahre bei der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt zu bleiben.

Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich – Kläger unterlag in allen drei Instanzen

Dem heute 49-jährigen wurde im Jahr 2019 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 zuerkannt. Im Folgejahr schrieb die Bundesagentur für Arbeit ein Förderstudium für die Standorte Bad Hersfeld, Fulda und Kassel aus. Der Kläger sah diese Ausschreibung und bewarb sich daraufhin am 28. Juli 2020. Drei Tage später beantragte er aufgrund seines GdB von 40 bei der Bundesagentur für Arbeit in Stuttgart die Gleichstellung. Durch eine solche Gleichstellung werden Menschen mit Behinderung mit einem GdB von 30 oder 40 einer schwerbehinderten Person (ab GdB 50), wie der Name schon sagt, gleichgestellt (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Der Kläger wurde für den 12. August 2020 zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Dort teilte er mit, dass er einen Antrag auf Gleichstellung gestellt hatte. Am 17. August 2020 folgte eine telefonische Absage. Schließlich legte er Klage beim Arbeitsgericht in Nürnberg ein. Dort unterlag er jedoch. Eine Berufung zum Landesarbeitsgericht Nürnberg (LAG Nürnberg) blieb ebenfalls erfolgslos. Die Revision zum BAG wurde vom LAG Nürnberg nicht zugelassen. Allerdings hatte die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beim BAG in Erfurt dagegen Erfolg. Schließlich unterlag der Kläger aber heute am BAG.

Zwei Punkte standen im Raum: Arbeitnehmereigenschaft und rückwirkende Gleichstellung

Der Kläger stützte seine Klage im Wesentlichen darauf, dass die Beklagte Bundesagentur für Arbeit von der Gleichstellung im Vorstellungsgespräch Kenntnis erlangt hatte. Sie hätte das Verfahren aussetzen oder die Gleichstellungsbeauftragte hinzuziehen müssen. Die Arbeitgeberseite teilte nicht diese Auffassung. Einerseits vertrat sie, dass die Eröffnung des Schutzbereichs des Klägers, also der persönliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) nicht eröffnet sei, weil es sich bei der Stelle um ein Förderstudium handle. Ferner sei dieser ebenfalls nicht eröffnet, wenn über den Antrag auf Gleichstellung noch nicht entschieden worden sei, auch wenn eine Rückwirkung gelte. Die Beklagte stellte klar, dass jeder Bewerber bei der Bewerbung seine Schwerbehinderung angeben müsse, soweit er von dieser auch Gebrauch machen möchte. Gleiches gelte für die Gleichstellung. Denn schließlich könne der Beklagten nicht zugemutet werden ein Bewerbungsverfahren so lange auszusetzen, bis über den Gleichstellungsantrag entschieden worden sei. Dagegen hielt die Klägerseite, dass es sich „quasi“ um eine Art duales Studium handle. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Bewerbung bereits im Studiengang Sozialrecht eingeschrieben. Dort ist ein Pflichtpraktikum erst im fünften Semester vorgeschrieben. Da der Kläger im Falle einer Beschäftigung in einer Abhängigkeit zur Beklagten stehe, würde er sich in der Stellung als Arbeitnehmer befinden. Schließlich stellte der Kläger den Antrag auf Gleichstellung aufgrund der Bewerbung. „Wir sehen das als eine vertane Chance für ihn“, so die Rechtsanwältin auf die Versagung der Aufnahme des Klägers in das Förderstudium.

Anrufung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts stand im Raum

Der Vorsitzende Richter wies darauf hin, dass der siebte Senat des BAG im Jahr 2020 in einer ähnlichen Sachfrage entschieden hatte (BAG, Beschluss vom 22. Januar 2020 – 7 ABR 18/18). Damals verneinte man die Gleichstellung. Gleichzeitig wies der Vorsitzende Richter darauf hin, dass in dem Falle, dass der in dieser Streitsache befasste achte Senat nun von der Entscheidung des siebten Senats abweichen würde, zunächst der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts sich mit der Sachfrage beschäftigen müsse. Die Klägeranwälte wiesen darauf hin, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in gleichen beamtenrechtlichen Fragestellungen von der Auffassung des siebten Senats des BAG abweiche. Das Gericht ließ anschließend in einem richterlichen Hinweis durchblicken, dass das Gericht möglicherweise den Aspekt mit der Frage der Arbeitnehmereigenschaft für gegeben halte. In der Frage über die Rückwirkung der Gleichstellung werde sich das Gericht im Anschluss der mündlichen Verhandlung mit dem siebten Senat beraten müssen. Soweit Senate innerhalb eines Gerichts von einer Entscheidung eines anderen abweichen wollen, ist der große Senat einzuschalten, um die unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu beseitigen. Für unterschiedliche Rechtsauffassungen unter den obersten Gerichtshöfen des Bundes hat sich der Gemeinsame Senat mit den Fällen zu beschäftigen und eine einheitliche Rechtsprechung herbeizuführen, der nach Art. 95 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) zu bilden ist. Aktuell ist offen, weshalb der Senat die unterschiedlichen Rechtsauffassungen zwischen BAG, BVerwG und dem Bundessozialgericht (BSG) nicht beim Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes klären lassen wollte. Die letzte Tätigkeit dieses Gemeinsamen Senats war im Jahr 2012 und liegt inzwischen 11 Jahre zurück. Das BAG legte zuletzt vor 37 Jahren, also im Jahr 1986, dem Gemeinsamen Senat einen Fall vor.

Vorsitzende Richter: Urteil zweitbeste Lösung

Anschließend stellte das Gericht die Frage in den Raum, ob die Parteien sich möglicherweise vor einer Entscheidung doch noch vergleichen möchten. Beide Seiten verneinten dies. „Wir wollen ein Urteil“, sagte die Klägervertreterin. Der Richter unterstrich humorvoll: „Nach dem Gesetz ist das Urteil die zweitbeste Lösung“ und meinte damit, dass ein Vergleich die beste Lösung sein dürfte. Die Beteiligten waren sich schließlich darüber einig, dass es einer Klärung der grundsätzlichen Frage bedarf.

Klägeranwalt: Gleichstellung ein Instrument des Sozialrechts und Gleichlauf von Arbeitsrecht und Sozialrecht

Auf die Frage, ob noch Anmerkungen bestehen, wandte der zweite Rechtsanwalt des Klägers aus seiner Sicht als Fachanwalt für Sozialrecht ein, dass es sich bei der Gleichstellung um ein Instrument des Sozialrechts handelt. Es sei bestimmt, dass die Gleichstellung eine Rückwirkung für die Vergangenheit entfalte. Soweit dies nicht der Fall ist, würden schließlich die Rechte beschnitten werden. Die Beklagte hätte schwebend handeln und vorsorglich die Gleichstellungsbeauftragte hinzuziehen oder das Verfahren aussetzen können. Es sei zumutbar und das mildeste Mittel gewesen, die Gleichstellungsbeauftragte vorsorglich hinzuzuziehen. In beamtenrechtlichen Fällen werden schließlich Verfahren auch ausgesetzt, wie das BVerwG festgestellt habe. Es müsse ein Gleichlauf zwischen Arbeitsrecht und Sozialrecht hergestellt werden, so der Rechtsanwalt abschließend.

Kläger durfte im Anwaltsprozess zu Wort kommen und rügte kurzen Zeitraum für die Gleichstellung

„Sie sind heute hier und eigentlich ist das Revisionsverfahren ein Anwaltsprozess, aber haben Sie denn als Kläger noch was anzumerken“, fragte der Vorsitzende Richter zum Schluss den Kläger. Der Kläger wies darauf hin, dass er die Fristen im Bewerbungsverfahren für zu kurz halte. Es werde außer Acht gelassen, dass zwischen der Bewerbungsfrist und dem Vorstellungsgespräch 12 Tage lagen und in keinem Fall so schnell über eine Gleichstellung entschieden werde. Er könne einen Antrag auf Gleichstellung nur auf eine konkrete Stelle stellen. Wenn jetzt gesagt werde, dass die Gleichstellung nicht rückwirkend ab Antragstellungszeitpunkt wirken könne, dann würde das Verfahren „ad absurdum“ geführt, so der Kläger. Der Vorsitzende Richter wies darauf hin, dass im Verfahren beim siebten Senat nach 14 Monaten über den Gleichstellungsantrag entschieden wurde. Im vorliegenden Verfahren seien es nur sechs Wochen gewesen. Soweit im Gleichstellungsverfahren Rechtsmittel eingelegt werden würden, ziehe sich das Verfahren hin und könne auch durchaus vier Jahre brauchen. Ein weiterer Aspekt, den der Kläger noch persönlich einwarf, war, dass die Entscheidung des siebten Senats mit dem Urteil des BSG kollidiere. Seine Rechtsanwältin wies an dieser Stelle auch nochmal auf die Entscheidung des BVerwG hin, die ebenfalls anders ausfällt.

Weiteres Vorgehen aktuell offen

Am Nachmittag verkündeten die Erfurter Richter schließlich, dass die Klage des Klägers zurückgewiesen wird. Die ausführliche Begründung wird den Prozessbeteiligten in den nächsten Wochen zugehen. Ob dann gegebenenfalls wegen Grundrechtsverletzungen beim Bundesverfassungsgericht oder dann weiter beim Europäischen Menschengerichtshof gegen das Urteil Beschwerden eingelegt wird, entscheiden die Beteiligten erst nach Prüfung der Urteilsbegründung. +++ rb