Arbeitsministerium sieht keinen „umfassenden Fachkräftemangel“

Die Bundesregierung geht derzeit nicht von einem umfassenden Fachkräftemangel in Deutschland aus und widerspricht damit Wirtschaftsverbänden. „Von einem umfassenden Fachkräftemangel bzw. von einem allgemeinen Arbeitskräftemangel kann in Deutschland nicht gesprochen werden“, heißt es in der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion, über die die „Rheinische Post“ in ihrer Mittwochausgabe berichtet.

„Im dritten Quartal 2022 waren nach Ergebnissen der Stellenerhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rund 1,82 Millionen offene Stellen zu besetzen. Dem gegenüber waren im Dezember 2022 rund 2,45 Millionen Arbeitslose gemeldet. Unter Berücksichtigung von Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, in vorübergehender Arbeitsunfähigkeit sowie in absehbar endender Erwerbstätigkeit, standen im Oktober 2022 rund 4,35 Millionen Arbeitsuchende für die Besetzung von offenen Stellen zur Verfügung“, so das Ministerium. Im Dezember hat es der Antwort zufolge nur 26 von insgesamt 144 Berufsgruppen gegeben, bei denen der Bestand an gemeldeten Arbeitsstellen tatsächlich über dem Bestand an Arbeitslosen gelegen hat. Bei 118 Berufsgruppen war der Bestand an gemeldeten Arbeitsstellen dagegen geringer als die Zahl der Arbeitslosen. Auch in vielen Engpass-Berufen, in denen die Zahl offener Stellen besonders hoch ist, gibt es nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, auf die sich die Regierung beruft, eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit. Dies trifft etwa auf Bau-, Pflege- und Verkaufsberufe oder technisch-naturwissenschaftliche Berufe zu. Linken-Fraktionsvize Susanne Ferschl sagte dazu: „Die Zahl der Arbeitslosen insgesamt übersteigt deutlich die Zahl der gemeldeten offenen Stellen – auch teils in den von der Bundesregierung als besonders vom Fachkräftemangel eingeschätzten Berufsgruppen.“ Das spreche gegen „verbreitete Übertreibungen“, so Ferschl.

BA will Deutschland für ausländische Fachkräfte attraktiver machen

Im Kampf gegen den Fachkräftemangel sieht Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), weiteren Handlungsbedarf der Politik. Deutschland müsse gerade für Spezialisten aus dem Ausland attraktiver werden, sagte Nahles am Dienstagabend in der Sendung „RTL Direkt“. „Es gibt immer noch einen großen Stau, beispielsweise bei den Visastellen. Wir haben immer noch sehr komplizierte Anerkennungsregeln für die Qualifizierung der Menschen, die zu uns kommen. Und nicht zuletzt ist auch die Sprache natürlich ein großes Problem, denn wir konkurrieren mit englischsprachigen Ländern wie Kanada und Amerika“, so Nahles. Mit Blick auf die Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzs der Ampel-Koalition sagte die frühere Bundesarbeitsministerin und SPD-Vorsitzende: „Was jetzt verhandelt wird in der Regierung, zeigt durchaus viele Ansatzpunkte, wo es besser wird, aber es ist noch nicht gültig. Das heißt, wir müssen jetzt gucken, dass mö  glichst viele der Hürden, die wir jetzt noch haben, abgebaut werden in den nächsten Monaten.“ Dabei sei auch ihre eigene Behörde gefordert, so Nahles im Gespräch mit RTL-Moderator Jan Hofer: „Wir müssen mehrsprachig sein. Daran arbeiten wir jetzt auch, dass wir das von unserer Seite auch zur Verfügung stellen. Insgesamt müssten wir mehr über Portale und Plattformen machen.“ Auf die Frage, warum es schwer falle, einen Teil der rund 2,6 Millionen Arbeitslosen in Jobs zu vermitteln, sagte Nahles: „Wenn es um die Fachkräfte geht, die wir ja vor allem suchen, dann muss ich Ihnen sagen, dass zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen in Deutschland schlicht ohne Schulabschluss sind und die Qualifikation oft nicht passt. Das heißt, da müssen wir uns ein bisschen mehr anstrengen, um dann auch in Weiterbildung für diese Leute zu investieren.“ Nahles sprach in diesem Zusammenhang von einem „Mittelstreckenlauf, den wir da ins Auge fassen müssen“. +++