Mit zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Veranstaltungen hat das Projekt „Akzeptanz und Vielfalt in Fulda und Region“ in den vergangenen drei Jahren die Sichtbarkeit und Vernetzung der queeren Community in Osthessen sowie den Abbau von Vorbehalten gegenüber LSBTQ (lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queere Personen) gefördert. „Mit diesem Projekt haben wir auch einen Beitrag zur Aktivierung von zivilgesellschaftlichem Zusammenhalt und zur Demokratieförderung in der Region geleistet“, betont Professorin Dr. Carola Bauschke-Urban von der Hochschule Fulda. Sie hat das Forschungs- und Interventionsprojekt zusammen mit einem vierköpfigen Team durchgeführt, dem Professorin Dr. Eva Gerharz, David Muniz-Hernandez, Jana-Christina Zentgraf und Alex Petry angehörten. „Gesellschaftlicher Zusammenhalt wird in ländlichen Regionen stark durch dominante Lebensformen geprägt, was zu einer geringen Aufmerksamkeit für Diversität und gesellschaftliche Vielfalt im ländlichen Raum führt. Dies gilt insbesondere für sexuelle und geschlechtliche Diversität von LSBT*Q“, erläutert sie. Das Hessische Ministerium für Soziales und Inklusion hat das Projekt im Rahmen des landesweiten hessischen Aktionsplans für Akzeptanz und Vielfalt gefördert.
Starke Unterschiede zwischen größeren Städten und ländlich geprägten Regionen
Inwieweit queere Menschen ihre Rechte verwirklichen können, ist stark davon abhängig, wo sie in Hessen wohnen, wo ihr soziales Leben in den Familien, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft und in Vereinen stattfindet. „Die geringere Wahrnehmung queerer Lebensformen in ländlichen Regionen engt die Möglichkeiten für gesellschaftliche Partizipation und die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein und steht einem offenen und diskriminierungsfreien Leben im Weg“, erläutert Professorin Bauschke-Urban. Davon betroffen seien queere Menschen aller Altersstufen und aller gesellschaftlichen Milieus, in unterschiedlichen Berufen, mit unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten und mit individuell geprägten Bildungswegen. Die Folge: Häufig spielt sich das Leben queerer Menschen in ländlich geprägten Regionen im Verborgenen ab. Viele jüngere queere Personen wandern in die Metropolregionen und Großstädte ab.
Veranstaltungsreihe war gut nachgefragt
Um die Vielfalt und den regionalen Zusammenhalt zu fördern, hat das Projekt Veranstaltungen zum Teil auch an abgelegenen Orten in Osthessen angeboten. Zu den Aktionen hatte es hochkarätige Akteure aus dem kulturellen wie politischen Leben eingeladen. Auch gesellschaftliche, politische und kulturell verantwortliche Akteure aus der Region nahmen an den Interventionen teil. „Das Publikum, das sich zum Teil erstmals mit dem Thema queeres Leben im ländlichen Raum auseinandersetzte, hat diese Angebote sehr gut nachgefragt“, berichtet das Projektteam. „Wir konnten feststellen, dass Informationsinteresse besteht.“ Insbesondere seien die Veranstaltungen von queeren Menschen ihren Angehörigen und Verbündeten sowie von interessierten Personen aus ihrem sozialen Umfeld sehr gut angenommen worden.
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in ländlichen Räumen erstmals systematisch erforscht
Das Projekt führte zudem Interviews mit queeren Menschen aller Altersgruppen sowie mit Angehörigen in Osthessen. Auch hier war das Interesse groß, allerdings waren die Interviewpartner aufgrund des zum Teil als belastend empfundenen sozialen Drucks und der erlebten Stigmatisierung in allen Lebensbereichen nur unter erschwerten Bedingungen dazu bereit, ihre Biografie zu erzählen. Für einige sei es das erste Mal gewesen, sich offen über ihr queeres Leben äußern zu können. „Die Auswertung der Interviews deutet darauf hin, dass sexuelle Vielfalt in ländlichen Räumen überwiegend versteckt gelebt wird, dass queere Menschen in ländlichen Räumen andere Bedingungen für die freie Entfaltung vorfinden als in Großstädten und queere Lebensweisen in ländlichen Räumen häufiger auf Ablehnung stoßen“, fassen die Wissenschaftler die Ergebnisse zusammen. Queeres Leben werde im ländlichen Raum häufig als singuläre Abweichung von akzeptierten Formen der Lebensführung wahrgenommen. Besonders von struktureller Diskriminierung betroffen seien Trans*Personen. Auch gravierende Versorgungslücken in der medizinischen Versorgung queerer Menschen konnte das Projekt feststellen.
Mehr Sichtbarkeit als wichtiger Schritt hin zu mehr Akzeptanz
Das Unbehagen queerer Personen darüber, ihrer Zuneigung zu ihren Partnerinnen und Partnern auch in öffentlichen Räumen Ausdruck zu verleihen, wirke sich stark auf queere Sichtbarkeit aus. Doch gerade die fehlende queere Sichtbarkeit hätten die Interviewten als Hindernis für die Stiftung und Steigerung von Akzeptanz wahrgenommen. Das Projekt hat daher gemeinsam mit der Community einen offenen Treff ‚Queere Stunde‘ entwickelt, damit die Vernetzung selbstorganisiert auch nach der Förderphase fortgeführt werden und das Interventionsprogramm nachhaltig in der Region verankert werden kann. Im Weiteren sind im Anschluss an die durch das hessische Sozialministerium geförderte Projektphase ein regionales Ausstellungsprojekt über Queerness und Verqueerung im ländlichen Raum sowie eine Buchpublikation über die Projektergebnisse des Pionierprojekts vorgesehen.
Zivilgesellschaftliches Engagement als Ressource für mehr Anerkennung
Professorin Bauschke-Urban sieht im ehrenamtlichen und zivilgesellschaftlichen Engagement eine wichtige Ressource für gesellschaftliches Lernen und für die Entwicklung von queerer Anerkennung und Akzeptanz. Hier seien die Politik und vor allem die kommunalpolitischen Akteurinnen und Akteure gefragt, um Räume für Diversität zu entwickeln und Antidiskriminierungsarbeit in den gesellschaftlichen Alltagsstrukturen zu etablieren und weiterhin zu verankern. Es gehe um eine systematische Berücksichtigung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in den regionalen Institutionen und Organisationen. Insbesondere Bildungseinrichtungen von den Regelschulen über Volkshochschulen, Weiterbildungen und die Hochschulbildung seien als prägende Akteure auch künftig gefragt, ebenso wie das regionale Gesundheitswesen und psychosoziale Beratungsstellen. Auch für die regionalen Vereine und Verbände bestünden nach wie vor große Spielräume, sich dem Thema der Akzeptanz für die Lebensweisen queerer Menschen künftig stärker zu öffnen. +++ pm