Der Landkreis Fulda kann sich glücklich schätzen, seit 25 Jahren für seine Kinder auf eine Frühförderstelle wie den Zitronenfalter zurückgreifen zu können. Wenn Eltern sich Sorgen machen wegen einer zögerlichen Bewegungs- und Sprachentwicklung ihres Nachwuchses, erhalten sie in dem „Zentrum für Beratung, Frühförderung und Therapie“ am Eingang zum antonius-Quartier umgehend Hilfe. Dass diese Hilfe so unkompliziert gewährt wird, so früh im Leben ansetzt und dabei viele Disziplinen Hand in Hand zum Wohl der Familien arbeiten, macht den Zitronenfalter bis heute zu einem Aushängeschild der Frühförderung nicht nur in Fulda.
Das war der Tenor der Reden während des „Fachforums zur Entwicklung der Frühförderung“, zu dem Kerstin Reith, die Leiterin des Zitronenfalters, am 12. Mai 2023 annähernd 100 „Freunde und Förderer der kindlichen Entwicklung“ begrüßte, darunter Vertreter des Vereins Lebenshilfe sowie der Frühen Hilfen, Kita-Mitarbeiterinnen, Ärzte und Therapeuten sowie aktuelle und ehemalige Mitarbeitende. Die Schirmherrschaft über die Veranstaltung hatte Landrat Bernd Woide (CDU) übernommen, der tags darauf Gast war am gut besuchten Familientag. Der Name Zitronenfalter ist Programm: Entwicklung kann manchmal sauer sein wie eine Zitrone, mit Frühen Hilfen ist Entfaltung möglich. Davon sprach Sebastian Bönisch vom antonius-Führungsteam, als er die Geschichte der heute achtjährigen Melody darstellte. Als das Kind mit Downsyndrom auf die Welt kommt, sind ihre Eltern überfordert und ohne Hoffnung. Sie sehen sogar ihre Ehe bedroht. Während Melody im Zitronenfalter gefördert wird, widmet sich das Team den Eltern. Heute sagt die Mutter: „Ohne die Hilfe im Zitronenfalter wäre unsere Beziehung kaputt.“ Auch Melody durchläuft eine sehr gute Entwicklung: Mittlerweile besucht sie die Pestalozzischule, ist ein starkes, selbstbewusstes Mädchen und für ihre mittlerweile zwei Brüder eine tolle Schwester.
Sebastian Bönisch betonte die Bedeutung der Frühen Hilfen, die der Zitronenfalter biete: „Für eine gute Entwicklung der Kinder sind die ersten drei Jahre entscheidend.“ Alles, was bis dahin an Hilfen ansetze, könne maßgeblich das weitere Leben erleichtern. Jährlich nehmen laut Bönisch etwa 600 Familien aus dem Landkreis Fulda die Angebote der Einrichtung wahr. Den Betrieb ermöglicht eine Konzeptfinanzierung, an der sich der Landkreis Fulda, der Landeswohlfahrtsverband und das Hessische Sozialministerium beteiligen. Der Bau des Zitronenfalters gelang sogar ohne Mittel der Kommune durch Spenden, welche die Antonius-Stiftung sammelte. Bönisch sprach ein weiteres Netzwerk an, das gerade im Umfeld des Zitronenfalters umgesetzt wird: ein Medizinisches Zentrum für erwachsene Menschen mit Behinderung (MZEB). Die Pläne sind fertig, eine Genehmigung steht allerdings noch aus.
Michael Brand, Fuldaer CDU-Bundestagsabgeordneter, verglich das Jubiläum des Zitronenfalters mit einer Silberhochzeit, „allerdings ist diese hier nicht grau, sondern frisch und gelb“. Die Einrichtung entfalte durch ihre Pionierarbeit und Vorbildfunktion nach wie vor eine bundesweite Ausstrahlung, sagte der Abgeordnete. Ihm ist es wichtig, dass der Zitronenfalter mit seiner Arbeit außerdem in die Gesellschaft hineinwirke. In diesem Zusammenhang sprach er die pränatale Diagnostik an. Diese führe dazu, dass immer weniger Kinder mit Downsyndrom geboren würden, weil die Schwangerschaft vorher beendet werde. Ihm sei daran gelegen, dass darüber ein Diskurs einsetze. Als Geburtstagsgeschenk hatte Brand ein kleines Stück der Berliner Mauer im Gepäck, das er unmittelbar vor dem Festakt in einem Therapieraum des Zitronenfalters mit Schere und Kleber mit einem frisch leuchtenden Zitronenfalter versehen hatte. Als Dankeschön für seinen Einsatz vor 25 Jahren als junger Abgeordneter zum Start der Einrichtung erhielt Michael Brand ein Schmetterlingshaus für den Garten. Dieses überreichte ihm Marie Beyer-Götz, die den Zitronenfalter fast 21 Jahre geleitet hatte.
Den Landkreis Fulda, den Hauptkostenträger, vertrat bei dem Fachforum Ulrich Nesemann, der erst seit einigen Monaten Leiter des Fachbereichs Bildung, Familie ist. Deshalb hatte er sich bei Jürgen Stock, dem Fachbereichsleiter Arbeit, Soziales, über den Zitronenfalter erkundigt. Und Stock war voll des Lobes: Er bescheinigte dem Zitronenfalter nicht nur, unbürokratisch und qualitativ hochwertig zu arbeiten. Sondern darüberhinaus präsentiere sich die Einrichtung „kostenmäßig gut“. Der Zitronenfalter könne weiter auf die Unterstützung des Landkreises zählen, sagte Nesemann. Ein großes Lob sprach auch Sabine Petermann, die Vorsitzende des Vereins Lebenshilfe, dem Zitronenfalter aus. Die Eltern würden gehört, ihnen werde der Rücken gestärkt, und es finde eine tolle Vernetzung statt. Der Zitronenfalter sei ein starker, großer Partner für die Eltern, sagte sie. „Nur schade, dass die Arbeit hier mit der Einschulung endet“, bedauerte Petermann. Trotzdem profitiere ihr Sohn, neun Jahre, nach wie vor von dem Ansatz, die Stärken zu trainieren. Das erlaube es ihm bald, den Schulweg alleine zu bewältigen.
Michaela Lengsfeld vom antonius-Führungsteam verlas ein Grußwort von Winfried Kron, Referatsleiter im Hessischen Sozialministerium, der persönlich nicht anwesend sein konnte. Kron ist dem Thema Frühförderung fast sein ganzes Berufsleben im Ministerium verbunden. Er bescheinigte dem Zitronenfalter und anderen Einrichtungen in Hessen, „einen hervorragenden Job“ zu machen. Kron würdigte die große Zahl an Familien, die Jahr für Jahr die Frühförderstelle aufsuchen. Diese übernehme damit als „offene Anlaufstelle“ eine Beratungs- und Lotsenfunktion. Effektiv sei auch das Netzwerk, das sich zum Wohle der Kinder gebildet habe: Ein Drittel der Kinder würden von niedergelassenen Ärzten vermittelt, mehr als 30 Prozent von Kitas. Kron versprach, das Land werde alles tun, „um das System der Frühförderung weiterhin finanziell zu unterstützen“. Die Geschichte der Frühförderung in Fulda bezeichnete er als eine Erfolgsgeschichte. Zu verbessern ist für ihn die Honorierung der beteiligten Ärzte und Therapeuten, aber auch die Kindertagesstättenfachberatung.
Mit Spannung erwarteten die Teilnehmenden des Fachforums den Vortrag von Prof. Dr. Armin Sohns, Professor für Heilpädagogik an der Hochschule Nordhausen, der sich dem Thema „Inklusive Frühförderung“ seit Jahren auf hohem wissenschaftlichen Niveau und mit großem Erfolg widmet. Die Kinder, die heute in die Frühförderung kämen, seien andere als früher, sagte Sohns: Es gebe weniger Kinder mit Downsyndrom, dafür mehr Frühgeborene und andere Kinder, die sich als Vierjährige auf dem Entwicklungsniveau von Zweijährigen befinden. Oft spiele die soziale Herkunft eine Rolle mit Eltern im Hintergrund, die einfach zu erschöpft seien, um ihre Elternrolle vollständig ausfüllen zu können. Die Zahl der Kinder, die Frühförderung in Anspruch nehme, habe sich in 35 Jahren vervierfacht, verdeutlichte der Professor. Wenn aber, wie so oft in Deutschland, der Erstkontakt erst im Alter von vier Jahren erfolge, sei der Drops Chancengleichheit bereits „gelutscht“. Deshalb sei die Arbeit von Einrichtungen wie dem Zitronenfalter so wertvoll, sagte Sohns.
Aber nicht nur das: Solche abgestimmten und übergreifenden Hilfen seien auch kostengünstiger als das nach wie vor vorherrschende System, weil es Mehrfachuntersuchungen durch Hausarzt, Sozialpädiatrischem Zentrum, Frühförderstelle, Schule und Kita vermeide. Hinzu kämen andernorts lange Wartezeiten. Das sei für Eltern und Kinder extrem belastend. Die präventive Ausrichtung der Frühförderung verhindere überdies Folgeschäden. Der Landkreis Nordfriesland, der die Kosten für die Jugendhilfe fast nicht mehr stemmen konnte, spare seit der Systemumstellung jährlich Millionen Euro. Sohns legte dar, wie wichtig es ist, nicht nur das Kind in den Blick zu nehmen, sondern auch die Eltern. Bei einer Sprachstörung sei es oft hilfreicher, die Mutter zu stabilisieren und zu fördern, als das Kind – einfach, weil die Mutter viel öfter mit ihrem Kind spricht als jeder Logopäde. In den Familien würden die Weichen gestellt. Damit Kinder wachsen könnten, müssten die Familien wachsen. Eltern und Geschwister müssten dem Kleinkind helfen, sichere und feste Beziehungen aufzubauen, damit es die Welt erforschen und sich entwickeln könne, betonte Sohns. In Familien aus sozial benachteiligten Milieus erhielten Kleinkinder nur ein Drittel der Impulse und Stimulationen im Vergleich zu besser gestellten Familien. Und das bedeute weniger Entwicklung beim Kind. Prof. Sohns zeigte sich überzeugt, dass die Frühförderung künftig eine noch größere Rolle in der Koordination von Kinder- und Jugendhilfeleistungen spielen werde.
Am Tag darauf, am Samstag, 13. Mai 2023, kamen bei herrlichem Wetter über 200 Besucher zum Sommerfest des Zitronenfalters auf die Wiese vor dem Hauptgebäude von antonius. Dabei kamen vor allem die Kinder auf ihre Kosten bei Kinderschminken, Schaumwerkstatt, Bogenschießen mit dem Inklusionssportverein „Jeder ist anders“, Alpaka-Streicheln sowie einem Bällebad der Lebenshilfe. Natürlich durften Kaffee und Kuchen nicht fehlen. Landrat Bernd Woide (CDU) bedankte sich in seinem Grußwort für 25 Jahre vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Landkreis und Zitronenfalter. Die Einrichtung nehme im Rahmen der Frühförderung eine wichtige Aufgabe für Familien im Landkreis wahr, und das mit großer Zufriedenheit. Sebastian Bönisch vom antonius Führungsteam, gab den Dank zurück. Ein deutschlandweit so besonderes Konzept mitzutragen, in dem kein Antrag und Begutachtung notwendig sind und damit ein absolut niedrigschwelliges und ganzheitliches Angebot für Familien geschaffen wurde, das erfordere Mut und Vertrauen auf beiden Seiten. Kerstin Reith, die Leiterin des Zitronenfalters, bedankte sich bei der Stadt Fulda und der Projektförderung „Demokratie leben!“, für die Förderung des Begegnungsfestes sowie dem starken und vielfältigen Netzwerk des Zitronenfalters. Nur in guter Zusammenarbeit aller Akteure, die am Entwicklungsprozess der Kinder beteiligt sind, lasse sich die Arbeit erfolgreich bewerkstelligen. +++ pm