
Es war ein großer, ein denkwürdiger Abend in der Hubtex Arena. Das bleibt als wichtigste Erkenntnis zurück. Für alle. Weltklasse-Tischtennis? Man sollte mit diesem Etikett vorsichtig sein, es nicht reißerisch oder inflationär gebrauchen. Aber dieses Mal schien es angebracht. Begeisternde Ballwechsel en masse verzauberte das Publikum im vollen Haus. Die Zuschauer litten mit und fühlten sich hautnah am und mitten im Geschehen. Sie spürten nicht, dass die Zeit verging. Fiel es eigentlich so sehr ins Gewicht, dass der TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell das Top-Spiel der Tischtennis-Bundesliga gegen den 1. FC Saarbrücken Tischtennis mit 1:3 verlor? Dabei entschädigten die Spieler und schenkten kurzweilige Stunden unterhaltsamen Wertes. Kommen Sie doch einfach mit - entweder, um das Geschehen noch einmal zu verinnerlichen, oder um sich einen Eindruck von der dichten Atmosphäre zu verschaffen. Von Gefühlen, die nur der Sport gibt. Selten war das Verhältnis von Geben und Nehmen so nahe. Und das mitten in Fulda. Mitten in Osthessen.
Früh schon hatte die Spannung Platz genommen im Wohlfühl-Kino. Die Zuschauer wussten da noch nicht, was ihnen auch ohne die Spitzenkräfte Dima Ovtcharov und Fan Zhendong geboten werden sollte. Fuldas Trainer Qing Yu Meng hatte sich für folgende Formation entschieden: Ruwen Filus an 1, Fanbo Meng an 2, Jonathan Groth an 3 - ergo sollte Filus das vierte Einzel bestreiten. Für Saarbrücken traten an: der Ex-Maberzeller Patrick Franziska, eine Größe des deutschen Tischtennis, an 1, Eduard Ionescu an 2, Darko Jogic an 3. Zehn Minuten vor Spielbeginn betritt Michael Hiodes die Bühne, die ehemalige Maberzeller Größe Arno Koster geht vorbei und sucht seinen Platz. „Der Liga-Kracher steht an“, sagt Anmoderations-Künstler Hodes, und „eine wunderbare Kulisse“. Auch der Fanclub RhönSprudel Power scharrt mit seinen Hufen, bis er Fuldas einlaufende Spieler erwarten kann. Der Trommler tut das, was er immer macht. Huptöne und stakkatoartiges Klatschen garnieren die Sekunden bis zum Start.
Schon das Eröffnungseinzel zwischen Filus und Ionescu hat es in sich. Dieser Krimi geht über Fünf - und der Fuldaer gewinnt den Letzten mit 11:9. Sie wollen wissen, wie? Filus überlässt seinem Kontrahenten, zweifacher Jugend-Europameister der Jahre 2022 und 2023, ein 0:6. Dann erst macht er den ersten Punkt. Dass bereits hier einige Ballwechsel spektakulär sind, ist eher untertrieben. Filus spielt das, was ihn ausmacht. Er wehrt ab. Immer wieder. Wehrt ab und wehrt ab. Er übt sich in einer Art Betonabwehr. Für ihn nichts Neues. Da lukt schon ein von ihm geschlagener Ball über die Netzkante. Doch er bleibt dort hängen. Sinnbildlich fast für den Ersten. Doch er hat das Publikum gewonnen. Es steht hinter ihm. Frenetisch hinter ihm. Erst recht, als er bis auf 7:8 verkürzt. Dann 7:9. 8:9. Filus ballt die Faust. Ausgleich zum 9:9. Das Publikum feuert Filus an. Dann aber Satzball gegen ihn. Und er schenkt einen Rückschlag her. Der Erste ist futsch. 9:11.
Im Zweiten ein anderes Bild. Filus führt. 6:3. Man braucht Geduld, um ihn zu besiegen. Auch und nicht zuletzt Angriffsspieler Ionescu. Filus aber wird zunehmend stabiler. Unglaublich - beim 10:5 hat er fünf Satzbälle. Ionesco kommt bis auf 8:10 heran - aber Filus schnappt sich den Durchgang. Mit 11:8. Der Dritte wird wieder spannender. Er gewinnt dramatische Züge. Filus liegt 4:0 vorne, dann 8:4 und 9:6. 10:4. Wieder vier Satzbälle. Dieses Mal gewinnt er mit 11:7. Filus hat das Match gedreht. Das Publikum tobt. Fast rastet es aus. Die Frage ist doch: Bringt Ionescu - im Duell der Generationen - die Geduld auf, eine solche „Abwehr-Wand“ wie Filus niederzuringen? Das ist entscheidend. Das ist der Punkt. Das ist mentale Stärke. Die nicht vom Himmel fliegt.
Rein in den Vierten. Wieder zeigt Filus, dass es aus der Abwehrhaltung heraus in der Lage ist, blitzschnell zu kontern. Dieses Zusammenspiel ist seine Waffe. Es steht 6:6, ehe die Crunchtime beginnt. Plötzlich 8:7 für Ionescu. Time Out Fulda. Jetzt 10:8 für den Rumänen. Filus ist bei diesem Ball zu defensiv. Das geht nicht. Doch er verkürzt. Und gleicht aus. Dritter Satzball für Ionescu. Erneut kommt der zähe Brocken Filus, 11:11. Vierter Satzball für den Rumänen. Jetzt reicht es - 13:11. Der Fünfte muss es richten. Und man spürt: Das Publikum ist dankbar. Es hat sich nach solcher Spannung gesehnt. Dramatik ist hier leichter zugänglich als in einem Reclam-Heftchen.
Im Entscheidungssatz ist lange alles offen. Ionescu scheint gelernt zu haben. Er wird geduldiger. Es steht 6:6. Da ist er wieder. Der Meister, der Magier Filus. Er wehrt sensationell ab - und kontert virtuos. 8:6 jetzt für ihn. Noch drei Punkte bis zum Matchgewinn. Doch so leicht gibt der Rumäne nicht bei. Er ist zäh. Er kommt heran. Und er gleicht aus. 9:9. Was ist hier nur los? Menschen, die es am Herzen haben, sollten hier nicht dabei sein. Die Zuschauer spielen verrückt. Doch 10:9 für Filus. Ein Punkt noch. Und dann landet Ionescus Rückhand im Netz. 11:9. Und 1:0 für Fulda. Emotionen müssen raus jetzt. Die Zuschauer sind erleichtert. So, als wäre das Fieber deutlich zurückgegangen. Einer der Anhänger sagt: „Das ist schon mal geil, wenn die Stimmung soooo ist.“
In Einzel zwei kommt es zum Duell zweier alter Bekannter. Fanbo Meng fordert Patrick Franziska, der Deutschland in Kürze bei der Team-WM vertritt, heraus. Es läuft an diesem Abend für Fanbo. Er hat Blut geleckt. Zunächst führt er deutlich, aber Franziska kämpft sich heran. Es steht 8:8 im Ersten. Und 9:9. Dann sitzt Franziskas Rückhand. Mit 11:9 schnappt er sich Durchgang eins. Aber man sieht - und das ist die positive Erkenntnis und schon bis hierher zu sehen: Fanbo Meng ist mutig. Selbstbewusst. Mit stimmiger Körpersprache und Körperspannung. In den wichtigen Momenten war er glücklos.
In Satz zwei läuft er gar heiß. Er pusht sich unentwegt. Nach dem Zwischenstand von 6:6 geht er 8:6 in Front. Und Franziska ärgert sich. Sein Spielglück gefriert für den Moment. Beim 10:7 hat Fanbo Meng drei Satzbälle. Beim ersten geht seine Vorhand zunächst an die Netzkante - und von dort hinter die Platte. Dennoch: 11:8 für den Fuldaer. Er gleicht nach Sätzen aus. Im Dritten antizipiert Franziska besser. Und Fanbo spielt seinem Kontrahenten einige Male auf den Schläger. Besser gesagt: auf die Schlaghand. Auch wenn es nach Kleinigkeiten aussieht. Jetzt läuft Franziska heiß. Beim 10:2 hat er acht Satzbälle. Er gewinnt den Dritten 11:2.
Fanbo wechselt das Shirt. Satz vier steht an. Es steht 3:3. Aber Franziska zeigt mehrfach, was in ihm steckt. Seine peitschenden, viel Dynamik entwickelnden Schläge, haben es in sich. Doch Fanbo hält dagegen. Von 6:4 stellt Franziska auf 8:4. Wieder hat der Fuldaer. Pech, als eine Rückhand schon übers Netz guckt - aber an der Netzkante hängenbleibt. Der Ex-Fuldaer zieht davon. Beim 10:4 hat er sechs Matchbälle. 11:4. Und 1:1 im Vergleich der Teams.
Dann aber folgt das Match, über das schon vor der Partie orakeln konnte: Ist es das „Zünglein an der Waage? Hängt von ihm vieles - auch Entscheidendes - ab?“ Beim Namen genannt: Jonathan Groth gegen Darko Jorgic. Groth, nach seinen beiden NIederlagen zum Auftakt gegen Düsseldorf mit drei Siegen in Folge, kommt gut rein - und liegt schon mit 6:0 vorn. Dann erst glückt Jorgic, immerhin Nummer Zehn der Welt, der erste Punkt. Groth ist sicherer. Mutiger. Jorgic unglaublich. Groth hat fünf Satzbälle. Den ersten nutzt er zum 11:5.
Der Zweite wird hinten heraus spannend. Groth führt schon 9:6. Doch Jorgic glaubt an sich und gleicht aus. Beim Ausgleich denkt er sich wohl, solche Bälle hätte ich öfter mal gern geschlagen. Gleich einen hinterher. Und nochmals. Der Durchgang geht an Jorgic, der sich förmlich reingebissen hat. 11:9. Und die Abfolge im Dritten darf aus Fuldaer Sicht nicht wahr sein: Groth führt mit 8:5 - und Jorgic macht sechs Punkte in Folge. Da helfen auch zwischenzeitliche Aufmunterungsrufe des Fanclubs nicht: Auf geht‘s, Jona. Auf geht‘s.“ Auch im Vierten hat Jorgic das bessere und glücklichere Ende. 6:7 ist der Zwischenstand - da folgt ein Big Point. Groth lässt sein Herz auf der Platte, doch den Punkt macht Jorgic. Er wirkt stabiler in dieser Phase - und er hat die bessere Körpersprache. Bleibt aufrecht. Beim 10:7 hat er drei Matchbälle. Den zweiten verwertet er. 11:8 - 2:1 für Saarbrücken.
Einzel vier kommt für Ruwen Filus einer Herkulesaufgabe gleich. Er hat es mit Patrick Franziska zu tun. Auch diese Beiden kennen sich seit Jahren. Ist es wieder ein Spiel, das über die mentale Schiene entschieden wird? Franziska weiß bestimmt um den Schlüssel. Bringt Filus noch genügend Energie auf, um dieses knifflige Rätsel zu lösen? Zunächst sieht es so aus. Filus liegt im Ersten 6:4 vorne. Dann steht es 7:7. Franziska setzt sich beim 9:7 leicht ab. Beim 9:8 hat er eine Spur Glück - und beim 10:8 zwei Satzbälle. Mit 11:8 holt er sich den Ersten.
Bis hierher. Das soll es mit Fuldaer Widerstandskraft gewesen sein. Die beiden folgenden Sätze bieten noch einige sehenswerte Ballwechsel. Im Zweiten kämpft Filus. Er robbt sich auf 7:9 heran - frenetischer Jubel, als er bei diesem Punkt wieder aus an sich bedrohlicher Lage antwortet und kaum jemand mit seiner gewinnbringenden Reaktion rechnet. Doch beim 10:7 hat Franziska drei Matchbälle. Und mi 11:7 holt er sich diesen Durchgang. Die Geschichte des Dritten ist schnell erzählt. Schon beim 1:3 aus Filus‘ Sicht nimmt Fulda ein Time Out. Doch Franziskas Seele lacht. Bei sieben Matchbällen. Gleich der erste sitzt zum 11:3. Es ist 21.40 Uhr.
ZUrück bleibt ein denkwürdiger Abend. Mit der wesentlichen Erkenntnis, dass der TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell alles gegeben hatte. Ein Kompliment geht an das gesamte Team. Vor allem auch an Ruwen Filus, der oft nicht zum Einsatz kommt - aber eindrucksvoll zeigte, dass er trotz seiner 37 Jahre ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft ist. Und dass es ohne zwei der Säulen - Ovtcharov und insbesondere Kao - schwer ist, Spiele in der verdammt ausgeglichenen und irgendwie verrückten Bundesliga zu gewinnen.
Der TTC hat nun ein paar Tage frei. Nächste Hürde: das Auswärtsmatch in Bad Homburg. Am Montag, 6. Oktober, 19 Uhr.
Die Ergebnisse im Einzelnen
Ruwen Filus - Eduard Ionescu 3:2 (9:11, 11:8, 11:7, 11:13, 11:9)
Fanbo Meng - Patrick Franziska 1:3 (9:11, 11:8, 2:11, 4:11)
Jonathan Groth - Darko Jorgic 1:3 (11:5, 9:11, 8:11, 8:11)
Ruwen Filus - Patrick Franziska 0:3 (8:11, 7:11, 3:11) +++ rl
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