Schönberger reagiert mit offenen Brief auf Brand's Wahlanalyse

Michael Brand (CDU)

Der Bundestagsabgeordnete Michael Brand (CDU) hat in seiner Kolumne in der hiesigen Zeitung das Wahlergebnis der EU-Wahl analysiert und nach Gründen für den CDU-Wählerschwund gesucht. In seinem Beitrag hat der Bundestagsabgeordnete der CDU, den Grünen "grob gestrickte Antworten" auf komplexe Zusammenhänge unterstellt. Dies könne man so nicht stehen lassen ist Helmut Schönberger von den Grünen der Meinung und schrieb einen offenen Brief an Brand. Diesen möchten wir ihnen nicht vorenthalten. +++


Lieber Michael Brand,

vieles, was Du in dem Kommentar in der heimischen Zeitung beschreibst, kann ich unterschreiben und mittragen. Die globale Welt ist kompliziert und wir als Deutschland werden sie nicht für den Menschen retten. Aber wir können unseren Beitrag dazu leisten. Wenn Du allerdings den Grünen "grob  gestrickte Antworten" auf komplexe Zusammenhänge unterstellst und damit suggerierst, dieses wäre ein Grund für den CDU-Wählerschwund, sage ich: dieses Klientel, welches  mit Eurer Politik nicht einverstanden ist und einfache Antworten haben möchte, verliert Ihr an die AFD, nicht an die Grünen. Unsere Ansätze sind komplex und ganzheitlich und haben u.a. deshalb bei den Wähler*innen über Jahre hinweg nicht die entsprechende Resonanz gefunden.

Dass Deine Ausführungen nur die halbe Wahrheit sind, werde Dir an einigen Beispielen erläutern.

Jahrelang wird von Deiner Partei nichts oder wenig unternommen:

  • Die Atomkraft wurde verharmlost, der geplante Atomausstieg von Rot-Grün wurde zurück genommen, bis es dämmerte, wie gefährlich das gesamte Szenario ist einschließlich der bis heute noch immer ungeklärten Endlagerung ist. Der überstürzte Ausstieg vom Ausstieg war die Folge, die Energiewende wird aber nur halbherzig angegangen. Die Grünen entwickelten gemeinsam mit Umweltinstituten einen machbaren "Energiemix", bei dem z.B. die Windenergie ein wichtiger Bestandteil ist. Die Blockade vieler Windenergiegegner hat den entsprechenden Parteien nicht die erhofften Stimmen beschert! Hier hätte es mehr Unterstützung und Courage gebraucht.
  • Schon 1997 fordert Kanzlerin Angela Merkel von der Autoindustrie die Entwicklung eines 3-Liter Autos, harte Konsequenzen wären ansonsten die Folge. Gar nichts ist hier geschehen! 20 Jahre lang nicht!  Die Betrügereien der Autoindustrie sind bekannt. Politische Reaktionen sind sehr verhalten, und das kriminelle Verhalten der Akteure wird nicht konsequent geahndet. Eine Nachrüstung wird blockiert. Die Kunden werden mit ihren Problemen allein gelassen.
  • Seit Jahrzehnten warnen nicht nur wir Grünen vor der Klimaveränderung. Diese wurde jahrelang geleugnet, Bilder von schmelzenden Gletschern und schmelzendem Polareis wurden ignoriert. Dass nun die weltweit vereinbarten Klimaziele in Deutschland nicht eingehalten werden können, ist einer der ersten Erklärungen der neuen Großen Koalition.
  • Die massenweise Produktion von Verpackungsmüll, der in die ganze Welt verschickt wird, ist national, hiergegen wird kaum was unternommen. Einwegflaschen und -dosenB. sind inzwischen wieder üblich. Viele alternative Ideen warten auf die Umsetzung.
  • Die unsittlichen Gehälter von Managern und Bankern werden nicht eingedämmt, Boni für unfähige Manager in unglaublicher Höhe nicht angeprangert. Sehr gut Verdienende werden zu wenig gehindert, Steuern zu hinterziehen. Firmen wie Amazon zahlen praktisch keine Steuern. Stört es jemanden an der Regierung, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden?
  • Zum Thema Landwirtschaft lässt sich viel sagen. Dass immer mehr Familienbetriebe ihren Betrieb aufgeben müssen ist nicht nur der fehlenden Hofnachfolge geschuldet, sondern vor allem der mangelnden Unterstützung kleiner Betriebe. „Wachse oder weiche“ war jahrzehntelang das Motto. Die Subventionspolitik sowie die Verquickung von Politik, Bauernverband und den wenigen großen Lebensmittelkonzernen fördern industrielle Großbetriebe und Massentierhaltung. Auf europäischer Ebene war der Alleingang des damaligen CSU-Landwirtschaftsministers in Sachen Glyphosat eine endgültige Bankrotterklärung für die Umweltpolitik. Kamen da etwa kritische Stimmen aus der Union? Hier sind dann auch so ein paar wohlgemeinte Blühstreifen nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
  • Schließlich treibt die Menschen besonders in Großstädten, aber inzwischen aber auch in Wachstumsregionen um, dass es kaum mehr bezahlbaren Wohnraum gibt. Dass hier der freie Markt versagt hat, ist offensichtlich und es müssen dringend Lösungen her. Auch dieses ist seit langem bekannt, auch, dass hier keine schnelle Hilfe möglich ist. Aber der politische Wille, Abhilfe zu schaffen ist nur sehr schwach ausgeprägt. Krücken wie Mietpreisbremse u.ä. helfen hier nicht.
  • Und als letztes möchte ich noch die Regulierungswut von staatlichen Institutionen anmerken, die gerade dem Mittelstand und Familienbetrieben, kleinen Firmen bei Ausschreibungen und der Landwirtschaft sehr viel zu schaffen machen. Auch dies führt zu dem Verdruss an den Parteien der großen Koalition.

Ich hoffe, ich hab Dir an einigen Beispielen vorführen können, dass die CDU vielleicht doch einmal grundsätzlich ihre Positionen überdenken sollte und die Selbstkritik etwas umfangreicher ausfallen sollte als in Deinem Beitrag in der Zeitung. In diesem Sinne und weiterhin auf gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit dort, wo wir gemeinsame Ziele vertreten.

mit freundlichen Grüßen

Helmut Schönberger


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4 Kommentare

  1. „Mit dieser überheblichen Art gehen wir den Menschen auf den Sack.“ Wen er damit genau meinte, hätte Günther offengelassen, berichten Teilnehmer einer Klausurtagung der CDU-Spitze. So melden es die Medien. So ist es auch, liebe CDU. Ihr geht uns allen auf den Sack. Wenn demnächst wieder mal Wahlen anstehen, wird man es sicher merken. Mein Fazit ist nach wie vor: So geht es gar nicht.

  2. Man muss Herrn Brand für seine Sicht der Dinge extrem scharf kritisieren, so geht es nämlich nicht. "Manchmal muss man auch mal innehalten und sagen: Darauf haben wir jetzt noch keine Antwort, wir arbeiten dran." Diese Theorie verfolgt die CDU schon viel zu lange, bedient inzwischen jeweils munter weiter Klientel-Interessen und verliert langfristige Ziele stets gerne aus den Augen. Beispiel gefällig? Schon in den 80er/90er Jahren hat BMW Fördergelder für die Wasserstofftechnologie erhalten, nach Ende des Förderprogramms (=Ende des Geldflusses) haben die keine Lust mehr gehabt und alles einfach verrosten lassen. Kurz darauf haben uns die Asiaten mit ihren innovativen Antriebskonzepten überholt und inzwischen sieht Deutschland in dieser Hinsicht so alt aus wie die CDU. "Grob gestrickt" wäre für die Energiepolitik noch beschönigend; eine solche Beleidigung den Grünen entgegenzuwerfen, ist eine dreiste Unverschämtheit. Rezo hat Recht, wenn er 80.000 Arbeitsplätze in der Photovoltaik auf den Bierdeckel der CDU schreibt - für nichts geopfert als für ein paar Cent beim Strompreis. Dabei könnte man den auch quersubventionieren, für eine Übergangszeit etwa. Der CDU-Kohleausstieg ist eine Katastrophe, PUNKT. Es interessiert dabei nicht, dass wir in Deutschland nicht die Probleme der Welt lösen können. Einzig entscheidend ist, dass wir so intelligent und schnell wie möglich beim Klimaschutz vorankommen. Dabei steht die CDU allerdings voll auf der Bremse, aber leider nicht, weil sie an intelligenten Lösungen arbeitet.
    Verpackungsmüll und Landwirtschaft sind ebenfalls Beispiele für das Versagen der CDU. Herr Brand muss sich wirklich fragen lassen, wie er auf die Idee kommt, von der Wahlklatsche der CDU bei der Europawahl mit Indien und China ablenken zu wollen. Natürlich ist es richtig, dass diese Länder die Umwelt extrem strapazieren. Es ist aber genauso richtig, dass wir z.B. ein unionsgeführtes BMZ haben, das seit Jahrzehnten weder Willens noch in der Lage ist, irgendeinen strategischen Ansatz ins Werk zu setzen, der diesem Wahnsinn Einhalt gebietet. Wir fördern munter Länder, die auf Umweltschutz pfeiffen, die keine Geburtenkontrolle betreiben obwohl sie ihre Bevölkerung nicht ernähren können, die ihren (Plastik-)Müll milde lächelnd in die Ozeane entsorgen etc. etc. Da müssten Mindeststandards und Wohlverhaltensregeln her, bevor auch nur ein Euro fließt. Extrem irritierend ist ja vor allem auch, dass Herr Brand schreibt: "das alles braucht vor allem erst einmal die Einsicht bei den politisch Handelnden in Berlin, dass wir nicht mit Phrasen, sondern mit Fragen, auch an uns selbst auf diese Niederlage reagieren müssen." Das heißt ja auf Deutsch, dass er sich selbst und alle anderen (von der CDU) in Berlin als Phrasendrescher versteht, die nicht an der Lösung arbeiten, sondern zum Problem gehören. Wenn das so ist, dann gute Nacht, Deutschland.

  3. Lieber Helmut,

    Es ist alles richtig was du sagst. Nur sind selbst die Lösungsvorschläge der Grünen immer noch nicht ausreichend. In 2000 wären diese noch ausreichend gewesen. Aber durch die Blockade seit 2005 müssen die Ziele deutlich verschärft werden. Ja es wird und muss an vielen Stellen weh tun oder wir steuern auf einen irreversiblen Klimawandel zu. Dies würde das Ende der Zivilisation wie wir sie kennen bedeuten.
    Es ist eine deutliche Radikalisierung erforderlich, leider.

  4. Ein guter Aufsatz von Herrn Schönberger. Aber die Kritik an der CDU und vor allem an Kanzlerin Merkel in ihrer langen Regentschaft ist - sicher aus Platzgründen - relativ sparsam. Es könnte eine ganze Liste von Fehlern und Versäumnissen von CDU und Merkel aufgelistet werden. Fehler in der Innenpolitik, Sozialpolitik usw. und Fehler in der EU-Politik. Die Folgen werden wir alle noch zu tragen haben. Sehr auffällig ist, dass die CDU in der Regierung jedwede Verbesserungen für die Menschen in Deutschland blockiert (auch was die Mietpreisbremse betrifft!) und stattdessen der SPD noch Profilierungswahn vor den Wahlen vorwirft. Das Wählerklientel der CDU zeigt deutlich, dass diese Partei in wenigen Jahren am Ende ist. Die jüngere Generation kann mit der CDU nichts anfangen und die Älteren, die stoisch regelmäßig CDU wählen, werden biologisch bedingt immer weniger. Da muss sich in der Partei von Herrn Brand noch viel ändern, um hier einen neuen Kurs einzuschlagen.

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