Sascha Gramm ist wieder da

Erst Bandscheiben-Vorfall, dann Co-Trainer im Handball

Saschagramm
Sascha Gramm . Foto: Alexander Rebs Fotografie

Fragen Sie sich eigentlich, was mit Sascha Gramm los war in den letzten Wochen? Eine ganze Menge. Der Extremsportler aus Hosenfeld-Hainzell erlitt, nachdem er sein Abenteuer in Kirgisistan hinter sich gelassen hatte, einen Bandscheiben-Vorfall im Halswirbel-Bereich - um sich dann als Co-Trainer des Handball-Frauen-Drittligisten in Bad Wildungen zu üben. Beides waren oder sind Dinge, die ans Herz gehen. Beeindruckend aber, wie positiv er damit umgeht. Lesen Sie die spannende Geschichte.

Es gibt Fragen, die angebracht sind. Wie es ihm derzeit gehe, wie sein gesundheitlicher Zustand denn sei? „Ich kann mich nicht beschweren. Gott sei Dank bin ich auf dem Weg der Besserung“, sagt der 46-Jährige, der in der osthessischen Sportszene in der „Hall of Fame“ Platz finden müsste. Doch vor wenigen Wochen ereilte ihn Besorgniserregendes. Gesundheitlich. Er spürte ein Taubheitsgefühl in Oberarm, Unterarm, bis in die Finger hinein. Er dachte erst, es seien Nachwirkungen, nachdem er beim Etappenlauf in Kirgisistan an und über seine Grenzen gegangen war. Nee, falsch gedacht. Es war schlimmer. „Es war gar nichts möglich. Du wirst ausgebremst. Der Alltag in den ersten Wochen war sehr schwer. Ohne Schmerzmittel wäre gar nichts gegangen.“ Schmerzen. Schüttelfrost. Fieber. Kopfschmerzen. Unwohlsein. Seine Begleiter. Das Sportler-Herz leidet. Acht Wochen war er komplett raus. An Sport war nicht zu denken. Überhaupt nicht.

Er ging zu Timo Lindemann, seinem Physiotherapeuten des Vertrauens. „Er hat nicht gesehen und gleich gesagt: Sascha, du musst ein MRT machen lassen.“ Das tat der Betroffene. In Würzburg. Er ging „in die Röhre“. Zwischen dem 6. und 7. Halswirbel waren Schmerzen in Bereich der Bandscheibe aufgetreten. Schmerzen, die aufs Nervensystem drückten. Also Taubheitsgefühl und Nervenschmerzen. Die Diagnose: akuter Bandscheibenvorfall im Halswirbel-Bereich. Ein Indikator: Kraftverlust im Arm. Inzwischen war es Juli.

Sascha Gramm sagt heute: „Ich war froh, dass es eine Diagnose gab und musste die Situation annehmen. Dass ich weiß, wo ich dran bin. Ich habe es positiv gesehen. Nämlich was ich tun muss, um die Situation zu verbessern. Um in den Alltag zurückzukommen. Und mittelfristig auch in den Sport.“ Viele, die ihm im Alltag begegneten, sagten halt, das komme wegen des exzessiv ausgeübten und gelebten Sports - aber: nichts da. Gramm erklärt: „Der Sport war nicht maßgeblich beteiligt. Im Gegenteil, er hat mir geholfen. Das Mindset. Das positive Denken.“ Dieser positive Umgang zeichnet ihn aus - und lässt erahnen, was er durch den Sport gelernt hat. Was er ihm mitgegeben hat.

Natürlich macht man sich in solchen Situationen Gedanken und denkt an eine jahrelange einseitige Belastung der Schulter, an 25 Jahre Schreibtisch-Job, seine linke Schulter meldete sich immer mal - doch das reichte alles nicht als Erklärung. Und Sascha Gramm machte sich keine Illusionen. „Wenn die Entzündung nicht zurück gegangen wäre, hätte die Geschichte operativ gemacht werden müssen“. Das will eher niemand.

Doch Sascha Gramm machte Fortschritte. Allmähliche Fortschritte. Er nennt dies „ganz kleine Schritte, in denen du denkst, dass du auf dem richtigen Weg bist.“ Die Schmerzen ließen nach. Die Beweglichkeit kam zurück. Stück für Stück. Er fühlt Dankbarkeit. Er spürt Dankbarkeit. „Meine beiden Physios haben in dieser Phase sehr gute Arbei geleistet. „Timo Lindemann hat sich ganz toll gekümmert. Ihm vertraue ich seit 15 Jahren. Ein Glücksfall. Er hat mich da quasi an die Hand genommen. Im weiteren Verlauf auch Benjamin Dillenburger.“

Sascha Gramm wusste es - und er spürte es auch dieses Mal. „Genau in diesen Phasen musst du aktiv sein.“ Bewegung ist A und O. Mit und in Bewegung heilen. Und Sascha Gramm war aktiv. Einfach spazieren oder dann auch marschieren, das half ihm. Und in diese Schnittstelle kam seine Tochter Mia-Lina rein. Elf ist sie und spielt bei der HSG Großenlüder-Hainzell Handball. Sie wollte mit ihren Freundinnen in einem Team spielen in der ersten Mannschaft. Ihr Vater entgegnete ihr nur: „Das bekommst du nicht geschenkt.“ Und er bot ihr an, auch was dafür zu tun. „Wir haben etwas zusammen gemacht. Zusammen trainiert. Das hat mich gefreut. Ich hatte eine Aufgabe. Und das kam ja auch ihr zugute.“ Doch er spürte: „Sie hat mich unterstützt.“ Denn er nahm diesen Schub wahr. Für beide. Und für sich. „Ich hatte den Antrieb, mich selbst zu bewegen - ich habe ihr Lauftechniken, -übungen und die Herangehensweise beigebracht.“ Und es steckte mehr dahinter. Es schälte sich mehr heraus.

Denn die Spur führt ins nordhessische Bad Wildungen. Genauer gesagt, zu den Handballerinnen der Vipers. So nennt sich das Team, das vor zwei Jahren noch in der Bundesliga spielte, nach zwei Abstiegen in Folge aber in der Dritten Liga gelandet ist. Doch der Reihe nach. Vor Kurzem bekam Sascha Gramm eine Anfrage des neuen Wildunger Headcoaches Steffen Obst, der Gramm gerne zu sich ins Team holen wollte. Beide kannten sich von verschiedenen Handball-Camps her - und ihr Kontakt brach nie ab. Beispielsweise war Obst des Öfteren in Großenlüder zu Gast, erst in diesem Jahr zu Ostern wieder. „Wir haben uns dann in Bad Wildungen getroffen. Der Sportliche Leiter war auch dabei“, sagt Gramm.

Mitte Juli bekam er das Angebot. Erst einmal war er als Lauftrainer gefragt, und er assistierte dem Headcoach Obst. Sascha Gramms offizielle Bezeichnung ist nun Co-Trainer. „Handball ist mir ja nicht unbekannt“, wusste er. Seine Ehefrau Tina spielte einst in Großenlüder, seine ältere Tochter Mia Lina tut das jetzt, bei Enya (9) ist das noch offen. „Sie haben mir ihr Vorhaben vorgestellt in Bad Wildungen“, konkretisiert Sascha. Spannend offenbart sich die Vision des Vereins und der „Vipers“: Was ist ihr Projekt? Das Ziel ist eindeutig: Rückkehr in die Zweite Liga. Zunächst. Der Kader, mit sechs ausländischen Spielerinnen bestückt, ist ziemlich klein. Aber er hat es in sich. „Als ich kam“, sagt der Hainzeller, „war die älteste Spielerin 25.“ Mittlerweile sind auch Spielerinnen aus Brasilien im Spiel: zwei sind schon da, eine dritte ist im Anflug. Trotz des personellen Umbruchs innerhalb weniger Monate: Es herrschen bundesligareife Bedingungen in Bad Wildungen.

Und Sascha Gramm fühlt sich wohl in der neuen Umgebung. „Es macht Spaß. Die menschliche Basis passt. Wenn das nicht stimmen würde, hätte ich das nicht gemacht“, zapft er sein Sportler-Herz an - und das eines Sympathieträgers aus Osthessen. Einen weiteren positiven Effekt schiebt er nach. „Ich lerne bei den Trainingseinheiten. Ich lerne. Und lerne.“ Acht Einheiten stehen an pro Woche, im Trainingslager zur Vorbereitung auf die Saison war das Team im thüringischen Schlotheim. Und das Beste: am Samstag ist Saisonauftakt. Es ist ein Heimspiel gegen gegen die Zweite von Mainz 05; Anwurf in der Ense-Halle: 19 Uhr. Natürlich wirkt Sascha Gramm ein Stückchen weit euphorisiert, er möchte am gemeinsamen Projekt mitwirken, erleben, was dort entsteht. In einem Bericht der „Waldeckschen Landeszeitung“ wird Sascha Gramm als „Fitnesscoach aus dem osthessischen Hosenfeld“ bezeichnet, „er ist übrigens Ultraläufer, also genau der richtige Mann für den momentanen Zustand der Vipers. Denn sie haben noch einen langen Weg vor sich.“

Wie sieht seine persönliche Zukunft aus? „Ich hab‘ einen Plan“, sagt er - auf die Frage, ob er jetzt mehr beim Laufen und dem damit verbundenen Extremsport zu Hause ist oder vielleicht beim Handball. Im nächsten Jahr gebe es einen Lauf in Usbekistan, „ihn würde ich gerne mitmachen. Hab‘ mich aber dagegen entschieden“. Der Grund leuchtet ein - und wieder spielt sein Herz eine entscheidende Rolle. „Wenn der Lauf stattfindet, spielen wir vielleicht Relegation im Handball. Und da nicht dabei zu sein, das würde ich den Mädchen gegenüber nicht übers Herz bringen.“ Diese Gedanken springen ihm geradezu aus dem Herz: „Wer hat uns denn zugetraut, dass wir eine schlagkräftige Truppe zusammen bekommen?“ Er meint die Vipers. Am Donnerstag stand die Team-Präsentation an. Die Presse ist geladen. Ein Sponsoren-Frühstück ist anberaumt.

Es werde in diesem Jahr „nichts Großes“ mehr geben, ergänzt er. „Es kommt noch was. Aber eher kleinere Dinge.“ In 2025 noch ohne Wettkampf. „Ich versuche, aufzubauen“, versichert er glaubhaft, „dass ich 2026 angreifen kann“. Kürzlich ist Sascha Gramm müde und zufrieden ins Bett gefallen. Er hatte seinen ersten Halbmarathon absolviert. Nur zum Training. Aber es war eine weitere Etappe auf seinem Weg zurück. Er ist bei sich. Demut, Zähigkeit, gesundes Einschätzen der Situation, Bodenständigkeit, Vertrauen, Mut und positives Denken spielten eine große Rolle. Und der Sport. Sascha Gramm ist wieder da.

Am Freitag nächster Woche ist Sascha Gramm, zum Beispiel an der Seite von Schwimmer-Ikone Jan-Philip Glania, Gast einer Gesprächsrunde im Forum des Kanzlerpalais in Fulda. Das Thema: „An die eigenen Grenzen gehen - und darüber hinaus. Profisportler erzählen.“ Die Leitung übernehmen André König und Harald Piaskowski, 1. Vorsitzender des Sportkreises Fulda-Hünfeld. Der Eintritt ist frei. +++ rl


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