Jusos rufen SPD-Abgeordnete zu Blockade von Bürgergeld-Reform auf

Die Partei habe sich bewusst von Hartz IV verabschiedet

Philipp Türmer
Juso-Vorsitzender Philipp Türmer

Die Jusos haben die von Union und SPD im Koalitionsausschuss verabredete Reform des Bürgergelds scharf kritisiert und die SPD-Abgeordneten zu einer Blockade der Reform aufgerufen. "Diese Einigung wiederholt Fehler der Vergangenheit", sagte Juso-Chef Philipp Türmer dem "Tagesspiegel". Die Partei habe sich bewusst von Hartz IV verabschiedet. "Dass jetzt unter der Beteiligung der SPD wieder eine Rolle rückwärts gemacht wird, tut extrem weh und ist falsch", sagte Türmer.

Dass der Vermittlungsvorrang nun wieder zum Grundsatz erklärt wird, hält Türmer für einen Fehler. "Damit sorgen wir für einen Drehtür-Effekt, den niemanden haben will", sagte der SPD-Politiker. "Das schadet enorm den Betroffenen und nutzt auch keinem Arbeitgeber irgendetwas." Zudem hält der Juso-Vorsitzende die Pläne nicht für verfassungsgemäß. "Mit den angekündigten massiven Ausweitungen der Leistungskürzungen steuert die Koalition sehenden Auges auf eine Klatsche vor dem Verfassungsgericht zu", sagte Türmer. Die Grundsicherung muss ein sozioökonomisches Existenzminimum garantieren. "Das ist hierdurch klar bedroht."

Die Parlamentarier seiner Partei forderte er dazu auf, sich gegen die Verschärfung zu stellen. "Ich erwarte von den sozialdemokratischen Abgeordneten, dass sie diese schweren Fehler vermeiden", sagte er. Die Jusos Bayern schlossen sich seiner Kritik an. Der Chef des bayerischen Landesverbands, Benedict Lang, nennt die Pläne eine "Farce" und "massive Verschlechterung" für Arbeitnehmer. Statt Menschen zu unterstützen und langfristig in Arbeit zu bringen, plane die Bundesregierung "verfassungswidrige Sanktionen", sagte Lang zu "T-Online".

Dass auch die Karenzzeit bei Schonvermögen wegfalle, sei ein "echtes Problem" und ignoriere, dass Menschen niemals freiwillig in die Grundsicherung fallen. "Dass sogar das Geld für die Wohnung gestrichen werden kann, ist bodenlos", so Lang. Insgesamt seien die Pläne "vollkommen inakzeptabel". Bayerns Juso-Chef Lang geht mit seiner Parteiführung hart ins Gericht. "Die SPD hat sich erneut von Kampagnen treiben lassen, und man muss sich fragen, ob die SPD-Führung noch was spürt." Wer Partei der Arbeit sein wolle, müsse die echten Baustellen in den Blick nehmen. Das seien Steuerhinterziehung in großem Stil und die enorme Vermögensungerechtigkeit.

Um das Gesetz noch zu verhindern, rief Lang die SPD-Abgeordneten im Bundestag zur Blockade auf. "Alle sozialdemokratischen Abgeordneten sind jetzt aufgefordert, sich dem im Gesetzgebungsverfahren entgegenzustellen", sagte er. Die Parlamentarier hätten nun eine "große Verantwortung", denn die SPD habe mit dem 2022 eingeführten Bürgergeld das "tiefe Trauma um Hartz IV" überwunden. Lang rief zudem zu Demonstrationen gegen das Gesetz auf. "Ich rechne damit, dass die Jusos sich auch deutlich an Protesten beteiligen werden", sagte er.

Die schwarz-rote Koalition hatte am Donnerstag eine Einigung bei der Bürgergeld-Reform verkündet. Arbeitslose, die wiederholt Termine unentschuldigt versäumen oder Jobangebote ablehnen, sollen künftig alle Bezüge verlieren. Damit setzt die Union ein zentrales Wahlversprechen um. Die SPD stimmte der teilweisen Rückabwicklung ihres Bürgergeld-Gesetzes aus dem Jahr 2022 zu. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2019 geurteilt, dass die den Grundsicherungsanspruch fundierende Menschenwürde allen zustehe und selbst durch vermeintlich "unwürdiges" Verhalten nicht verloren gehe. Sanktionen seien daher zwar grundsätzlich möglich, aber Leistungskürzungen von mehr als 30 Prozent des Regelbedarfs verfassungswidrig.

DGB übt scharfe Kritik an Bürgergeld-Reform der Koalition

Die DGB-Chefin Yasmin Fahimi hat sich entsetzt über die Einigungen des Koalitions-Ausschusses zum Bürgergeld gezeigt und die Bundesregierung scharf dafür kritisiert. "Statt darüber zu diskutieren, wie wir Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren können, sollen nun drakonische Sanktionen verhängt werden, um vielleicht ein paar Hundert Menschen aus dem Bürgergeld zu drängen. Das ist absurd", sagte Fahimi dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". "Wir brauchen einen Sozialstaat, der Perspektiven schafft und Leistungsbezieher nicht als Almosenbezieher diskreditiert", forderte sie. "Der Job-Turbo hat sich als äußerst wirksames Instrument bewährt. Darauf sollte der Fokus liegen."

Die Wirksamkeit der Sanktionen hält Fahimi für überschaubar. Stattdessen warnt sie vor den juristischen Folgen. "Das wird eine Klagewelle auslösen. Ich denke nicht, dass das verfassungsgemäß ist, sollte es zu einer Umsetzung kommen. Das gilt insbesondere bei vollständigem Leistungsentzug." "Mich überrascht das Ergebnis nicht, denn wir erleben seit Jahren eine Hetzkampagne gegen Bürgergeldempfänger", sagte die DGB-Chefin. "Deswegen glauben viele, dass es massenhaft Leistungsbetrug gäbe, was nicht der Fall ist."

Kritik kam auch vom Sozialverband VdK, dem Sozialverband Deutschland (SoVD) und dem Paritätischen Gesamtverband. "Es ist zu befürchten, dass die neuen Sanktionen wenig hilfreichen Druck auf viele Menschen ausüben werden, nicht nur auf diejenigen in der neuen Grundsicherung, sondern auch auf Arbeitnehmer mit kleinen Einkommen, die aufgrund von Stellenabbau ihren Job verlieren", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele der "Rheinischen Post". Zusätzliche Qualifizierungsangebote für Jüngere und Langzeitarbeitslose können laut Bentele neue Chancen sein, müssten aber "echte Lösungen" für bestehende Integrationshemmnisse anbieten. "Ältere Arbeitnehmer müssen weiterhin die Chance haben, sich an die wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen", sagte Bentele.

"Ich hoffe, dass mit dem Vorstoß nun die Bürgergelddebatte endlich ein Ende nimmt. Denn die war einfach würdelos, weil sie alle Bürgergeldbeziehende unter Generalverdacht stellt", sagte SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier. Für ein solidarisches Miteinander brauche es nicht nur Bedingungen für Leistungsbeziehende. "Ich bin überzeugt davon, dass wir auch in die andere Richtung blicken müssen - nämlich nach oben. Solidarität bedeutet nämlich auch, dass diejenigen mehr beitragen, die auch mehr haben." Der Staat lasse sich jedes Jahr Milliarden der Hochvermögenden "durch die Lappen gehen". "Wir müssen endlich hin zu einer Debatte kommen, wie wir Vermögende in unsere solidarische Gesellschaft stärker einbeziehen können statt nur nach unten zu treten", forderte Engelmeier.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Joachim Rock, lehnt die Pläne der Bundesregierung ab. "Statt dem versprochenen Rückenwind für Arbeitsmarktintegration, schafft die Koalition ein Bürokratie-Monster", sagte Rock. So bringe man niemanden in Arbeit, sondern treibe Betroffene in existenzielle Not. Rock befürchtet, dass Wohnungslosigkeit verschärft wird, falls selbst die Kosten der Unterkunft sanktioniert werden können. "Die Pläne der Bundesregierung sind ein ungerechtfertigtes und unsoziales Misstrauensvotum gegen Arbeitsuchende", sagte Rock.
+++


Popup-Fenster

1 Kommentar

  1. Wer kann, aber nicht will, muss auch beim Bürgergeld Konsequenzen spüren. Das hat nichts mit Hartherzigkeit zu tun, sondern mit Fairness gegenüber all jenen, die täglich arbeiten und das System tragen. In der Arbeitswelt gilt ebenfalls: Wer unentschuldigt fehlt, riskiert Konsequenzen – warum sollte das im Sozialstaat anders sein?

    Es geht hier nicht um Menschen, die wirklich nicht können – wegen Krankheit, psychischen Problemen oder schwierigen Lebensumständen. Für sie muss der Staat selbstverständlich da sein. Aber wer Termine absichtlich schwänzt oder jede angebotene Arbeit ablehnt, nutzt das System aus. Das schadet nicht nur dem Vertrauen in den Sozialstaat, sondern auch denen, die tatsächlich Hilfe brauchen.

    Deshalb sind klare Regeln und spürbare Sanktionen notwendig – nicht aus Strafe, sondern aus Respekt vor der Gemeinschaft, die diese Leistungen finanziert. Solidarität funktioniert nur, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*