Das Sahne-Häubchen einer Sahne-Entwicklung

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Greta Lucia Ritz (vorne). Foto: privat

Bisweilen bedarf es nur dreier Worte. Oder Begriffe. Greta Lucia Ritz, Rainer Hahn, Leichtathletik-Abteilung Hünfelder SV. Könnte man meinen. Könnte man stehen lassen. Doch da ist mehr in der Entwicklung und Reifung der jungen und bestimmenden Nachwuchssportler der Leichtathletik in Osthessen. Diese Aussage gilt als Kompliment für die Arbeit aller Leichtathletik-Trainer des Hünfelder SV - und sie ist speziell auf Greta bezogen. Denn da ist mehr in der Symbiose der Trainerfigur Rainer Hahn und dessen Zusammenarbeit mit der 17-jährigen Greta Lucia Ritz. Doch lesen Sie die Geschichte selbst.

Wir sitzen auf der Tribüne der Rhönkampfbahn und versuchen zunächst, den Namenssuffix zu ergründen. „Lucia“ nennt sich die junge Athletin, und sie erklärt kurz: „Meine Mutter fand den zweiten Vornamen schön. Die Lichtbringende - das ist ja auch ne schöne Übersetzung.“ Greta Lucia, dieser Name klingt wie Musik und lockt fast aus dem Bau. Das noch laufende 2025 gilt schon jetzt als ihr Erfolgsjahr. Ihr größter Erfolg liegt noch nicht so lange zurück: Es war der Vize-Titel der Deutschen Meisterschaften über 400 Meter Hürden. In 62,09 Sekunden. Am 13. Juni war das. Im schmucken und erneuerten Lohrheide-Stadion des TV Wattenscheid, einer Hochburg der deutschen Leichtathletik; eine Wohlfühl-Oase, in dem kurz darauf die Weltspiele der Studenten stattfanden.

Die Liste der Erfolge von Greta Lucia ist lang - und sie liest sich fast wie ein Ausriss aus einem Telefonbuch. Gut, das gibt es heute nicht mehr. Aber hier folgen Auszüge: Süddeutsche Vize-Meisterin über 400 Meter Hürden (am 29. Juni in Kandel bei Karlsruhe), auch Zweite der 3x800-Meter-Staffel der „Süddeutschen“ (Linda Schmitt und Lotte Schwarz waren die beiden Anderen) - und die Teilnahme an den „Deutschen“ der Aktiven in Dresden (dieses Mal mit Miriam Pohl von der LG Fulda anstatt Lotte Schwarz); hier war „schon dabei zu sein, als Erfolg zu werten“. Hinzu kommen vier Titel bei den Hessischen Meisterschaften: über 400 Hürden, mit der U18 und der U20, über 400 flach bei der U18 sowie der Staffel mit der U20. Mittlerweile ist Greta Lucia Ritz auf Platz vier der deutschen Rangliste angekommen. Ein 17-jähriges Mädchen aus Wenigentaft.

Diese Erfolge gut und gesund einzuordnen, das kann sie - da macht sie sich, da macht sich auch ihr Trainer Rainer Hahn keine Sorgen. „Meine Augen sind schon darauf gerichtet, was als Nächstes ansteht“, sagt sie zart und leise, aber bestimmt. Es ist kein Wunder, dass beide das Ziel für das kommende Jahr ausplaudern. „Ich möchte wieder zu den zehn Besten in Deutschland gehören“, markiert Greta Lucia fast bescheiden, und mit viel Training sei das auch realistisch. „Das ist unser gemeinsames Ziel“, konkretisiert Rainer Hahn in Sekundenschnelle, „und die 400 Hürden unter 60 Sekunden zu laufen“. Die in Wattenscheid erlaufenen 62,09 sind persönliche Bestzeit. Der gewaltige, schrillende und irgendwie durchs Mark gehende Schrei eines Betreuers von außen hielt Greta Lucia davon ab, hier schon eine 61 plus zu laufen.

Leichtathletik betreibt sie, seitdem sie Acht ist. Eine Freundin bewog und animierte sie, „ich hatte schon immer Lust, mich zu bewegen“, verrät sie einen Ursprung. Als sie Zwölf oder Dreizehn war, kam Kurz-Hürden-Training dazu, später als Trainingsreiz 10 mal 200 Meter. „Das hat mich vorangebracht“, weiß Greta Lucia. 300 Meter gesellten sich zu ihrem Programm, Dritte der „Hessischen“ wurde sie zunächst in der Halle und „so ein bisschen 300 Meter Hürden üben, ist ja auch nicht schlecht“, dachte sie sich. Und das Training zahlte sich aus: Über 300 flach und 300 Hürden wurde sie im Sommer zweifache Hessenmeisterin - als 15-Jährige. Kurz danach heimste sie den Titel als Süddeutsche Vize-Meisterin über 300 Hürden ein - und wurde Dritte über 300 flach. Sie qualifizierte sich für die Deutschen Meisterschaften. Notizen und Szenen einer Entwicklung halt.

Ihr Verhältnis zu ihrem Trainer Rainer Hahn ist recht tief und verbunden. Von Respekt, Achtung und gegenseitigem Vertrauen geprägt - schließlich arbeiten beide lange genug miteinander. Seit sie Zwölf ist. „Meine sportliche Adoptivtochter“, nennt er sie. Als Greta Lucia 2023/24 zehn Monate in den USA war, schickte er ihr Trainingspläne. Auch wenn sich die heute 17-Jährige seinerzeit einen Muskelfaserriss zuzog, machten Trainer und Athletin das Beste aus der Situation. „Man kann ihn immer anrufen“, fügt sie hinzu - und weiß, dass sie sich auf ihn verlassen kann. Heute sagt sie: „Ich bin ruhiger geworden. Ich war früher sehr nervös bei Wettkämpfen. Und für mich ist das Training in der Rhönkampfbahn zu einer Art Selbstverständlichkeit geworden.“ Und noch eine Veränderung nahm sie an und in sich wahr. Ihre Persönlichkeit schälte sich. „Vor fünf Jahren wollte ich, dass der Trainer merkt, dass ich was kann. Jetzt kann ich ihm vertrauen. Man kann auf Rainer zählen. Er ist so ein bisschen wie ein Onkel für mich geworden.“ Bis sie zu einem bemerkenswerten Schluss kommt. Zu einem der Reife. „Die Leichtathletik erfüllt mein Leben. Sie ist mein Leben.“

Rainer Hahn sieht das ähnlich. Das Vertrauensverhältnis sei gewachsen. „Für mich ist es wichtig“, so ist er der Überzeugung, „dass sich das Mädel sportlich und persönlich entwickelt“. Man könnte „Mädel“ auch durch „all seine Athleten“ ersetzen. „Ich will gesunde Athleten. Das braucht eine gewisse Zeit und geht nicht von heute auf morgen.“ Schon von Anfang an sah er, dass etwas in ihr steckt. Etwas? Eine ganze Menge. „Du entwickelst mit gewisser Zeit einen Blick dafür. Du guckst dir die Athleten an. Du guckst dir die Eltern an.“ Das große Thema, das Entscheidende sei dann: „Wollen die Kids?“ Seien sie bereit zu arbeiten, wenn es auch mal nicht so läuft?

„Greta kann vernünftig arbeiten. Sie kann sich durchbeißen. Wenn es mal nicht so funktioniert, wird halt gearbeitet.“ Und Rainer Hahn wäre nicht Rainer Hahn, wenn er nicht einen Wesenszug, ein Korrelativ nachschieben würde. „Greta muss manchmal gebremst werden. Weil sie sich eine Messlatte hinlegt, die zu hoch ist. Sie setzt sich zu hohe Ziele. Sie übernimmt sich zu oft und erwartet zu viel.“ Peng. Aber auch das gehört zu den Aufgaben eines Trainers.

Ihre Eltern? Ach ja, das sind Anja und Johannes Ritz. Die 13-jährige Martha ist ihre Schwester. Greta Lucia besucht die Wigbert-Schule in Hünfeld. Sie ist in Klasse zwölf, ihre Leistungsfächer sind Bio und Englisch. Was sie einmal werden will, das weiß sie noch nicht. Nur soviel: „Ich will studieren. Und gleichzeitig Sport machen.“ Bis sie doch etwas mehr verrät. „Ich träume von Amerika. Ich hätte gerne die College-Experience. Das ist einfach nur ein Wunsch.“ Es klingt, als würde Rainer Hahn sie unterstützen. „Ja, klar. In Amerika hat Sport einen anderen Stellenwert.“ Einmal dabei, beklagt er: „Wir müssen im Winter nach Frankfurt fahren zum Training. Hier ist das nicht möglich.“ Noch nicht. Am kommenden Wochenende sind 19.000 Kilometer erreicht.“ Und die Saison ist noch nicht zu Ende.

Kommen wir zur sportlichen Zukunft. „Ich würde auf 400 Hürden setzen. Das ist meine beste Disziplin. Sie macht mir auch am meisten Spaß“, bekenntGreta. Trainingsumfang und -Intensität sollen von sechs auf acht Einheiten in der Woche gesteigert werden. Nächstes Ziel ist die deutsche Spitze. Der Weltrekord liegt bei 51,3 Sekunden. Gehalten von der 26-jährigen US-Amerikanerin Sidney McLaughlin.

Am Mittwoch startete Greta Lucia beim Abendsportfest in Pfungstadt. Dort waren absolut erlesene Teilnehmerfelder am Start. Da es dort um nichts mehr ging, war abgesprochen, die Grenzen zu testen. Sie ging über 800 Meter an den Start und wollte über diese Strecke persönliche Bestzeit laufen. „Ab 2:10 ist man spitze in Deutschland. Vier oder fünf laufen unter dieser Marke. Das nächste Level für mich wären 2:14.“ In Wahrheit sah es so aus. Greta ging das Rennen zu forsch an. Die ersten 200 Meter in 32 Sekunden, bei 400 waren es 62, bei 600 Metern 96 Sekunden. Und dann der Hammer. Die Beine waren total schwer in der Endphase - im Ziel waren es 2:20,58. Bei angepasster Renneinteilung ist Greta aktuell in der Lage, 2:12 bis 2:14 zu laufen.

Die 800 seien „schon mittelfristig ein Reiz. Der drittgrößte“, ordnet sie momentan ein. Zunächst käme ihre Schokoladendisziplin, die 400 Hürden, dann die 400 flach - und dann die 800. Und noch einmal ist Rainer Hahn so, als wäre er nicht Rainer Hahn. „Die 100 muss sie noch machen. Damit wir wissen, wo wir stehen.“ Er weiß, dass sie keine Sprinterin ist. Sondern eine Langsprinterin. Doch irgendwie fühlt sich diese Geschichte an, als sei die Athletin das Sahne-Häubchen einer Sahne-Entwicklung beim HSV. +++ rl


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