Die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen in Hessen unterscheiden sich deutlich je nach Wohnort. Das zeigt eine neue Studie, die regionale Unterschiede bei den Teilhabechancen junger Menschen untersucht hat. Demnach haben junge Menschen in ländlichen Regionen wie den Kreisen Gießen oder Lahn-Dill tendenziell schlechtere Aussichten als Gleichaltrige in anderen Teilen des Landes. Auch zwei größere Städte in Hessen gehören zu den Regionen mit ungünstigeren Bedingungen.
Für die Untersuchung wurden mithilfe eines explorativen statistischen Verfahrens insgesamt acht sogenannte Cluster von Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland gebildet, in denen sich die Lebens- und Teilhabechancen junger Menschen ähneln. In die Analyse flossen neun verschiedene Aspekte ein – darunter Kinderarmut, Jugendarbeitslosigkeit, Schulabschlüsse, Ausbildungsplatzangebot, Lebenserwartung, Betreuungsquote, Breitbandverfügbarkeit und Erreichbarkeit. Drei Cluster umfassen vor allem städtische Regionen, fünf weitere ländlich geprägte Gebiete.
In den städtischen Regionen mit besonders guten Teilhabechancen (Cluster 1) finden Kinder und Jugendliche laut Studie die besten Bedingungen vor. Hier ist die Kinderarmut mit durchschnittlich 10,9 Prozent vergleichsweise niedrig, die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 3,9 Prozent, und es gibt viele Ausbildungsplätze. Diese Regionen liegen überwiegend im Süden Deutschlands – vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.
Etwas schlechter schneiden städtische Regionen mit einzelnen Teilhabehürden ab (Cluster 2). Sie liegen unter anderem im Ruhrgebiet und im südlichen Hessen. Zwar ist hier die Lebenserwartung hoch und der Anteil junger Menschen an der Bevölkerung groß, allerdings fällt das Angebot an Ausbildungsplätzen geringer aus, und die Kinderarmut liegt mit 14,7 Prozent über dem Durchschnitt.
Am ungünstigsten sind die Bedingungen in städtischen Regionen mit teils hohen Teilhabehürden (Cluster 3). Dazu zählen zahlreiche Städte in der Nordhälfte Deutschlands, etwa im Ruhrgebiet, in Ostdeutschland, Berlin, Saarbrücken und Kiel. Hier sind Kinderarmut (23,1 Prozent), Jugendarbeitslosigkeit (7,3 Prozent) und der Anteil der Schulabgängerinnen und -abgänger ohne Abschluss (9,0 Prozent) überdurchschnittlich hoch.
Zu den ländlichen Clustern gehört die Gruppe der „teilhabefreundlichen Spitzenreiter“ (Cluster 4), in denen die Bedingungen für junge Menschen besonders günstig sind. Diese 82 Kreise liegen vor allem im Süden Deutschlands, häufig im Umland größerer Städte. Kinderarmut und Jugendarbeitslosigkeit sind hier niedrig, und die Lebenserwartung liegt im bundesweiten Vergleich über dem Durchschnitt.
Ebenfalls gute Voraussetzungen bietet das Cluster 5, das vor allem ländliche Regionen in Nordbayern umfasst. Dort sind Kinderarmut (4,6 Prozent) und Jugendarbeitslosigkeit (2,3 Prozent) bundesweit am geringsten, und das Angebot an Ausbildungsplätzen ist besonders hoch.
Andere ländliche Cluster zeigen dagegen Schwächen. In Cluster 6, das unter anderem Kreise in Hessen, Thüringen und Brandenburg umfasst, sind die digitalen Infrastrukturen und Jobperspektiven mittelmäßig, auch wenn die Kinderarmut hier geringer ist als in Städten.
Weniger günstig sind die Bedingungen in Cluster 7, zu dem viele Regionen in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und im Umfeld des Ruhrgebiets gehören. Hier gibt es vergleichsweise wenige Ausbildungsplätze und überdurchschnittlich viele Jugendliche ohne Schulabschluss.
Die größten Herausforderungen weisen die ländlichen Regionen des achten Clusters auf, das vor allem in Ostdeutschland liegt. In keinem anderen Cluster sind Kinderarmut (11,5 Prozent), Jugendarbeitslosigkeit (7,2 Prozent) und der Anteil von Schulabgängern ohne Abschluss (10,6 Prozent) höher. Zudem leben dort anteilig die wenigsten jungen Menschen unter 25 Jahren.
Insgesamt verdeutlicht die Studie, dass die Lebens- und Zukunftschancen junger Menschen in Deutschland und insbesondere in Hessen stark von der regionalen Lage abhängen. Während in wirtschaftsstarken süddeutschen Regionen gute Ausbildungs- und Lebensbedingungen vorherrschen, sind Kinder und Jugendliche in strukturschwächeren Landesteilen häufig benachteiligt.
Was jungen Menschen an ihrem Wohnort wichtig ist
Neben den statistischen Analysen wurden in der Studie auch die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen selbst einbezogen. Forschende reisten dafür in acht Regionen Deutschlands, in denen die Teilhabechancen junger Menschen stark variieren. In 35 leitfadengestützten Gruppengesprächen mit insgesamt 222 Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 6 und 25 Jahren berichteten die Teilnehmenden, was ihnen an ihrem Wohnort besonders wichtig ist und welche Hürden sie erleben. Drei Aspekte standen für die jungen Menschen dabei im Mittelpunkt: attraktive Freizeitmöglichkeiten, Selbstbestimmung und echte Beteiligung.
Viele Kinder und Jugendliche wünschen sich gut erreichbare, vielfältige und frei zugängliche Freizeitangebote – von Fußballplätzen und Skateparks bis hin zu Jugendzentren, Tanzräumen oder Musikproberäumen. Wichtig ist ihnen, dass diese Orte jederzeit und kostenlos nutzbar sind. Gleichzeitig bemängeln viele, dass es in ihrer Umgebung an Treffpunkten fehlt oder bestehende Plätze nicht witterungsgeschützt und schlecht ausgestattet sind. Besonders im Winter oder bei Regen fehlten Rückzugsorte und öffentliche Toiletten.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die Möglichkeit, sich selbstständig und sicher im öffentlichen Raum zu bewegen. Dafür fordern die Jugendlichen eine bessere Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und sichere Radwege. Gerade in ländlichen Regionen seien Busfahrpläne häufig nur auf Schulzeiten ausgerichtet. Damit Freizeitangebote auch nachmittags oder abends genutzt werden können, müsse sich das ändern. Sicherheit spiele dabei eine entscheidende Rolle – von beleuchteten Wegen über sichere Haltestellen bis hin zu getrennten Fahrradwegen.
Auch beim Thema Mitbestimmung sehen viele junge Menschen Nachholbedarf. Sie wollen ihr Umfeld aktiv mitgestalten, fühlen sich aber häufig nicht ausreichend gehört. Dabei haben sie konkrete Vorstellungen, wie ihre Umgebung verbessert werden könnte – etwa durch neue Freizeittreffs oder sichere Schulwege. Positive Beispiele zeigen, dass echte Teilhabe möglich ist, wenn Kinder und Jugendliche in kommunale Planungen einbezogen werden.
Dennoch erreichen bestehende Beteiligungsformate wie Jugendparlamente oder Schulvertretungen nicht alle jungen Menschen. Besonders Schüler und Schülerinnen von Gymnasien und aus wohlhabenderen Familien sind hier überrepräsentiert. Jugendliche aus anderen Schulformen oder mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen sind dagegen seltener eingebunden.
Die Studie macht deutlich, dass Teilhabe vielfältig und inklusiv gestaltet sein muss, um alle jungen Menschen zu erreichen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Einkommen oder körperlichen Voraussetzungen. Kinder und Jugendliche wollen ernst genommen werden und wünschen sich eine Gesellschaft, in der sie sich sicher, respektiert und frei entfalten können. Als „Experten und Expertinnen in eigener Sache“ wissen sie selbst am besten, wie Teilhabe vor Ort gelingen kann. +++









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