
Mit teils heftiger Kritik haben SPD-Spitzenpolitiker auf die Zoll-Vereinbarung zwischen der EU und den USA reagiert. "Dieser Deal ist kein Durchbruch, sondern ein klares Zeichen europäischer Schwäche. Die Kommission ist unter massivem Druck eingeknickt", sagte die Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes, Katarina Barley (SPD), dem "Tagesspiegel". "Statt eines fairen Abkommens auf Augenhöhe steht jetzt ein Kompromiss, der europäische Schlüsselindustrien belastet und unsere strukturelle Abhängigkeit von den USA weiter vertieft."
Dabei gehe es um weit mehr als Zölle, sagte Barley, es gehe um "Europas strategische Souveränität". Das Ergebnis der Verhandlungen zeige eindrücklich, "dass wir mehr Investitionen in kritische Technologien, eine digitale Infrastruktur aus Europa und eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur brauchen", sagte die SPD-Politikerin: "Nur so kann Europa sich in der Welt wirklich behaupten." Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Achim Post forderte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) zum Handeln auf. "Alles ist besser als ein Handelskrieg. Aber nichts ist wirklich gut: Die USA bleiben mit Trump der Risikofaktor für die Weltwirtschaft", sagte Post dem "Tagesspiegel": "Die EU muss spätestens jetzt schneller, souveräner und robuster handeln. Deutschland und die Bundesregierung müssen dabei der Motor sein. Das gilt auch für die neue Wirtschaftsministerin." Es geht um die Zukunft der Exportnation Deutschland, und nicht um die Rente mit 70, sagte der SPD-Vize.
Der SPD-Fraktionschef im Landtag NRW, Jochen Ott, sieht in der EU-USA-Vereinbarung eine "wirtschaftspolitische Appeasement-Politik", wie er dem "Tagesspiegel" sagte. "Der Zoll-Deal geht klar zulasten der europäischen Wirtschaft und ist aus nordrhein-westfälischer Sicht nicht akzeptabel", sagte Ott: "Wer die Industrie auf die Automobilwirtschaft reduziert und für diese vermeintliche Privilegien durchboxen will, verkennt die Industriestruktur im Land. Ohne Stahl auch kein E-Auto." Hier müsse die Kommission "dringend nachbessern". Nötig seien "deutlich mehr Druck und aktive Unterstützung von Bundeskanzler Merz und Ministerpräsident Wüst - sie scheinen den Stahlstandort NRW offenbar abgeschrieben zu haben". "Dieser Deal
ist wirtschaftspolitische Appeasement-Politik, die nicht tragfähig sein wird, Europas Wirtschaftsmacht verzwergt und auf Kosten der europäischen Industrie und Steuerzahler geht", sagte Ott: "Sie sollen jetzt die Steuergeschenke für amerikanische Milliardäre und Millionäre finanzieren. Was für eine Schande. Aber sie kommt nicht unerwartet. Europa ist das Opfer einer Schutzgelderpressung. Solange wir nicht selbst für unsere Sicherheit sorgen können, kann Trump uns nach Belieben nötigen."
BDI: Zoll-Deal mit Trump ist ein Schlag für Europa
Die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Tanja Gönner, kritisiert den vorläufig beigelegten Handelskonflikt mit den USA. "Es wäre völlig falsch zu sagen, dass wir zufrieden sind. Letzten Endes ist das insgesamt für uns ein Schlag - für die exportorientierte deutsche Wirtschaft und für Europa insgesamt", sagte sie im Berlin-Playbook-Podcast von POLITICO. "Das ist für uns wenig erfreulich - bis dahin, dass es uns wirklich viel Geld kosten wird, das wir gern anders einsetzen würden", so Gönner weiter. Auch für die US-Seite sieht sie langfristig keinen Gewinn: "Am Ende wird sich das auch bei den amerikanischen Verbrauchern in Preisen niederschlagen."
Positiv bewertet sie, dass Europa in der Krise zusammengehalten habe. Eine Eskalation sei vermieden worden - aus ihrer Sicht ein "wichtiger Schritt", denn: "Ich bin nicht sicher, ob wir dann beim Status quo ante gewesen wären." Einen klaren Sieger gebe es nicht. Ein Nachverhandeln mit US-Präsident Donald Trump hält Gönner für kaum möglich. "Es geht jetzt darum, klar zu haben und sicherzumachen, dass es jetzt für eine Dauer auch so verlässlich ist", sagte sie. Wichtig sei nun, Planungssicherheit zu schaffen und weitere Zölle zu verhindern: "Für uns ist es sehr wichtig, dass Pharma und Chips damit abgedeckt sind und nicht noch weitere Zölle kommen - da waren deutlich höhere angekündigt." Schriftliche Klarheit sei nun dringend nötig, fordert sie. Europa müsse zudem seine Konkurrenzfähigkeit stärken: "Wir haben ein paar Hausaufgaben zu machen. Weniger Bürokratie, mehr Stärke."
Wirtschaftsweise Grimm begrüßt Zoll-Deal
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sieht den Zoll-Deal gelassen. "Die Zölle werden die deutsche Wirtschaft belasten, es ist aber gut, dass die hohen Zölle für die Automobilindustrie nicht bestehen bleiben", sagte Grimm der "Rheinischen Post". "Energie und Waffen aus den USA zu kaufen, damit können wir leben - bei beiden werden wir ohnehin auf lange Sicht auf Importe angewiesen sein." Zugleich kritisierte sie die EU-Kommission: "Die EU muss endlich aufwachen und sich um ihre eigene Wachstumsagenda kümmern. Bisher überdecken wir unsere Probleme mit hohen schuldenfinanzierten Ausgaben - geraten aber immer mehr in die Defensive. Damit muss Schluss sein. Jetzt verschulden wir uns und kaufen davon Waffen und Energie aus den USA. Damit bleiben uns nur die Schulden, Wachstumseffekte resultieren daraus in den USA."
Die Nürnberger Ökonomin kritisiert auch die Bundesregierung: "Wenn wir die entscheidenden Strukturreformen nicht zeitnah angehen, werden wir am Ende der Legislatur nur mehr Schulden, aber keine bessere Verhandlungsposition haben. Ich frage mich zunehmend, ob dem Großteil der Politiker der Regierungsparteien die Dramatik der aktuellen Situation bewusst ist. Die geopolitische Lage verschiebt sich, und wir fallen technologisch immer weiter zurück."
Zölle: Handwerksverband warnt vor Umsatzrückgängen bei Zulieferern
Der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke, hat nach der Zoll-Einigung zwischen den USA und der EU vor Umsatzrückgängen gewarnt und Reformen für die Wirtschaft gefordert. Der zwischen der EU und den USA gefundene Kompromiss belaste die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und treffe damit auch das Handwerk, sagte Schwannecke dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".
Zwar würden nur relativ wenige Handwerksbetriebe direkt in die USA liefern. Doch die höheren Zölle verursachen laut Schwannecke insbesondere dort zusätzliche Kosten, wo Handwerksbetriebe als Zulieferer in der Wertschöpfungskette der deutschen Exportindustrie eingebunden seien. Viele dieser Betriebe seien sowieso von strukturellen Effekten getroffen - etwa dem Ausbau der Elektromobilität. "Weitere Umsatzrückgänge sind nun zu befürchten", warnte er.
Schwannecke pochte deshalb auf Reformen. Es sei essenziell, die Attraktivität des deutschen Standorts weiter zu stärken, sagte der ZDH-Generalsekretär. "Strukturelle Reformen sind hier der entscheidende Hebel, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu garantieren und sie damit resilienter aufzustellen", forderte er. +++
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