Kommentar: Warum die CDU mit der „Stadtbild-Debatte“ keine Wähler zurückgewinnt

Die sogenannte „Stadtbild-Debatte“ markiert ein weiteres Beispiel dafür, wie die CDU kommunikativ in einer strategischen Sackgasse steht. Mit dem Ziel, Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen, die zur AfD oder zu den Nichtwählern abgewandert sind, greift die Partei Themen wie Ordnung, Migration und öffentlichen Raum auf – doch diese Strategie wirkt in der politischen Mitte zu populistisch und für Anhänger rechter Parteien zugleich zu wenig glaubwürdig. Damit verliert die CDU in beiden Richtungen: Die bürgerliche Mitte wendet sich ab, weil sie den Ton für zu hart und den Inhalt für zu leer hält, während potenzielle Rückkehrer aus dem rechten Spektrum keine Authentizität erkennen.

Der Begriff „Stadtbild“ selbst ist Politiker-Symbolsprache: stark emotional, aber wenig konkret. Er fungiert als Platzhalter für diffuse Wahrnehmungen – das Gefühl, dass im öffentlichen Raum etwas nicht stimmt: Gruppen von Menschen, die sich aufhalten, ohne Anschluss oder Perspektive – und die nach Ansicht dieser Argumentation das Stadtbild bestimmen. Erst in jüngerer Zeit hat Kanzler Merz erklärt, was er damit gemeint hat: Er sprach davon, dass er Migranten ohne gesicherten Aufenthaltsstatus und ohne Arbeit, die sich nicht an die in Deutschland geltenden Regeln halten, als Teil des Problems sieht. Er sagte ferner, es gebe Menschen, die sich im öffentlichen Raum nicht mehr sicher fühlten – etwa an Bahnhöfen, in U-Bahnen oder in Parks. Diese Klarstellung schafft zwar mehr Inhalt, eliminiert aber nicht die strukturellen Probleme der politischen Kommunikation.

Das Problem: Diese Art von Rhetorik suggeriert Handlungsfähigkeit, ohne konkrete Lösungen zu liefern. Wählerinnen und Wähler, die Veränderung wünschen, erwarten greifbare Konzepte zu Rückführungspolitik, sozialer Integration, Wohnungsbau, Sicherheit und Bildung – nicht nur Schlagworte. Stattdessen entsteht der Eindruck, die CDU nutze gesellschaftliche Probleme rhetorisch, um sie politisch zu verwerten, anstatt sie praktisch zu lösen. So entsteht ein Glaubwürdigkeitsverlust – selbst innerhalb des konservativen Spektrums.

Hinzu kommt, dass der CDU zunehmend ein positives Zukunftsbild fehlt. Ihre Kommunikation konzentriert sich auf Bedrohung, Kontrollverlust und Ordnung – nicht auf Aufbruch, Modernisierung und Zugehörigkeit. In früheren Jahrzehnten galt sie als ordnende und zugleich zukunftsfähige Kraft; heute bietet sie selten ein Leitbild dafür, wie ein CDU-geführtes Deutschland 2030 aussehen könnte. Besonders jüngere, städtische und weibliche Wählergruppen erwarten jedoch Zukunftsnarrative, die sich mit Digitalisierung, Bildung, Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit verbinden lassen. Ohne ein solches Narrativ bleibt die Partei in der Defensive – sie reagiert auf Themen der AfD, statt eigene Impulse zu setzen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Aussagen wie jene von Merz – „Wir haben im Stadtbild noch dieses Problem“ – vielfach als Pauschalisierung oder Abwertung von Menschen mit Migrationsgeschichte verstanden werden. Das beschädigt das Selbstverständnis der CDU als integrierende, staatstragende Partei. Sprachlich bleibt eine feine, aber entscheidende Linie zwischen einer Problemanalyse und der Markierung von Gruppen über das öffentliche Bild unberücksichtigt. CDU-Politiker riskieren, als empathielos, taktierend oder machtbewusst wahrgenommen zu werden – gerade in einer Zeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger politische Haltung und Glaubwürdigkeit stärker gewichten als reine Themenkonjunktur. Studien zeigen, dass Wählerinnen und Wähler weniger wegen einzelner Themen ihre Partei verlassen, sondern wegen fehlender Glaubwürdigkeit und fehlender moralischer Orientierung.

Empirisch zeigt sich, dass die CDU mit dieser Form der Rhetorik keine Zugewinne erzielt. Nach früheren Phasen harter Tonlage – etwa bei Asyl- und Sicherheitsthemen – stieg ihre Zustimmung in Umfragen nicht signifikant an. Profitiert hat in diesen Momenten stets die AfD. Das Muster ist deutlich: Wählerwanderung funktioniert nicht über symbolische Sprache, sondern über Vertrauen in konkrete Problemlösungskompetenz. Wenn die CDU in ihrer Wortwahl Ähnliches wie die AfD tut, aber im Ergebnis keine andere Politik liefert, stärkt sie unfreiwillig deren Authentizität als „Original“. Die Union bleibt dabei das, was sie gerade vermeiden will – eine Partei, die zwar Probleme benennt, aber nicht überzeugend darlegt, wie sie sie lösen will.

Die Folge ist ein strukturelles Vertrauensdefizit. In zentralen Politikfeldern erscheint die CDU zerrissen: Sie will rechts Rückkehrer überzeugen, ohne die Mitte zu verlieren – und schafft am Ende beides nicht. Migration und Ordnung werden symbolisch betont, wirken auf viele Bürger aber wie ein Versuch, fehlende Steuerungskraft zu kaschieren. Die Kommunikation bleibt auf emotionale Schlagworte reduziert, während Konzepte fehlen. Gesellschaftspolitisch präsentiert sich die Partei rückwärtsgewandt statt modernisierungsfähig. Der politische Stil wirkt polarisiert und belehrend, der Ton unnahbar, und die Distanz zur Lebensrealität vieler Menschen wächst.

Um tatsächlich Wähler zurückzugewinnen, müsste die CDU sachlich statt symbolisch kommunizieren: klare Konzepte statt Unschärfe. Sie müsste ein Zukunftsbild entwerfen, das Sicherheit und Fortschritt gleichermaßen verspricht, die politische Mitte konsolidieren durch die Verbindung von Ordnung, Verantwortung und Empathie, und klar Distanz zur AfD wahren statt deren Agenda indirekt zu bestätigen. Glaubwürdige Gesichter aus der Praxis sind notwendiger als eine wortmächtige Kanzler-Rhetorik.

Die Stadtbild-Debatte ist daher weniger ein Einzelfall als ein Symptom. Sie zeigt, dass die CDU derzeit weder kommunikativ noch strategisch eine klare Linie findet, selbst wenn Kanzler Merz inzwischen genauer erklärt hat, wen er meint. Die Klarstellung hilft nicht, wenn nicht zugleich ein glaubwürdiges Konzept folgt. Wer in der Mitte Mehrheiten erringen will, muss Sicherheit versprechen, ohne Angst zu schüren – und Zugehörigkeit stiften, ohne Abwertung zu betreiben. Solange die CDU diesen Balanceakt nicht meistert, wird sie mit Debatten wie dieser keine Wähler zurückgewinnen, sondern weiterhin Vertrauen verlieren – nach rechts wie nach links. +++ nh


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