Klartext von Radtke: Die Spannung steigt – die Erwartungen sinken

Erschreckend ist, dass die Bürger weder Scholz noch Merz so richtig zutrauen

Klaus-Radtke

Die Welt im Umbruch. Wie oft haben wir das schon gelesen. Doch nie war es so wahr. Am 23. Februar findet die Bundestagswahl statt. Spätestens am 24. Februar werden sich Politiker, aber auch die deutschen Bürger verwundert die Augen reiben. Den Grund dafür möchte ich hier darlegen.

Sollten sich die Meinungsumfragen in etwa bestätigen, dann liegen prinzipiell zwei Optionen auf dem Tisch:

1. Eine Regierung aus CDU/CSU und der SPD. Etwa 45 Prozent.
2. Eine Regierung aus CDU/CSU, SPD und Grünen. Etwa 59 Prozent.
3. Eine Regierung aus CDU/CSU und Grünen. Etwa 43 Prozent - würde nicht reichen.
4. Eine Regierung aus SPD, Grünen und Linken. Etwa 35 Prozent würde nicht reichen.
5. Eine Regierung aus CDU/CSU und AfD. Etwa 50 Prozent - aber ausgeschlossen.

Hinweis: Für diese Zahlen habe ich acht aktuelle Umfragen verschiedener Institute herangezogen und daraus einen Durchschnittswert berechnet. Die Werte sind immer noch sehr volatil, denn mehr als 25 Prozent der Bürger wissen noch nicht, wen sie wählen wollen.

Abhängig von der endgültigen Sitzverteilung kann eine stabile Regierungsbildung ab etwa 45 Prozent erfolgen. Es gibt auch deswegen so viele Möglichkeiten, weil es inzwischen sieben Parteien ab 4,5 Prozent gibt. Weitere 34 sind zur Bundestagswahl zugelassen! Der exakte Wahlausgang ist demnach stark davon abhängig, welche der kleineren Parteien (FDP, BSW) über die 5-Prozent-Hürde kommen (oder mindestens die Direktmandate erreichen) und damit den Einzug in den Bundestag schaffen. Fest steht jedenfalls, dass die einzigen Wahlgewinner die CDU/CSU, die AfD und die Linke sein werden, wohingegen alle anderen Parteien stagnieren oder herbe Verluste hinnehmen müssen – so wie die SPD und die FDP. Den Politikern wird keines der Bündnisse gefallen. Mein berechtigter Verdacht ist, dass es auch keinem der Wähler gefallen wird. Denn was wir in dieser Situation des eingangs erwähnten Umbruchs dringend benötigen, ist eine stabile Regierung, die sich zügig aller anstehenden Probleme annimmt und versucht, diese baldmöglichst zu lösen.

Angesichts der aufgezeigten Perspektive darf man diese Hoffnung bedauerlicherweise nicht haben. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Welt verändert, nimmt zu. Die Herausforderungen steigen kontinuierlich. Nach dem 23. Februar wird sich zeigen, ob unsere Demokratie im Kampf um Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Zukunft eine Chance hat. Zweifel daran sind angebracht. Dafür bräuchte es klare Verhältnisse. Eindeutige Mehrheiten. Komfortable, belastbare Koalitionen. Doch das wird so nicht eintreten. Wir können davon ausgehen, dass im Streit um Migration, Wirtschaft, Umwelt, Rente, Rüstung, Inflationsbekämpfung, Schuldenbremse und vieles andere keine durchschlagenden Entscheidungen getroffen werden können. Eher wird es überwiegend faule Kompromisse auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ geben. Und die bringen uns keinesfalls weiter, sondern führen uns auf das Abstellgleis. Zu weit liegen die Positionen der Parteien in den entscheidenden Punkten auseinander. Zu stark sind die ideologischen Unterschiede. Zu ausgeprägt ist das Erfordernis, die eigene Klientel zu bedienen. Daher ist es zwar begrüßenswert, dass die sogenannte Ampelkoalition zerbrochen ist – allerdings fehlt eine wirklich überzeugende Alternative.

Und längst hätte auf die Zersplitterung der Parteienlandschaft reagiert werden müssen. Die 5-Prozent-Hürde hätte angehoben werden können, zum Beispiel auf 8 Prozent. Würde das an den Koalitionsmöglichkeiten etwas ändern? Bestimmt. Denn die Stimmen der Parteien, die weit unter diesen 8 Prozent liegen, würden aller Wahrscheinlichkeit nach an Parteien fallen, die später Regierungsverantwortung übernehmen könnten. Besonders bedrückend ist die Vision, dass es vielleicht sogar zu einer Regierung von SPD, Grünen und Linken kommen könnte. Das ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber ganz auszuschließen ist es nicht.

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die Bevölkerung sich etwas anderes wünscht. Nehmen wir alle Parteien, die rechts und links der Mitte positioniert sind: Dann kommt man auf 55 Prozent rechts der Mitte und 40 Prozent links der Mitte – ein Unterschied von beträchtlichen 15 Prozent. Die Kassen sind leer, und sie werden noch leerer. Durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung werden die Steuereinnahmen rapide sinken. Glaubt man den Versprechungen der Parteien, wo es überall Steuererleichterungen geben soll, wird man aus diesem Traum jäh erwachen. Das alles ist überhaupt nicht mehr zu finanzieren – im Gegenteil. Die Zusagen kosten Geld, und zwar erheblich. Allein für die Verteidigungsausgaben sind rund 40 Milliarden Euro jährlich vorgesehen.

Friedrich Merz hat im letzten TV-Duell eine Hintertür für eine Mehrwertsteuererhöhung geöffnet. Zwar hat Carsten Linnemann dies später vehement zurückgewiesen – aber wer weiß schon, was sie tatsächlich tun werden? Überrascht stelle ich fest, dass Merz in vielen Punkten plötzlich zurückrudert. So fragte Christian Lindner – dessen Partei von Merz als Hauptgegner gesehen wird –, ob Merz schon vor der Wahl nach links abbiegen wolle. Denn Merz relativiere jetzt bereits rote Linien und räume sie teilweise. Als Beweis dienen auch seine Aussagen zu Robert Habeck, den er sich zunächst als Wirtschaftsminister und später als Minister in einem Kabinett vorstellen könne. Letztlich signalisierte er auch bei der Schuldenbremse Kompromissbereitschaft. Ursula von der Leyen hat bereits freie Fahrt bei der Verschuldung im Zusammenhang mit der militärischen Aufrüstung in Aussicht gestellt. Es stellt sich ohnehin die Frage, wie lange solche (möglichen) Koalitionen halten würden – davon ausgehend, dass die Beschimpfungen und verbalen Attacken, die jeder gegen jeden richtet, nicht nur schauspielerische Leistungen waren.

Erschreckend ist, dass die Bürger weder Scholz noch Merz so richtig zutrauen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Entsprechende Umfragen sind dahingehend eindeutig und müssten die Verantwortlichen animieren, sich konkreter zu positionieren. Wer hat im Rahmen der sich dramatisch verändernden weltpolitischen Lage und der wirtschaftlichen Talfahrt den Bürgern das Gefühl vermittelt, eine überzeugende Strategie zu haben? Wer hat den Menschen reinen Wein eingeschenkt und darauf hingewiesen, dass wir harten Zeiten entgegensehen, die uns allen viel abverlangen werden? Warum steigt die totgeglaubte LINKE (ohne Sahra Wagenknecht) kometenhaft auf? Weil sie die Sorgen und Nöte der Bürger sehr konkret thematisiert – auch wenn die Lösungen teilweise mehr als realitätsfremd sind. Das Stichwort heißt: Empathie. Sie lässt sich aber schwer erlernen. Ebenfalls betroffen macht, dass knapp 50 Prozent der Befragten nicht glauben, dass die im Wahlkampf gemachten Zusagen auch eingehalten werden.

Auch wenn es pessimistisch klingen mag: Mit dem hier dargestellten Wählervotum wird zwar nicht der weitere Rückschritt, zumindest aber der Stillstand besiegelt. Und selbst wenn es etwas pathetisch klingen mag: Das Schicksal dieser Republik wird entschieden. Wir können dafür sorgen, dass es am 23. Februar nicht so kommt. +++ Klaus H. Radtke


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