Er ist da. Er ist einfach da. Er ist nicht wegzudenken. Ja, auch gut. Aber das trifft es nicht so ganz. Zu simpel. Zu oberflächlich. Seit Jahr und Tag kümmert sich Karsten Linn um den Ringer-Nachwuchs bei Frischauf Fulda. Dafür lässt er sein Herz auf der Matte und im Umfeld liegen - und was alles so dazugehört. Er transportiert seine Leidenschaft in die Herzen der Kids und Jugendlichen. Die nehmen es an. Es ist ein fruchtbares Verhältnis des Gebens und Nehmens. Fast jedes Mal in der Sporthalle der Geschwister-Scholl-Schule. Jeden Tag tut er das.
Es ist wie immer einiges los in der engen Halle. Es herrscht rege Betriebsamkeit. Bisweilen ist Karsten Linns Ton rau. Hier und da hört sich der Klang seiner Stimme streng an. Doch die Kids wissen, was er will. Wie es gemeint ist. Seine Botschaft kommt an. „Ich verlange schon einiges“, sagt er, „schließlich ist es Leistungssport. Und 80 Prozent wollen das auch“. Einige Kids anderer Sportarten hatten angefragt oder kamen vorbei, um mitzumachen. Gutes Nachwuchstraining, das Körper und Geist fördert, spricht sich rum. Doch so mancher, bestätigt Karsten Linn, habe schon beim oder nach dem Aufwärmtraining, das anspruchsvolle koordinative und konditionelle Elemente enthält, aber großen Spaß macht, passen müssen.
Und vor allem: Jeder verbessert sich hier im Laufe der Jahre. Bei Frischauf sind viele Talente und junge Sportler herangereift. Der Verein verfügt über eine starke Schüler- und Jugendmannschaft. Beide sind Hessenmeister geworden. Auch sieben Nachwuchsringer in Einzeldisziplinen haben das geschafft. Vier junge Athleten sind thüringische Meister geworden. „Ich hab‘s jetzt die Meldungen für die Sportler-Ehrung zusammengestellt“, schiebt Karsten Linn nach, „da ist mit erst einmal bewusst geworden, wie viele Sportler wir haben, die herausragende Leistungen gezeigt haben“.
Seit 15 Jahren engagiert er sich in der Arbeit mit den jüngsten Ringern bei Frischauf. Er ist mit ihnen auf Augenhöhe. Wenn Herzen nur sprechen könnten. Nein, sein Herz braucht es ja nicht, es tut es auch so. Es spricht, wonach es verlangt. Warum er das so voller Leidenschaft und Hingabe, mit solchem Herzblut tut? „Weil ich verrückt bin“, sagt der 55-Jährige gerade heraus, „weil ich gerne mit Kindern arbeite“. Und er schiebt nach: „Das Ringen hat mich ja auch ein Leben lang begleitet.“
Denn er hat selbst gerungen. Zwölf Jahre beim einstigen Fuldaer Vorzeige-Verein ASV, zehn Jahre für den RSC Fulda. 2019 aber gab es einen Einschnitt in seinem Leben. „Da hab‘ ich die Ringer-Abteilung bei Frischauf gegründet“, klärt er auf, „15 Kinder sind mit mir gegangen“. Genauer gesagt: Eltern hatten ihn angerufen und gefragt, ob ihre Kinder mit ihm kommen könnten. Ein Herzens-Beweis anderer Art. Seelen begeben sich auf eine Reise. Auf Wanderschaft.
Jeden Tag ist Karsten Linn mit dem Ringer-Nachwuchs beschäftigt. Montags ist Krafttraining in der Sturmiusschule in Kohlhaus, von 17 bis 19 Uhr. Dienstags steht Kindertraining in der Geschwister-Scholl-Schule an, von 16 bis 18 Uhr, für 5- bis 8-Jährige. Mittwochs kommen Ältere zu ihrem Recht, von 17 Uhr bis 19.30 Uhr - am selben Ort. Was donnerstags ist? Zunächst Kindertraining, dann sind die Älteren an der Reihe. Freitags wieder die 8- bis 12-Jährigen - danach betritt Omed Sawafi die Bühne, er trainiert die ab 12-Jährigen, einschließlich Erwachsene; das ist auch am Mittwoch der Fall.
Noch Fragen? Stress? Wieder einer, der kein Zuhause kennt. Am Wochenende folgen Herausforderungen und Bewährungsproben im Wettkampf. Am Samstag dieser Woche nimmt die Jugend-Mannschaft an einem Turnier in Groß-Zimmern teil, das um 18 Uhr beginnt. Im Anschluss daran sind die Erwachsenen an der Reihe; beide Frischauf-Vertretungen sind Herbstmeister. Tags darauf ist der Nachwuchs bei einem Anfängerturnier in Krombach zu Gast - mit 150 Teilnehmern.
„Dieses Jahr haben wir vor, aufzusteigen“, bemerkt Linn. In die dritte Liga. Er bringt Ehrgeiz ins Spiel. Doch der ist ja selbstverständlich. Und Programm. Kein Wunder. Anspruch ist immer dabei. Er liegt quasi auf der Matte. Zur sportlichen Ausrichtung: Frischauf Fulda trainiert und betreut nicht nur Kinder und Jugendliche aus 40 Nationen. Training, Betreuung und Ausbildung gipfeln auch in Klasse, Top-Leute ringen im Verein. Zwei Sprtler aus der Ukraine gehören der Nationalmannschaft an, bei einem moldawischen Ringer ist das ebenso. Es ist immer müßig, den Wert unterschiedlicher Sportarten zu bemessen. Die Mixtur von sozialer Arbeit und Sport bei Frischauf Fulda aber sorgt für ihresgleichen. Und so manchem in Fulda täte es gut, die Sinne zu schärfen.
Karsten Linn fühlt sich wohl in seiner Haut. Er ist mit sich im Reinen. „Wir wachsen immer mehr“, schiebt er noch nach, als wolle er für seinen Sport und den Verein werben. „Manchmal sind wir mit 40 Kindern auf einer Matte. Da kannst du kein vernünftiges Training durchführen.“ An Trainern oder Übungsleitern mangelt es bei Frischauf Fulda nicht. Neben Karsten Linn gehören Viktoria Ficht, der ehemalige DDR-Nationalmannschafts-Ringer Tom Sperling, Dschamal Veliev, der als Abteilungsleiter „Gott und die Welt“ kennt im Ringen, Veteranen-Weltmeister Omed Sawafi oder Dirk Walter dazu, der ehemals auch für den ASV und den RSC rang - auch Ringer-Vater Waldemar Fast ist immer mal wieder in der Halle und gibt, wenn die Augen leuchten, seine Erfahrungen weiter. Kein Wunder, wenn Linn Einblick ins Frischauf-Leben gewährt: „Bei uns ist das mehr als ein Verein. Das ist eine Familie.“
Aus Sicht des 55-Jährigen steht die Zeit nicht still. „Ich hab‘ mehrere Projekte in Zukunft“, öffnet er er erneut sein Herz. Und legt es auf den Tisch. Neben dem Trainings-Angebot für übergewichtige, für ADHS-Betroffene und motorisch nicht eben begabte Kinder zählt auch dieses hinzu: eine Kooperation mit der Schule im Rahmen der ab dem kommenden Jahr anstehenden Ganztags-Betreuung. Eine Ringer-AG schwebt ihm vor.
Karsten Linn schaut nicht auf die Uhr, als wir zusammen sitzen. Das Zeitgefühl ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Er muss zum Training. „Dann will ich meine Kinder holen“, sagt er abschließend. Er tut das, was er immer tut: Er zapft sein Herz an. Er ist da. Er ist einfach da.
Lesen Sie in Teil zwei, wie sich Abteilungsleiter Dschamal Veliev und die Mutter eines Nachwuchsringers äußern. Ihre Sicht der Dinge. +++ rl
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