Evangelische Kirche: Missbrauchsstudie vorgestellt

Kindesmissbrauch

Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), Beate Hofmann, hat bei der Vorstellung einer Studie der Universität Kassel zur sexualisierten Gewalt durch Gemeindepfarrer zu einer konsequenten Aufarbeitung aufgerufen. „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, damit Menschen uns berechtigt vertrauen können. Die vorliegende Studie unterstützt uns dabei, typische täterschützende Strukturen aufzudecken und zu verändern. Sie ist ein Teil unseres entschlossenen Einsatzes gegen sexualisierte Gewalt“, betonte Hofmann und reagierte damit auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts, das die Landeskirche 2023 in Auftrag gegeben hatte. Die Untersuchung mit dem Titel „Sexualisierte Gewalt durch einen hessischen evangelischen Gemeindepfarrer in den 1980er-Jahren“ wurde am Dienstag, 4. November, vorgestellt.

Ausgangspunkt der Studie sind Übergriffe durch einen Pfarrer der EKKW, der 2022 von einem kirchlichen Gericht wegen sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in den 1980er-Jahren verurteilt wurde. Das Urteil führte zum Verlust seiner Versorgungsansprüche und zu einem Tätigkeitsverbot in der evangelischen Kirche. Zwar ist der Fall disziplinarrechtlich abgeschlossen, jedoch legte die Landeskirche Wert auf eine unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung der systemischen Hintergründe.

Die Wissenschaftlerinnen Prof. Dr. Mechthild Bereswill vom Fachgebiet Soziologie sozialer Differenzierung und Soziokultur sowie Prof. Dr. Theresia Höynck vom Fachgebiet Recht der Kindheit und Jugend erläuterten, die Studie frage nach den Bedingungen, die sexualisierte Gewalt ermöglichten, und insbesondere nach täterschützenden Strukturen. Gemeinsam mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Fanny Petermann und Stella Schwarz stellten sie zentrale Ergebnisse vor. Für das Projekt wurden 27 Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geführt und Zeitdokumente ausgewertet. Die Forscherinnen beschrieben ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, das sexualisierte Gewalt begünstigte: gesellschaftliche Entwicklungen der späten 1970er- und 1980er-Jahre, Reform- und Aufbruchsstimmung, Veränderungen in der Kirchengemeinde, neue Konzepte in der Konfirmanden- und Jugendarbeit, die Rolle von Pfarrpersonen, die Bedeutung von Gerüchten sowie Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse.

Hofmann erklärte, die Studie zeige, wie gesellschaftliche und innergemeindliche Veränderungen als Befreiung von autoritären Strukturen wahrgenommen worden seien und dadurch Regeln und Maßstäbe fehlten, um grenzverletzendes Verhalten zu erkennen und zu sanktionieren. Zudem sei deutlich geworden, wie beziehungsorientierte Jugendarbeit in Kombination mit einer als charismatisch und zugleich manipulativ beschriebenen Persönlichkeit Gelegenheiten für sexualisierte Gewalt schaffen könne.

Die Bischöfin warb für klare Regeln zu Nähe und Distanz, wie sie bereits in der Präventionsarbeit der Landeskirche verankert seien. Es gelte, Menschen zu befähigen, Grenzen zu setzen, über Grenzverletzungen sprechen zu können und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Dies werde durch Schulungen und durch Konzepte sexueller Bildung in den Strukturen der Landeskirche gefördert. Ferner rege die Studie einen neuen Umgang mit Gerüchten an: Hinweise auf mögliche Gewalt müssten ernst genommen werden, ohne Verleumdung oder Mobbing zu begünstigen. Interventionsprozesse seien entsprechend zu reflektieren.

Hofmann äußerte zudem die Hoffnung, dass sich Betroffene, die auf dem weiteren Berufsweg des Täters sexualisierte Gewalt erlebten oder wahrnahmen, bei der Fachstelle oder der Unabhängigen Anerkennungskommission (UAK) der EKKW melden. Auch die Rolle von Vorgesetzten und kirchenleitenden Personen müsse weiter untersucht werden.

„Uns als gegenwärtige Kirchenleitung ist bewusst, dass unsere Kirche schwerwiegende Fehler gemacht hat“, sagte Hofmann abschließend. Durch kirchenleitendes Versagen sei großes Leid nicht verhindert, sondern verlängert worden. Verantwortliche hätten nicht oder nicht zum Wohl der Betroffenen gehandelt, sondern weggeschaut, bagatellisiert und vertuscht. Die bestehenden Strukturen hätten dieses Versagen ermöglicht. Daher sei weitere Aufarbeitung nötig. Trotz gewachsener Sensibilität komme sexualisierte Gewalt weiterhin vor. „Mit dieser Tatsache müssen wir umgehen und bringen darum intensiv Prävention, Intervention und Aufarbeitung voran“, so die Bischöfin. Im Mittelpunkt stünden dabei die Bedürfnisse betroffener Personen und das Bemühen um sichere Räume. +++


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