
Der Informatiker Dr. Christoph Hardegen (36) und der Rechts- und Politikwissenschaftler Dr. David Muñiz Hernández (35) sind für ihre herausragenden Dissertationen mit dem Dr.-Norbert-Schmidt-Preis geehrt worden. Mit ihren Arbeiten liefern die beiden Preisträger neue Ansätze für leistungsfähigere und sicherere Computer-Netzwerke sowie ein besseres Verständnis der politischen Entscheidungsfindung auf EU-Ebene und des Datenschutzes.
Der Stifter des Preises, der Fuldaer Radiologe Dr. Norbert Schmidt, überreichte die Auszeichnungen am Mittwochabend an der Hochschule Fulda. Die fachübergreifende Jury hatte beide Arbeiten mit exakt derselben Punktzahl bewertet, sodass das Preisgeld von insgesamt 10.000 Euro zu gleichen Teilen aufgeteilt wurde.
Der Dr.-Norbert-Schmidt-Preis honoriert jährlich die besten an der Hochschule Fulda entstandenen Doktorarbeiten und rückt damit neben der Hochschule als Ort qualitativ hochwertiger Forschung auch die Forschenden, ihre Themen und deren gesellschaftliche Relevanz in den Fokus.
Spürbar im Alltag
„Beide Arbeiten greifen sehr praxisnahe Herausforderungen auf und liefern einen herausragenden wissenschaftlichen Beitrag zu deren Lösung bzw. Verständnis“, betonte Dr. Norbert Schmidt in seiner Ansprache. „Die Studien geben Einblicke in technische und politische Prozesse, die in der Regel nicht öffentlich sind, jedoch spürbare Auswirkungen im Alltag haben.“
Hochschulpräsident Professor Dr. Karim Khakzar lobte die hohe wissenschaftliche Qualität: „Die Dissertationen sind auf sehr hohem Niveau. Wir freuen uns, dass wir mit dem Dr.-Norbert-Schmidt-Preis einmal mehr die Leistungsfähigkeit unserer Promotionszentren zeigen können.“ Die Vizepräsidentin für Forschung und Transfer, Professorin Dr. Martina Ritter, unterstrich die Gemeinsamkeit der beiden Arbeiten: „Beides Mal geht es um Schutz – den Schutz der digitalen Infrastruktur und damit unserer Kommunikation und den Schutz unserer persönlichen Daten“, betonte sie. Beides seien wesentliche Bedingungen für eine demokratische Gesellschaft.
Computer-Netzwerke – leistungsfähiger und sicherer
Dr. Christoph Hardegen entwickelte das Management von Computer-Netzwerken weiter durch innovative Ansätze zur Erfassung, Analyse und Steuerung von Datenverkehr. Dafür kombinierte er zwei Forschungsbereiche miteinander – die zunehmende Programmierbarkeit von Computer-Netzwerken – das heißt, deren Kontrolle mittels Software – und das maschinelle Lernen.
Maschinelles Lernen ermöglicht es, große und komplexe Datenmengen zu analysieren. Mit seiner Hilfe lassen sich Muster im Datenverkehr erkennen, aus denen sich zielführende Entscheidungen für das Management von Computer-Netzwerken ableiten lassen. Programmierbare Netzwerke unterstützen dabei die granulare Erfassung des Netzverkehrs. Wo und wann kommt es zu erhöhtem Verkehrsaufkommen oder Staus? Und sie ermöglichen es, die Ergebnisse dieser Analyse flexibel und automatisiert umzusetzen, um den Netzverkehr zu steuern.
Optimierte Bedingungen für individuelle Kommunikation
Aufbauend auf diesen Technologien entwickelte der Preisträger konkrete Strategien für die Teilbereiche des Leistungs- und Sicherheitsmanagements: Ein intelligentes Routing, das auf der Analyse von Verkehrsmustern und damit verbundenen Lastprognosen basiert, ermöglicht einen verbesserten Datentransport. Die verfügbaren Kapazitäten eines Netzwerks werden effizienter ausgelastet, wodurch Überlastszenarien reduziert bzw. vermieden werden. So entstehen optimierte Bedingungen für individuelle Kommunikation. Ein verteiltes, kollaboratives und netzwerknahes System zur Klassifizierung des Datenverkehrs sorgt zudem für eine schnelle und präzise Erkennung von Angriffen im Netzwerk. Dabei werden normale und schadhafte Kommunikation unterschieden, die dann entsprechend zugelassen oder blockiert werden kann.
Was theoretisch klingt, kann im Alltag direkt spürbar werden: „Wird ein Computer-Netzwerk besser gesteuert, dann wirkt sich das positiv auf die Nutzung von Internet-Diensten aus, zum Beispiel beim Download von Daten oder beim Streaming von Audio- und Videoinhalten“, erläutert Christoph Hardegen. Eine verbesserte Erkennung von Angriffen helfe, die Sicherheit eines Computer-Netzwerks zu erhöhen. „Attacken auf Systeme, die Internet-Dienste bereitstellen, müssen zeitnah und zuverlässig aufgedeckt werden, um deren Schutz und Verfügbarkeit gewährleisten zu können.“
Mehr Geräte, höheres Datenvolumen
Weiterentwicklungen in den Bereichen des Leistungs- und Sicherheitsmanagements sind umso dringlicher, da die Zahl der kommunizierenden Systeme bzw. Geräte, die Internet-Dienste bereitstellen oder nutzen, stetig steigt und das Datenvolumen sowie die Diversität der transportierten Daten wachsen. Mit dem normalen Datenverkehr wächst auch der schadhafte, der unter anderem aus immer umfangreicheren wie intensiveren Angriffen auf die Netzwerke resultiert.
Die Jury lobte neben der hohen wissenschaftlichen Qualität der Dissertation vor allem die Verbindung von Künstlicher Intelligenz und technologischen Trends aus dem Bereich der Computer-Netzwerke, das Zusammendenken von Leistungs- und Sicherheitsfragen, die praxisnahe, übertragbare Konzeption sowie die klar strukturierte und verständliche Darstellung der Inhalte.
Politische Entscheidungsfindung auf EU-Ebene
Dr. David Muñiz Hernández analysierte einen der bedeutendsten EU-Gesetzgebungsprozesse der vergangenen Jahrzehnte: die Entstehung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Dieses Gesetz hat unmittelbare Alltagsrelevanz, denn es geht um das Recht, selbst über persönliche Daten bestimmen zu können. Doch unter welchen politischen, institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungen konnte ein solch komplexes und weitreichendes Regulierungsvorhaben wie die DSGVO zustande kommen?
Um diese Frage zu beantworten, arbeitete der Preisträger die komplexen Entscheidungsprozesse in der EU systematisch auf. Vor allem interessierten ihn die Rollen der verschiedenen Akteure sowie die zwischen ihnen entstehenden Dynamiken, die er mithilfe des Multiple Streams Approach analysierte. Dieser Ansatz geht davon aus, dass politische Entscheidungen möglich werden, wenn Problemwahrnehmungen, politische Lösungsvorschläge und ein günstiges politisches Umfeld zusammenkommen – in einem sogenannten „Window of Opportunity“.
Konfliktlinien und Positionsverschiebungen
Dr. David Muñiz Hernández rekonstruierte die zentralen Konfliktlinien, Argumentationsmuster und Positionsverschiebungen. 462 Stellungnahmen aus den öffentlichen Konsultationen der Europäischen Kommission mit über 5.000 Seiten Material von Unternehmen, NGOs, nationalen Behörden und anderen Stakeholdern wertete er aus. Ergänzend führte er 32 Interviews mit Expertinnen und Experten aus den europäischen Institutionen, den nationalen Ministerien, der Zivilgesellschaft sowie aus den Bereichen Lobbyismus und Journalismus. Durch die Kombination von qualitativer Inhaltsanalyse und Interviewmaterial gelang es ihm, den politischen Prozess außergewöhnlich dicht zu rekonstruieren.
Die Arbeit zeigt exemplarisch, wie politische Entscheidungen auf EU-Ebene entstehen. Sie macht aber auch deutlich, dass sich komplexe Aushandlungsprozesse demokratisch nachvollziehbar analysieren lassen. „Dies fördert eine reflektierte öffentliche Auseinandersetzung mit europäischen Politikprozessen und Grundrechten – insbesondere dem Schutz personenbezogener Daten“, betont David Muñiz Hernández.
Nichtöffentliche Quellen und Insiderperspektiven
Das Einbeziehen nichtöffentlicher Quellen und Insiderperspektiven eröffnet dabei eine neue Sicht auf das Verhältnis von Expertise, Interessensvermittlung und demokratischer Aushandlung im europäischen Gesetzgebungsprozess. „Besonders interessant war, dass formale Mechanismen gar nicht so formal waren. Oft spielte der menschliche Faktor eine entscheidende Rolle, etwa wenn am Ende eines langen Sitzungstags doch noch eine Entscheidung getroffen wurde. Daraus lässt sich schließen, dass politische Verfahren in der Praxis stark durch informelle Dynamiken ergänzt werden – eine Erkenntnis, die für das Verständnis institutioneller Prozesse und ihrer Grenzen zentral ist.“
Die Jury betonte die Relevanz der Studie für ein besseres Verständnis demokratischer Gesetzgebungsprozesse im europäischen Mehrebenensystem. Darüber hinaus würdigte sie insbesondere die methodische Stringenz, die theoretische Fundierung und die empirische Tiefe der Arbeit. +++ pm
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