Die Wohlfühlkanzlerin Angela Merkel wird 60

Bundeskanzlerin Angela Merkel
Angela Merkel

Berlin. Deutschland ist Fußball-Weltmeister und Angela Merkel Bundeskanzlerin. Irgendwie hat man das Gefühl, dass diese beiden Dinge zusammengehören. Merkel weiß, was sich die Deutschen wünschen. In ihrer zweiten Großen Koalition und nach fast neun Jahren als Regierungschefin ist sie zur perfekten Wohlfühlkanzlerin geworden. Für die Wähler gibt es sozialpolitische Geschenke: Mütterrente, Betreuungsgeld, verbessertes Elterngeld, Rente mit 63, Mindestlohn. Das Land kann sich die Wohltaten wegen des starken Wirtschaftswachstums leisten.

Auch weil die sozialversicherungspflichtigen Jobs gleichzeitig auf Rekordniveau klettern. Deutschland ist gut gelaunt und mit sich zufrieden. Selbst wenn Merkel mit dem brasilianischen Sommermärchen direkt nichts zu tun hat, passt die gewonnene Fußballweltmeisterschaft exakt in dieses Bild. Merkel ist keine Kanzlerin, die ihr Wahlvolk mit ungewohnten Ansichten oder kühnen Visionen verschrecken würde. Führung von vorn ist ihr fremd. Sie sucht immer wieder die Übereinstimmung mit dem Normalbürger. Ihr Regierungsstil setzt auf Abwarten und kleine Schritte. Die Bürger finden es gut, von unliebsamen Überraschungen verschont zu werden. Sie mögen die Kanzlerin, weil sie das Gefühl haben, dass sie ihnen ähnelt. Merkel ist uneitel, zugewandt und völlig ungeeignet für jegliche Skandale. Sie ist mit dem Geld für ihre Arbeit zufrieden, ist fleißig und kocht daheim Kartoffelsuppe. Die meisten Deutschen können sich in ihr wiedererkennen. Für eine harte Reformpolitik, wie sie Gerhard Schröder den Bürgern einst mit den Hartz-Gesetzen zumutete, wäre Merkel ungeeignet.

In der Eurokrise greift sie zwar durchaus mit harter Hand durch - aber vor allem, wenn es darum geht, die südländischen Krisenstaaten auf Sparkurs zu trimmen. Hierzulande tut sie alles, um die Menschen vor Zumutungen zu bewahren. Als Bundespräsident Gauck von den Deutschen mehr Verantwortung in der Sicherheits- und Außenpolitik verlangte, hat Merkel geschwiegen. Sie weiß genau, wie unbeliebt Auslandseinsätze bei ihren Landsleuten sind. Außenpolitik ist zwar ihr liebstes Feld, und sie redet sicher lieber in Peking vor Studenten, als dass sie sich im Bundestag durch eine Regierungserklärung kämpft. Aber auch in der großen weiten Welt achtet sie darauf, mit der deutschen Mehrheitsmeinung im Gleichklang zu bleiben. Dass Merkel mit den USA wegen zweier unbedeutender Spione einen Eklat vom Zaun bricht, ist aufschlussreich. Es wäre vermutlich klüger gewesen, diese beiden Fälle über diplomatische Kanäle anzusprechen. Doch sie nährt damit die weit verbreitete antiamerikanischen Stimmung im Land. Man darf gespannt sein, wie sie jetzt noch das Freihandelsabkommen mit den USA hinbekommen will, das aus wirtschaftspolitischer Sicht für die Exportnation Deutschland von erheblicher Bedeutung wäre.

Auch Gerhard Schröder hat sich einst scharf von den USA distanziert, aber bei der Ablehnung des Irakkriegs ging es wenigstens um etwas wirklich Wichtiges. Manchen ist Merkel derart eng ans Herz gewachsen, dass sie sich ein Kanzleramt ohne sie gar nicht mehr vorstellen mögen. Es gibt publizistische Stimmen, die sie in diesen Tagen geradezu anflehen, 2017 noch einmal anzutreten. Und in der Tat wäre sie dann erst 63 Jahre alt, was in der Politik eigentlich kein Alter ist. Doch wenn sie klug ist, und das ist sie zweifellos, lässt sie sich darauf nicht ein. Demokratie lebt vom Wechsel. Irgendwann müssen sich Merkel und dieses Land voneinander trennen. Auch wenn es nicht nur für die CDU ein bitterer Einschnitt wäre und ein Nachfolger nicht in Sicht ist. +++ fuldainfo | alexandra jacobson - nw


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1 Kommentar

  1. Sehr geehrte Frau Merkel,

    meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem sechzigsten Geburtstag!

    Ihre größte politische Leistung, liebe Frau Merkel, ist in meinen Augen Ihr Schwenk in der Atompolitik nach Fukushima. Über die Gründe dafür, Ihre Beweggründe, kann man trefflich streiten. Das erfahre ich jedesmal, wenn ich Menschen gegenüber meine Bewunderung über Ihre damalige Entscheidung ausdrücke, den Atomausstieg jetzt konsequent zu verfolgen. War es wirklich Überzeugung, war es politische Taktik? Das aber finde ich ganz und gar belanglos. Für mich ist entscheidend, dass Sie als ehemalige, vehemente Befürworterin der Kernenergie, die Katastrophe vor Augen, die richtigen Konsequenzen gezogen haben. Eine Katastrophe freilich, deren Wahrscheinlichkeit und Ausmaß Sie als Physikerin nicht überraschen konnte. Die Besonderheit aber bleibt: Sie haben bewiesen, dass Sie als Politikerin in der Lage sind, Ihre einmal gefasste Überzeugung zu ändern, nachdem sie sich auch für Sie als falsch erwiesen hat. Das ist eine außergewöhnliche Eigenschaft im Politikbetrieb. Und es macht Hoffnung.

    Hoffnung, dass Sie auch andere gravierende Fehlentwicklungen zum Anlass nehmen, Ihre Leitlinien der Politik zu ändern. Mein Augenmerk richtet sich dabei auf die soziale Katastrophe, die Europa, insbesondere die Europäische Währungsunion, seit Beginn der auch von Ihnen befürworteten Politik, heimsucht: die unerträglich hohe Massenarbeitslosigkeit und die soziale Not, die sich mit dieser verbindet. Ich weiß, dass Ihre Berater Ihnen sagen, das müsse so sein. Die Ursache dafür seien "struktureller" Natur (zu hohe Staatsausgaben, zu hohe Löhne, zu niedrige Produktivität). Jene Strukturen würden einer höheren Wettbewerbsfähigkeit im Wege stehen.

    Ihre Berater verschweigen Ihnen aber Zusammenhänge, die theoretisch, empirisch, ja, historisch so eindeutig sind, wie es sonst vielleicht nur physikalische Gesetze sind, die Sie besser kennen als ich. Dieses Schweigen hat in Deutschland Tradition. Schon die Agenda 2010 ignorierte, dass zum Zeitpunkt ihrer "Erfindung" und Durchsetzung, die Zahl der offenen Stellen (Arbeitsnachfrage) einen historischen Tiefpunkt erreicht hatte, die Zahl der Arbeitslosen (Arbeitsangebot) aber immer neue Höchststände erreichte. Grundlage dafür war eine schwache Konjunktur - und eine Politik, die mit derselben Ideologie, die auch der heutigen Europapolitik zugrundeliegt, geradewegs in die Rezession geführt hat. Damals noch unter einem SPD-Finanzminister, Hans Eichel.

    Trotzdem aber meinten hochrangige Berater, man müsse die Menschen nur dazu zwingen, jede Arbeit zu jedem Lohn anzunehmen, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Diese Beratung hat sich als falsch erwiesen, wie zuletzt auch die Bundesagentur für Arbeit mit einer Analyse über den Verbleib von Langzeitarbeitslosen belegte, wie es aber vor allem der enge Zusammenhang von Wachstum und Beschäftigung seit jeher nahelegt.

    Das soziale Fukushima Europas, die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit, ist Ergebnis derselben falschen Beratung, die jenen Zusammenhang von Wachstum und Beschäftigung ignoriert bzw. verschweigt. Meine Hoffnung richtet sich daher darauf, dass Sie sich, wie in der Frage der Kernenergie, auch in der Frage der Arbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland und Europa gegenüber anderen Erklärungsansätzen öffnen, die theoretisch und empirisch fundierter sind, als die Ihrer jetzigen Berater. Dass dies keine Frage von "links" oder "konservativ" ist, belegen die Wirtschaftspolitiken in den USA und Japan. Wer, wenn nicht Sie, die sich, wie zu lesen ist, auch für Geschichte interessiert, kann sich über jene Denkschablonen hinwegsetzen und die soziale Katastrophe in Europa zum Anlass nehmen, einen Politikwechsel einzuleiten, der nicht geringer zu bewerten wäre, als Ihr Ausstieg aus der Atomenergie?

    Längst hat die verheerende Entwicklung, die die bis dato auch von Ihnen befürwortete, ja, von Ihnen mit am vehementesten vertretene Politik verursacht hat, auch die Politik selbst erreicht: Die Erfolge extremer Parteien bei den zurückliegenden Europawahlen stehen in engem zeitlichen wie ursächlichen Zusammenhang mit der Arbeits- und Perspektivlosigkeit von Millionen Menschen.

    Nachdem Sie also die Menschen vor der nuklearen Katastrophe hierzulande gerettet haben, können Sie die Menschen auch noch von der schlimmsten zivilen Bürde befreien: von der Arbeitslosigkeit und von den mit dieser verbundenen sozialen und politischen Verwerfungen.

    Mit diesen Gedanken sende ich Ihnen noch einmal meine herzlichen Glückwünsche und freundliche Grüße,

    Thorsten Hild

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