
Spürbarer hätte das Wechselspiel aus Begeisterung für die Technik von morgen und liebenswerter Schwärmerei für die Kohle befeuerte Bahn unserer Großeltern nicht sein können als bei den Meininger Dampfloktagen. Einerseits locken die schier unbegrenzten Möglichkeiten der digitalen KI-Welt. Fotos lassen sich mit dem Handy mittlerweile genauso gut machen wie mit der traditionellen Spiegelreflexkamera. Andererseits begleitet viele eine geradezu romantisch verklärte Liebe für ein längst vergangenes Technik-Zeitalter, in dem es bei der Reichs- oder Bundesbahn noch ordentlich zischte, rußte, qualmte. Und viele noch die Nase über den beißenden Gestank aus den Schornsteinen der Loks rümpfen konnten. Greifbar ist diese offenbar Geschlechter übergreifende Dampf-Euphorie im Meininger Ausbesserungswerk der Bahn, dem letzten seiner Art in Deutschland, das als eine der führenden Adressen in Europa für die Wartung, Reparatur und Instandhaltung historischer Dampflokomotiven gilt.
Pure Eisenbahn-Nostalgie
Die klassischen Tage dieser Ungetüme sind zwar längst vorbei. An den Meininger Dampfloktagen aber erwachen die schwarz-roten Kolosse wieder aus ihrem „musealen“ Dornröschenschlaf: kraftstrotzend, qualmend und immer wieder mit schrillem Pfeifton. Erklär-freudige Väter, kluge Technik-Freaks, fotobegeisterte Dampflok-Enthusiasten oder die unermüdlichen „Schrauber“ historischer Eisenbahn-Vereine bekommen glänzende Augen und geraten dank geballter Eisenbahn-Nostalgie ins Schwärmen, wenn sie eine Universallok der Baureihe 50 für den Güter- und Personenverkehr, Schnellzugloks der Typen 41 oder der kleineren Version 38 für die Personenbeförderung und eine schwere Güterzuglok der Baureihe 44 zu bestaunen bekommen. Den Puls erst recht in die Höhe treibt der „Adler“. Jener grün, gelb, rote historische Nachbau der ersten deutschen Eisenbahn, die 1835 von Nürnberg nach Fürth fuhr. Mitfahren ist „Pflicht“, wenn sich der Zug auf der wenige Meter statt Kilometer langen Strecke vor der alten Backsteinhalle des Bahn-Ausbesserungswerks rumpelnd und „schnaufend“ in Bewegung setzt. In den Hallen schieben sich Menschenmassen derweil vorbei an den teilweise bis aufs Skelett auseinander genommenen historischen Loks ohne Kessel oder Führerstand, vorbei an neueren Schneepflügen der DB, einzelnen Waggons aus „Kaisers-Zeit“ mit schmucken Reichsbahn-Wappen aus Messing darauf oder einem frisch rot-beige lackierten ehemaligen Wagen der Berliner S-Bahn. Die Bandbreite der Arbeiten, mit der sich die rund 100 in der Produktion eingesetzten Mitarbeiter des Meininger DB-Werks beschäftigen, ist groß. Ebenso vielseitig ist der Maschinenpark, auf den das Team setzt. Neben digitaler Technik sind immerhin noch fünf historische Maschinen im Einsatz, die solange es irgendwie geht, weiterhin genutzt werden sollen.
Meininger Erlebnsiwelt
Während Lokführer fachkundig auf den Führerständen ihrer „Dampfrösser“ die Funktionsweise der mit Kohle und Dampf betriebenen Maschinen erklären, helfen In der „Meininger Erlebniswelt“, dem werkseigenen Museum, Modelle samt einer bis aufs komplexe Innere des Kessels aufgeschnittenen Lok den Dampfantrieb zu verstehen.
Von Leuchten und Mützen
Viele Dinge, die es in den Hallen zu sehen gibt, haben hingegen ihren Einsatz bei der „Bahn“ längst hinter sich: die blauen Uniformmützen mit dem geflügelten Messingrad, Symbol der Eisenbahn, genauso wie historische Positions- oder Signalleuchten, Lok-Beschilderungen und vieles mehr. Bahn-Nostalgie drückt sich eben auf vielerlei Weise aus. So auch darin, dass es für den, der die Welt der Eisenbahn im Modellbahn-Format bevorzugt statt historischer Stücke aus dieser Zeit, allerlei an den gut gefüllten Ständen zu entdecken gibt. Wer besonderen Spaß am so genannten „Reenactment“ hat, also gerne einmal in historische Dienstbekleidung wie die elegante grüne Parade-Uniform eines sächsischen Eisenbahners mit Zweispitz und aufwendig dekorierten Degen schlüpfen möchte, selbst für den bieten die Meininger Dampfloktagen genügend Raum, sich zu präsentieren - und vielleicht auch bewundern zu lassen.
Restaurierung kostet
Die angeblich so „gute alte Zeit“ allerdings ist für das Meininger Ausbesserungswerk der Bahn unwiderruflich vorbei. Statt Dampflok-Nostalgie zählen heute knallharten Zahlen, die sich in den angebotenen Leistungen widerspiegeln. Etwa zehn Dampfloks werden jährlich restauriert, wie Werks-Mitarbeiter Björn Weyrauch bei einem Hallen-Rundgang erläutert. Wer seine Lok in Meiningen wieder auf Vordermann bringen lassen will, muss tief in die Tasche greifen. Die Kosten liegen durchschnittlich bei ungefähr 1,5 bis 1,6 Millionen Euro. Alleine um den Kessel einer englischen Dampflok zu reparieren, werden rund 600.000 Euro fällig. Aktuell sind insgesamt 125 Mitarbeiter im Werk beschäftigt. Aufträge erhalte das Ausbesserungswerk aus ganz Europa: von Deutschland, Frankreich über England bis Norwegen. Derzeit würden je zur Hälfte Dampfloks und Schneeräumer instand gesetzt. Auch ganz besondere Spezialaufträge können in Meiningen für Kunden erledigt werden, etwa der Bodenbelag eines Dampflok-Führerstands, der aus lange gewachsener Lerche angefertigt werden soll. Fazit der beliebten Meininger Dampfloktage: Im Bahn-Ausbesserungswerk haben die Freude an glanzvoller Dampflok-Vergangenheit und Moderne ein weiteres Mal sympathisch zueinander gefunden. +++ mb
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