Die Not der Flüchtenden im Blick

Erst nach einer Zeit die große Betroffenheit widerspiegelnder Stille applaudieren die Zuhörerinnen in Heubachs ehemaliger Synagoge. Der intensive Beifall gilt Jessica Stukenberg vom Freien Theater Fulda. Die Schauspielerin hatte ihr Publikum mit zwei Geschichten in ihren Bann geschlagen, die scheinbar erst einmal nichts miteinander zu tun haben: Da ist die Flucht von Abertausenden vor der anrückenden Roten Armee in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs. Mit unter diesen Menschen: Stukenbergs Tante Gisela, die als Kind eigentlich in Pommern vor der Not des Krieges Zuflucht finden sollte. Stattdessen: Gewalt, vergewaltigende Soldaten, hektische Flucht. Da wird die von den Nazis einst als Kreuzfahrtschiff gebaute „Wilhelm Gustloff“ zum Symbol für die Rettung, für das Wiedererlangen der Freiheit.

Doch die Flucht misslingt. Von sowjetischen Torpedos getroffen, sinkt das mit mehr als 10.000 Menschen dramatisch überladene Schiff am 30. Januar 1945 in der eisigen Ostsee. Gisela gehört zur kleinen Gruppe derer,die das Unglück gerettet werden – und die fortan ihr Leben lang die furchtbaren Erinnerungen in sich tragen. „Ich liebe das Meer“ - mit diesen Worten eröffnete Stukenberg ihr Recherche-Stück, schwärmt vom Schwimmen,vom Tauchen und von Strandspaziergängen. Mit einer Handvoll Utensilien und liebevoll gearbeiteten Pappfiguren gelingt es ihr, das Publikum ganz in die Geschichte hineinzuziehen. In die Sorglosigkeit eines Kinderlebens auf einem großen Bauernhof, in die mit einem Mal Gewalt, Not und Todesangst hereinbrechen.

Und auf einmal, 75 Jahre nach der Gustlofff-Katastrophe, stehen wieder Menschen an einem Meeresstrand. Über das Mittelmeer wollen sie in Europa finden, was ihnen in ihren Heimatländern, sei es in Afghanistan, Syrien oder im Herzen Afrikas verwehrt wird: Frieden und Freiheit. Sie kratzen all ihr Geld zusammen, um sich einem Schlepper anzuvertrauen. Am Ende wartet ein erbärmliches Holzboot statt des versprochenen Luxus-Schiffs auf sie. Wenn Stukenberg ihre Flüchtlings-Pappfiguren behutsam in eine Kokosnussschale packt, bedarf es keiner großen Worte, um die existentielle Not der Menschen zu spüren.

„Warum ich das erzähle“? Stukenberg beantwortet ihr Frage selbst: „Weil Geschichte sich wiederholt.“ Und schon ist sie mit dem Ende ihres Stücks im Gespräch mit dem Publikum.
Hartmut Zimmermann dankte namens des gastgebenden Fördervereins Stukenberg dafür, mit ihrem Stück an Fragen und Probleme erinnert zu haben, mit denen sich zu befassen man gerne vermeide. Zimmermann erinnerte auch daran, dass der "Kultursommer Main-Kinzig-Fulda" die Veranstaltung unterstützt hatte. +++


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